Monumentale InszenierungDie Passionsspiele in Kelmis provozieren bewusst mit Frauenrollen

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Bei den Passionsspielen wird die biblische Abendmahl-Szene gezeigt.

Auch beim letzten Abendmahl sind in der Inszenierung von Kelmis Frauen unter den Jüngern. Vielleicht seien sie ja auch damals dabei gewesen, sagt der Hauptspielleiter.

Alle sieben Jahre finden die Passionsspiele im ostbelgischen Kelmis statt. Wir haben hinter die Kulissen geschaut.

Passionsspiele sind immer ein besonderes Ereignis. Die Passio Christi, eine monumentale Inszenierung im ostbelgischen Kelmis, macht da keine Ausnahme. Bis Karfreitag wird die Passionsgeschichte von Jesus, seine Festnahme, Anklage und Verurteilung bis zum Sterben am Kreuz elfmal dargestellt. Rund 120 ehrenamtliche Mitwirkende sind diesmal auf und hinter der Bühne aktiv, um zum Gelingen des Werks beizutragen.

1936 wurden die Passionsspiele in Kelmis zum ersten Mal aufgeführt

Dabei hat die Kelmiser Passion eine lange Geschichte.   „1936 wurde sie zum ersten Mal aufgeführt“, erzählt Hauptspielleiter Hubert Hilligsmann von den Anfängen. Damals sei sie anlässlich des 25. Jahrestags der Eröffnung der Patronage in Kelmis aufgeführt worden. Nach einem Besuch der Passionsspiele in Oberammergau hatten Kelmiser Jugendgruppen sich gesagt: „Das können wir auch.“ Und prompt den Beweis dafür angetreten.

„Die Patronage war schon alles“, sagt Hilligsmann. Schule sei sie gewesen. In der Zeit der deutschen Besatzung habe sie als Lazarett gedient. Jetzt sei sie ein  Kulturzentrum, und der Saal ist immer noch der Aufführungsort der Passionsspiele, jetzt in der 13. Auflage. Alle sieben Jahre, so die sehr graue Theorie, sollen die Spiele stattfinden. Doch besondere Ereignisse führen oft zur Verschiebung des Datums. Etwa die Corona-Pandemie, die wieder einmal für eine Verzögerung im Sieben-Jahres-Rhythmus gesorgt hat.

Der heutige Hauptspielleiter stand 1955 zum ersten Mal auf der Bühne

„Ich bin immer stolz, was   mit wenigen Mitteln produziert wird“, sagt Hilligsmann. Er ist einer der Veteranen der Passionsspiele. 1955 war er im Alter von neun Jahren zum ersten Mal dabei und hatte   gleich einen Satz zu sprechen: „Herr, ich bringe Gäste.“ Das weiß er heute noch fehlerfrei zu sagen. Über Jakob habe er sich zum Judas hochgearbeitet.

Monumentale Inszenierung

Die Passionsspiele im ostbelgischen Kelmis

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Seit 2008 leitet er die Spiele, in diesem Jahr wird er unterstützt von Marcel Henn und Raymond Schroers. Henn und Schroers stehen auch auf der Bühne, Henn als Petrus und Schroers als Joseph von Arimatäa. „Die Rolle habe ich mir gewünscht“, sagt Schroers. Wie er selbst, sei das biblische Vorbild ein Kämpfer für das Gute gewesen, der auch seinem Freund Nikodemus zur Seite stehe und Jesus im Felsengrab beerdigt habe.

„Das ist ein Virus“, sagt Hilligsmann über die Passionsspiele. Wer einmal dabei gewesen sei, sei immer dabei. Es sei wie eine große Familie, stimmt Schroers zu. „Passion heißt ja auch Leidenschaft“, betont er.

Das Ensemble hat sich bewusst für die Frauenrollen entschieden

Doch auch die Traditionsveranstaltung kämpft mit dem Wandel der Zeiten. Während früher der gemischte Passio-Christi-Chor aus den neun Chören der Gemeinde für die musikalische Begleitung sorgte, müssen jetzt Musikeinspielungen dafür herhalten. Und doch ist es gelungen, mehr als 30 neue Darsteller für die Teilnahme an den Spielen zu begeistern.   Rebecca Groffy etwa, die zum ersten Mal dabei ist. „Ich habe es 2015 gesehen und   gesagt: Das wäre etwas für mich. Ich bin auch sehr gläubig“, sagt sie. Ihre Erwartungen seien getroffen worden. „Es ist toll, es macht total Spaß“, schwärmt sie.

