Im Kreis EuskirchenRettungsdienst ärgert sich über unnötige Einsätze – Weitere Digitalisierung

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Eine Telenotärztin sitzt vor einem Bildschirm und ist mit Rettungssanitätern verbunden, die eine Schlaganfallpatientin behandeln.

Die Digitalisierung schreitet auch im Rettungsdienst voran, hier der Blick auf Bildschirme einer Telenotärztin.

Hohe Einsatzzahlen, steigende Anforderungen, Fachkräftemangel: Im Rettungsdienst im Kreis Euskirchen wird an Entlastungen gearbeitet. 

Die Zahl der Einsätze steigt kontinuierlich. Rückte der Rettungsdienst im Kreis Euskirchen im Jahr 2000 rund 17.000 Mal aus, sind es inzwischen um die 30.000 Einsätze. 29.900 waren es 2022, für 2023 ist die Statistik noch nicht abgeschlossen. Gleichzeitig steigen die Anforderungen. Und der Fachkräftemangel macht sich deutlich bemerkbar.

Was also tun? Einen Masterplan haben Martin Fehrmann, Leiter der Gefahrenabwehr im Kreis, und Thomas Mann, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes, nicht. Stattdessen seien es zahlreiche kleine Stellschrauben, durch die Entlastungen herbeigeführt werden könnten, sagen sie. Um Abläufe geht es dabei genauso wie um die Technik – Digitalisierung ist auch hier ein zentraler Punkt.

In der Leitstelle im Kreis Euskirchen gibt's jetzt 24-Stunden-Schichten

2022 ist das neue Einsatzleitsystem Cobra 4 eingeführt worden, in diesem Jahr steht der Umzug der kompletten Leitstelle in den neuen Kreishaus-Anbau an. Die Einführung des 24-Stunden-Dienstes für die Disponenten zum Jahreswechsel ist laut Fehrmann gut angelaufen.

Durch die Mitarbeiter, die in Bereitschaft vor Ort sind, könne man nun viel schneller reagieren: bei großen Einsätzen sowieso, aber auch im Kleinen. „Wenn ein Disponent durch eine Telefonreanimation gebunden ist, also ein Ersthelfer vor Ort angeleitet wird, kann ein anderer einspringen und den ,normalen' Betrieb übernehmen“, sagt Fehrmann als Beispiel.

Als Nächstes werden Nida-Pads eingeführt

Während das Großprojekt der digitalen Alarmierung nahezu abgeschlossen ist, steht das nächste schon vor der Tür – beziehungsweise liegt in Thomas Manns Büro. Es sind die Nida-Pads, die Geräte, mit denen die digitale Patientendatenerfassung im Rettungsdienst durchgeführt wird. Diese Tablets, robust gebaut, mit zwei Akkus sowie Lesegeräten für Krankenkassenkarten ausgestattet und internetfähig, sind jedoch nur ein Baustein des Systems. Vereinfacht dargestellt können künftig die Daten der Patienten vom Notruf bis zur Notaufnahme und zur Abrechnung digital und durchgängig be- und verarbeitet werden.

Zum einen sind das natürlich die persönlichen Daten der Patienten, zum anderen die Protokolle der durchgeführten Maßnahmen. Unter anderem können aber auch aus dem Rettungswagen bestimmte Vitalparameter an die Notaufnahme übertragen werden, damit das Team dort sich noch frühzeitiger und gezielter vorbereiten kann.

Eine komplette Echtzeit-Datenübermittlung ist nicht vorgesehen und wäre auch nicht sinnvoll, wie Fehrmann und Mann berichten. Kommt es zu Fehlmessungen, weil ein Rettungswagen vielleicht gerade über Kopfsteinpflaster fährt, weiß das dessen Mannschaft und kann es einordnen – in der Notaufnahme könnte das aber zu falschen Schlüssen führen.

Thomas Mann, der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes im Kreis Euskirchen, und Martin Fehrmann, Leiter der Gefahrenabwehr, sitzen an einem Tisch und betrachten ein Tablet.

