Nach der FlutIHK rechnet mit Antragswelle von Kreis Euskirchener Unternehmen

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Schlamm, Schutt, zerstörte Maschinen: Das Bild zeigt den Blick in eine zerstörte Produktionshalle.

Schlamm, Schutt, zerstörte Maschinen: Auch zahlreiche Betriebe wurden durch die Flut in Mitleidenschaft gezogen.

Vergleichsweise wenige Unternehmer im Kreis Euskirchen nutzen bislang die Wiederaufbauhilfe. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Soforthilfe war auch von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Aachen unmittelbar nach der Flut gefordert. Sie hat Bautrockner organisiert, die Vergabe von Sachspenden wie Büroeinrichtungen oder Laptops koordiniert, Geldspenden verteilt. Inzwischen ist die Kammer hauptsächlich in Sachen Wiederaufbau aktiv: Sie berät Unternehmen und führt die formellen Prüfungen der Wiederaufbauanträge – etwa auf Vollständigkeit – durch, die dann an die NRW-Bank und von dort ans Wirtschaftsministerium weitergeleitet werden.

Ein exaktes Bild darüber, wie viele Firmen im Kreis Euskirchen von der Katastrophe betroffen sind, hat die IHK jedoch auch anderthalb Jahre später nicht. „Wir haben bis heute keine Hochwasserkarte erhalten, anhand derer wir sehen können, wer wie betroffen ist“, sagt Nils Jagnow, Referatsleiter Konjunktur und Regionalplanung der IHK in Aachen. Nach Angaben von Hauptgeschäftsführer Michael F. Bayer hat die Kammer im Kreis rund 150 Einzelberatungen durchgeführt und Webinare angeboten: „Bis heute haben wir außerdem rund 3000 Beratungsgespräche per Telefon oder E-Mail aus dem Kreis geführt – mit vielen Unternehmen dabei mehrfach.“

Knapp 27 Millionen Euro Wiederaufbauhilfe genehmigt

Rund 180 Anträge hat die IHK nach eigenen Angaben aus dem Kreis Euskirchen bearbeitet. Das NRW-Wirtschaftsministerium spricht von 140 mit einem Bewilligungsvolumen von knapp 27 Millionen Euro. Im Vergleich zu den 1750 bewilligten Soforthilfe-Anträgen ist das eher wenig. „Die reine Zahl der Anträge der Unternehmen mag niedriger sein als erwartet, die bewilligten und ausgezahlten Leistungen sind es nicht“, heißt es aus dem Ministerium dazu.

Vielfältige Gründe sieht die IHK. Dass die Schäden in einem überschaubaren Umfang gelegen haben und aus Eigenmitteln oder in Eigenleistung behoben wurden, führt Bayer genauso an wie Unternehmer, die ihren Betrieb   nicht wieder aufbauen. Und: „Einige innerstädtische Gewerbetreibende stehen vor der Herausforderung, dass die Immobilieneigentümer noch keine Perspektive für den Wiederaufbau bieten können, wodurch sich die Antragsstellung verzögert.“ Zudem teilt das Wirtschaftsministerium auf Anfrage mit, dass „die Versicherungsquote höher ist als zunächst angenommen“.

IHK berät Unternehmen im Kreis Euskirchen bei der Antragstellung

Ist die Bürokratie vielleicht ein Hemmschuh? Nicht unbedingt, sagt Jagnow, es sei auch eine Frage der Perspektive: „Ja, ich glaube, dass es leichter gehen kann. Aber die Erfahrung nach dem Oder-Hochwasser hat gezeigt: Es kann auch viel schlimmer sein.“ Doch da will die IHK mit ihren Beratungen ansetzen, wenn etwa das Ausfüllen eines komplexen   Formulars mit zahlreichen Hinweisen zum Steuerrecht eine echte Herausforderung darstellt.

Zudem seien die Mitarbeiter mit ihren Kontakten zur Politik und ins Ministerium zur Stelle, wenn es darum gehe, einzelne Härtefälle zu lösen, die eben nicht über standardisierte Verfahren abzuwickeln sind.

Die Gutachter sind derzeit noch ein Nadelöhr

Doch Jagnow kennt auch Frustfaktoren bei den Unternehmern: Wenn Formulare angepasst werden, während der Antrag ausgefüllt wird und die Arbeit noch mal gemacht werden muss, löst das keine Freude aus. Genauso wenig, wenn durch die Versicherung ein Gutachten erstellt wurde, das für den Wiederaufbauantrag nicht verwendet werden kann, weil der Gutachter nicht den im Verfahren geforderten Kriterien entspricht. Die Gutachter, so Jagnow, seien ein Nadelöhr. Jedoch sei inzwischen der Kreis der zugelassenen Gutachter erweitert worden.

Ein weiteres Thema sind die Versicherungen. Bei manchen Unternehmen kristallisiert sich laut Jagnow nun heraus, dass sie wenig bis nichts von ihrer Versicherung erhalten. Daher geht er davon aus, dass diese nun ins Antragsverfahren gehen, um Mittel aus dem Wiederaufbaufonds zu erhalten. Er rechnet gar mit einer Antragswelle.

Die Antragsfrist soll bis 2026 verlängert werden

Hier sieht er jedoch schon das nächste Problem: Die Antragsfrist, die derzeit noch am 30. Juni endet. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat eine Verlängerung bis Juni 2026 angekündigt, auch die NRW-Landesregierung strebt diese an. Formal sind   noch ein Beschluss des Bundesrats und Vereinbarungen mit den Ländern erforderlich.

Auf die Zeitwert-Problematik hat unter anderem Landrat Markus Ramers bereits aufmerksam gemacht. „Als Restaurantbetreiber bekommt man für eine komplett abgeschriebene Küche einen Euro. Dafür bekommt man aber keine neue Küche, um das Restaurant weiterbetreiben zu können“, hatte er Ende November gegenüber dieser Zeitung gesagt. Die IHK hat sich zu dieser Thematik nicht geäußert. Und vom Ministerium heißt es nur: „Der Zeitwert ist für die Gutachten nach Vorgabe des EU-Beihilfenrechts (Art. 50 AGVO) heranzuziehen.“

Infos zu ihren Angeboten und Beratungsmöglichkeiten hat die IHK online zusammengestellt.


Die Serie: 2022 stand der Wiederaufbau nach der Flut im Fokus. Alle wissen: Es ist noch ein langer Weg. Wie läuft es bei öffentlichen Gebäuden, Straßen und Wegen? Wo hapert's? Was läuft gut? Und was ärgert die Spitzen in den Rathäusern besonders? Wir blicken in den Folgen in die Kommunen und greifen Themen auf, die alle Städte und Gemeinden betreffen.

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