Doch die Veränderungen des traditionellen Passionsspieles gehen noch weiter. „Der Text ist zu 80 Prozent nahe an Oberammergau, den Rest haben wir hinzugefügt“, sagt Hillingsmann unschuldig. Doch diese 20 Prozent haben es in sich. Denn unter den Aposteln sind Frauen zu sehen, beim Abendmahl sind Frauen dabei, und auch die Mutter des Judas, Lea, hat eine hervorgehobene Position. „Wir haben das bewusst gemacht“, so der Spielleiter: Auch wenn in der Bibel nur Männer vorkämen, seien ja vielleicht auch Frauen dabei gewesen. „Wir erlauben uns das. Der eine mag es vielleicht als Provokation empfinden, ein anderer findet es aber gut“, sagt er.

Jede Aufführung ist ein Kraftakt für das 120-köpfige Ensemble

Auch die Rolle der Lea sei wichtig, denn es gehe darum, das Leid einer Mutter aufzuzeigen, deren Sohn einen falschen Weg gehe. „Am Ende liegen beide unter dem Kreuz, Jesus im Schoß der Mutter, Judas auf der Bahre, ein eindrucksvolles Bild für bedingungslose Liebe, was ja das Motto der diesjährigen Spiele ist“, so Hilligsmann.

Rund dreieinhalb Stunden dauern die Aufführungen, mit einer halben Stunde Pause. Es ist ein Kraftakt nicht nur für die Schauspieler, sondern auch für das zwölfköpfige Team, das die Kulissenwechsel zwischen den Szenen bewältigen muss. Zu den rund 75 Spielern auf der Bühne kommen rund 50 Helfer hinter der Bühne, die von den handgefertigten Kostümen über die Maske bis zum Catering zuständig sind. Seit Aschermittwoch haben täglich acht Leute daran gearbeitet, die Bühne von Karneval auf Passion umzubauen.

Bereits zum dritten Mal ist André Evertz in der Rolle des Jesus zu sehen. Die haarlosen Stellen auf dem Kopf verdeckt eine Perücke, den Bart hat er sich extra wachsen lassen. „Der war schon ein wenig grau, den habe ich nachgefärbt“, verrät der 51-Jährige lächelnd: „Ich glaube, in sieben Jahren werde ich die Rolle nicht mehr spielen.“ Sie sei eine Herausforderung. Er habe viel Text – aber auch schauspielerische Erfahrung: Er spiele auch in der Volksbühne, einer 1907 gegründeten Theatergruppe. So wartet er entspannt darauf, dass die Maskenbildnerinnen sich seiner annehmen.

Etwas nervöser ist die Frau, die in der Massenszene bei der Ankunft Jesu in Jerusalem dabei ist. „Der Puls geht hoch, die Vorfreude ist groß“, sagt sie. Während die anderen ihre Rollen seit September geprobt haben, sei „das Volk“ seit Weihnachten aktiv. Zweimal pro Woche wird   geprobt. Ihren Text weiß sie: „Hosianna dem Sohne Davids.“ Und sie gesteht: „Nachher müssen wir rufen: ,Ans Kreuz mit ihm, wir wollen sein Blut.’ Das ist schon komisch.“


Die Termine der Passionsspiele

Die Premiere der Passionsspiele ist an diesem Samstag, 4. März, 19 Uhr in der Patronage St. Louis in Kelmis, Belgien, Patronagestraße 27. Am Sonntag, 5. März, findet das Stück um 15 Uhr statt. Auch an den folgenden drei Wochenenden in der Fastenzeit wird es aufgeführt, jeweils samstags um 19 Uhr und sonntags um 20 Uhr. Die letzte Aufführung ist am Karfreitag, 7. April, 20 Uhr. Die Karten sind zum Preis von 20 Euro erhältlich.  

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