Die Nida-Pads, die demnächst im Rettungsdienst eingesetzt werden, stellten Thomas Mann (l.) und Martin Fehrmann vor.

Derzeit läuft das Feintuning an dem System, in den kommenden Monaten startet ein einjähriger Testbetrieb zunächst in den Notarzt-Fahrzeugen. Danach werden auch die Rettungswagen damit ausgestattet. Logischerweise müssen die Mitarbeiter in dem neuen System geschult werden. Doch laut Mann ist es so einfach und benutzerfreundlich wie möglich gestaltet: „Wer ein Smartphone bedienen kann, macht das zweimal und hat das drauf.“

Wichtig ist für Mann und Fehrmann, „immer lagefähig zu bleiben“. Daher sind auch in dieses System zahlreiche Erkenntnisse, die im Zuge der Flutkatastrophe gewonnen wurden, eingeflossen, beispielsweise für den Aufbau der eigenen Serverstruktur. Mann: „Es hilft ja nicht, wenn wir bei der kleinsten Störung wieder mit Papier und Bleistift arbeiten müssen.“

Es hilft ja nicht, wenn wir bei der kleinsten Störung wieder mit Papier und Bleistift arbeiten müssen.
Thomas Mann

Damit das System so durchgängig wie geplant funktioniert, müssen die Kliniken entsprechende Schnittstellen beschaffen. Während diese in Euskirchen noch nicht vorhanden ist, ist man im Mechernicher Kreiskrankenhaus auf die Neuerung längst vorbereitet. Als im Frühjahr 2021 die Zentrale Notaufnahme ihren Betrieb aufgenommen hat, ist sie mit einer neu installierten Software ausgestattet worden, die über die nötige Schnittstelle verfügt.

Schnittstellen sind das eine Thema. Anforderungen, die etwas aus der Zeit gefallen wirken, sind jedoch das andere. Komplett digital und durchgängig wird das ganze Verfahren zunächst doch noch nicht werden können. So verlangen die Krankenkassen etwa noch eine händische Signatur auf dem Transportschein, so dass der ausgedruckt und unterschrieben werden muss.

Dennoch sieht Fehrmann in dem neuen System neben der Verbesserung der Abläufe einige weitere Vorteile, etwa im Qualitätsmanagement, der Patientensicherheit und -rechte, sowie durch die Art der Dokumentation auch einen Schutz der Mitarbeiter.

Das Telenotarzt-System soll im Kreis Euskirchen ausgeweitet werden

2017 ist das Telenotarzt-System nach einer Probephase im Kreis gestartet. Es wird derzeit in den Rettungsdienst-Standorten Bad Münstereifel, Euskirchen, Marmagen, Rescheid und Tondorf eingesetzt. Dabei wird ein Notarzt, der in Aachen sitzt, über Video- und Datenverbindung live in den Rettungswagen zugeschaltet. 2021 wurden im Kreis 450 Einsätze auf diese Weise absolviert, 2022 waren es 390, für das vergangene Jahr ist die Statistik nach Angaben des Kreises noch nicht fertig.

„Der Telenotarzt ist eine Ergänzung und kein Ersatz für den Notarzt“, betont Fehrmann: „An der Notarzt-Vorhaltung halten wir fest, wie sie ist.“ Das Telenotarzt-System hat sich als Unterstützung für den Rettungsdienst bewährt, wenn der Notarzt nicht oder noch nicht vor Ort ist. Daher soll es ausgebaut werden.

Im Rettungsdienst-Bedarfsplan, der in diesem Jahr vom Kreistag verabschiedet wird, soll laut Fehrmann aufgenommen werden, dass künftig alle Rettungswagen im Kreis damit ausgerüstet werden. Damit könne das Personal entlastet werden. Als Beispiel nennt Fehrmann Verlegungen eines Patienten, der stabil ist und über einen Perfusor mit Medikamenten versorgt wird, in eine andere Klinik: „Da fährt der Notarzt mit und sitzt nur neben dem Patienten.“ Stattdessen könne in „unter einem Prozent der Fälle“, das ein Eingreifen des Arztes erfordert, der Telenotarzt tätig werden.

