DepressionErkrankte im Kreis Euskirchen warten Monate auf Termin – doch es gibt Hilfe

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Vier Besucher versuchen sich, festgeschnallt auf zwei Brettern, fortzubewegen.

Zusammen die nächsten Schritte gehen: Beim Markt der Möglichkeiten konnten sich die Besucher auch an therapeutischen Spielen versuchen.

Mehrere Monate Wartezeit beim Psychiater sind im Kreis Euskirchen nicht selten. Zum Glück gibt es bis dahin viele Hilfsangebote.

Nachdem sie die Reha beendet hatte, sei sie in ein tiefes Loch gefallen, erzählt Schwester Theresia. Ihr wurde eine psychiatrische Behandlung nahegelegt. Die Ordensfrau, die ihr Leben der Hilfe anderer Menschen verschrieben hat, brauchte nun selbst Hilfe. Doch ihre zahlreichen Anrufe in Praxen verschlimmerten die Depression nur noch.

„Erstgespräche frühestens in einem halben Jahr“, habe es geheißen. „Manche haben gar keine Patienten mehr angenommen“, so Schwester Theresia: „Dabei wollte ich doch nur zurück ins Leben.“

Man sieht diese Krankheiten nun mal nicht auf dem Röntgenbild.
Dr. Dirk Arenz, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Ein Fall von vielen. Menschen, die der psychiatrischen Behandlung bedürfen, finden nur schwerlich fachliche Unterstützung. Und das in ihrer Situation. Ein kaum zu ertragener Zustand angesichts dessen, dass laut Krankenkassen jeder Vierte mindestens einmal im Leben eine solche Hilfe braucht, findet die Moderatorin Ingrid Schindler.

Das Bild zeigt einen der Stände auf dem „Markt der Möglichkeiten“.

Angenehme Gerüche sind Genuss und Genuss ist ein Teil der Selbstfürsorge – das wurde an diesem Stand deutlich.

Dass es im Kreis zahlreiche Angebote gibt, um diese oft bedrückenden Wartezeiten zu überbrücken, zeigte nun der „Markt der Möglichkeiten“ in der Tagesklinik des Marien-Hospitals Euskirchen in Mechernich. Nahezu 30 Angebote wurden hier an Ständen vorgestellt. Sie reichen von den Tageskliniken in Euskirchen und Mechernich über Gesprächsmöglichkeiten bei den Wohlfahrtsverbänden, sportlich-therapeutische Kurse bis hin zu kleinen Praxen, die ihre Arbeit erklärten.

„Betroffene und deren Angehörige hatten die Idee, weil die Vielzahl der Angebote nicht so bekannt ist“, erzählte Mitorganisatorin Nicole Giefer von der Selbsthilfe-Kontaktstelle in Euskirchen. Auch Schwester Theresia fand schließlich Unterstützung: „Da wurde mir geholfen, nicht durch Bewerten meiner Situation, sondern durch Verstehen.“

Rund 30 Aussteller aus dem Kreis Euskirchen stellten sich vor 

Dr. Dirk Arenz begrüßt diese Angebote. Noch mehr freut es den Chefarzt der klinischen Psychiatrie des Marien-Hospitals, dass psychische Erkrankungen wie Depression oder Erschöpfung in den vergangenen Jahren ein Stück weit aus der Tabu-Ecke herausgekommen seien.

„Die Schwelle, sich Hilfe zu suchen, ist deutlich gesunken“, sagt Arenz. Der Wermutstropfen dabei: Weil sich aufgrund der Aufklärung mehr Menschen glücklicherweise in Behandlung begeben wollen, zögen sich die Wartezeiten bei den Fachärzten und -ärztinnen in die Länge.

Daher sei es gut, so Arenz, dass die Betroffenen Anlaufstellen hätten – etwa die Selbsthilfegruppen für Depressionen und Ängste der Caritas. Christian Gehlen hat eine solche vor vier Jahren in Schleiden gegründet – und gleich 125 Anfragen erhalten. „Inzwischen sind wir immer so um die 20“, sagt Gehlen über die Teilnehmerzahl.

Psychisch Kranke haben es oft schwer im Arbeitsleben

Ab 16 wird gesplittet, Räume gebe es ja genug im Schleidener Caritas-Haus. Ein Anruf oder eine Mail bei ihm genüge und der oder die Betroffene könne kommen, um sich zwanglos mit anderen Betroffenen auszutauschen. „Kein Fahrplan, keine Checkliste. Wer reden möchte, redet, wer schweigen möchte, schweigt“, sagt Gehlen über die wöchentlichen Treffen. Nur eine Regel sei ihm heilig: „Es dringt nichts nach draußen.“

Das Bild zeigt Christian Gehlen, der die Selbsthilfegruppe Depressionen und Ängste in Schleiden gründete.

Beim Markt der Möglichkeiten stellte Christian Gehlen die Selbsthilfegruppe für Depressionen und Ängste in Schleiden vor.

Für die Psychotherapeutin Rebecca Künzel geht darum, „dass die Betroffenen nicht das Gefühl bekommen: Um mich kümmert sich keiner“. So wünschte sich ein Besucher, dass es mehr fachliche Begleitung zu den Gesprächen mit dem Arbeitgeber gebe. „Man steht als Arbeitnehmer immer so alleine da“, sagte er. Oftmals verstünden es Chefs nicht, mit diesen Krankheitsbildern umzugehen: „Das sehe ich denen auch nach, die sind ja nicht darin ausgebildet.“

Facharzt Arenz stimmt dem zu: Auch wenn sich schon viel getan habe, bedürfe es weiterer Aufklärung. Laien verstünden zuweilen nicht, dass Betroffene schon kleinste Alltagsdinge nicht mehr erledigten, so Arenz: „Das liegt nicht daran, dass sie nicht wollten, sondern daran, dass sie nicht können, weil zum Beispiel das Gedächtnis nicht mehr funktioniert.“

„Du schaffst das schon“ hilft den Betroffenen nicht – im Gegenteil

Aufforderungen wie „Stell' Dich nicht so an“ oder vermeintliche Aufmunterungen wie „Du schaffst das schon“ seien dann das Falscheste, was man tun könne: „Man sieht diese Krankheiten nun mal nicht auf dem Röntgenbild.“

Das mache es auch schwierig für die Arbeitgeber, gab Malte Duisberg, Geschäftsführer der Stiftung Evangelisches Alten- und Pflegeheim in Gemünd, zu bedenken. Weil es in dieser Einrichtung um Menschen und deren Gesundheit gehe, sei der Blick für psychische Erkrankungen bei den Mitarbeitenden vielleicht etwas geschärfter.

Dennoch sei es schwierig, den Betroffenen zu helfen, wenn die sich nicht öffneten – zum einen wegen des Datenschutzes, zum anderen, um nicht den Eindruck zu erwecken, Druck auf die Betroffenen auszuüben. Oberste Maxime sei aber immer: Menschlich miteinander umzugehen.


Hier erhalten für psychisch Erkrankte und deren Angehörige erste Hilfe 

Als Anlaufstelle für Betroffene psychischer Erkrankungen und deren Angehörige zur Vermittlung weiterer Hilfen dient die Selbsthilfe-Kontaktstelle Kreis Euskirchen, Eifelring 28, 53879 Euskirchen, Telefon 0 22 51/8 66 28 08. Auch per Mail ist die Kontaktstelle erreichbar. Die Sprechzeiten: Montag 10 bis 15 Uhr, dienstags und donnerstags 10 bis 13 Uhr und nach Vereinbarung.

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