Mitarbeiter für den Rettungsdienst werden immer gesucht

„Läuft bis 31.12.2099“: Das steht unter den Dauerausschreibungen bei den offenen Stellen auf der Internetseite des Kreises Euskirchen: Notfallsanitäter, Rettungsassistenten und Rettungssanitäter werden schlicht immer gesucht. „Wir haben weniger, als wir gebrauchen könnten“, sagt Fehrmann: „Aber der Markt ist leer.“

Das sei jedoch nicht nur im Kreis Euskirchen so, sondern flächendeckend bei den Rettungsdiensten zu beobachten. Und darüber hinaus: „Die anderen Notdienstträger klagen auch.“ Der ärztliche Bereitschaftsdienst etwa. Was wiederum zum nächsten Problem führt. Nicht besetzte Arztsitze, überaltertes Personal und die Landarzt-Problematik führt Fehrmann für den Kreis an.

Da es eben an so vielen Stellen hakt, wenden sich die Menschen häufig an den Rettungsdienst: „Der ist ja immer da.“

Unnötige Einsätze belasten das Personal im Rettungsdienst

Auch die Bevölkerung kann mithelfen, den Rettungsdienst zu entlasten: indem nicht für jedes Kinkerlitzchen die 112 gewählt wird, wenn das ganz offensichtlich nicht erforderlich ist. „Ich kann nicht schlafen“, nennt Mann als ein Beispiel. Das aber zu toppen ist – vom Sonnenbrand. Deswegen habe tatsächlich ein junger Mann den Notruf gewählt. Die Crew vom Rettungswagen habe doch bestimmt eine Lotion dafür dabei. Man habe ihn jedoch überzeugen können, sich selbst in einen Drogeriemarkt zu begeben und das Gewünschte zu besorgen.

„Nicht jeder Riss im Fingernagel ist ein Fall für den Rettungsdienst“, bringt es Fehrmann auf den Punkt: „Die steigende Zahl unnötiger Einsätze ist schädlich für das System und demotivierend für die Mitarbeiter.“ In Sachen Hochwasser gebe es inzwischen zahlreiche Informationen und Veranstaltungen zum Thema „Verhalten und Vorsorge“ – etwas Ähnliches wäre für Fehrmann auch im medizinischen Bereich angebracht.


Die digitale Alarmierung

Die Netzinfrastruktur, mit 45 Sende-Standorte eine der größten in NRW, ist aufgebaut. Die Funkmeldeempfänger sind an die Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettungsdienst und Hilfsorganisationen ausgeliefert: Zug um Zug wird nun die digitale Alarmierung im Kreis in Betrieb genommen.

Der Probebetrieb ist am 8. Januar angelaufen. Den Anfang macht der Rettungsdienst, es wird zunächst parallel auf beiden Systemen alarmiert – dem alten analogen und dem neuen digitalen. Die ersten Tage stimmen Martin Fehrmann, Leiter der Abteilung Gefahrenabwehr beim Kreis Euskirchen, positiv: „Bis jetzt sieht alles gut aus.“ Mit der Ausleuchtung sei man bislang sehr zufrieden. Dort, wo es bislang Probleme mit den analogen Empfängern gegeben habe – in Kellern beispielsweise –, funktioniere die digitale Alarmierung einwandfrei.

In dieser Woche erfolgen mehrere Probealarmierungen für alle neuen Funkmeldeempfänger. Entsprechende Rückmeldungen werden gesammelt und in der kommenden Woche ausgewertet. Ab Anfang Februar werden Feuerwehr und Hilfsorganisationen dann digital alarmiert, auch hier wird das analoge System zunächst noch parallel ausgelöst. Zudem gibt es wöchentliche Funkproben.  

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