Freilichtmuseum KommernAusstellung über einen Stoff, der die Welt veränderte

Lesezeit 4 Minuten
Projektleiterin Ann-Franziska Heinen (v.l.) und ihr Team, bestehend aus Raphael Thörmer, Alina Hilbrecht und Michelle Klaiber, freuen sich auf die Eröffnung.

Projektleiterin Ann-Franziska Heinen (v.l.) und ihr Team, bestehend aus Raphael Thörmer, Alina Hilbrecht und Michelle Klaiber, freuen sich auf die Eröffnung.

Mechernich-Kommern – Telefone, Radios, Butterdosen oder Autos – die Liste an Dingen, die aus Bakelit hergestellt wurden, ist schier endlos. Und trotzdem: Der erste Kunststoff, der es in die Massenproduktion geschafft hat, ist heute kaum noch bekannt. Dabei hatte Bakelit enormen Einfluss auf heutige Produkte, sagt Ann-Franziska Heinen, Projektleiterin und Kuratorin im LVR Freilichtmuseum Kommern, in dem sich ab Montag eine ganze Ausstellung um den Kunststoff Bakelit dreht.

Einen Arbeitsplatz nur mit Dingen aus Bakelit eingerichtet: Die Massenproduktion machte es möglich.

Einen Arbeitsplatz nur mit Dingen aus Bakelit eingerichtet: Die Massenproduktion machte es möglich.

„Alles hat damit angefangen, dass wir 2018 eine Sammlung mit mehr als 1000 Objekten angekauft haben“, berichtet Heinen. Schnell war klar, dass daraus eine Ausstellung entstehen soll. Doch lange galt es die Frage zu klären, wie die aussehen soll. Letztendlich hat sich Heinen mit ihrem Team dazu entschieden, den Weg des Produkts darzustellen – von 1907 bis heute.

Immer orientiert an seinem amerikanischen Erfinder, dem Chemiker Leo Hendrik Baekeland, der den Kunststoff aus Phenolharz nach sich benannte. Das geht aus Tagebucheinträgen hervor, die die Ausstellung begleiten. Jedem Ausstellungsstück ist ein Zitat beigestellt, so Heinen: „Baekeland war ein reger Tagebuchschreiber und hat alles notiert. 60 Bücher gibt es.“

Es begann mit Lichtschaltern

Der erste Einsatzort von Bakelit war in Schalter und Steckdosen. Der große Vorteil des Stoffs: Er leitet nicht. Wärme oder Elektrizität gehen nicht auf den Kunststoff über. Damit löste Bakelit die Porzellan-Schalter ab.

Ein weiterer Vorteil: Einmal in Form gepresst, war Bakelit so gut wie unzerstörbar. Selbst hohe Temperaturen machten dem Stoff nichts aus. Kein Wunder also, dass die ersten Hauptabnehmer damals Siemens und AEG waren. Es gab Bakelit als Granulat oder Lack. 160 Grad reichten zum Pressen des Granulats in festen Kunststoff aus, um ihn widerstandsfähig zu machen.

„FormVollendet –- Bakelit verändert den Alltag“

Nach rund zwei Jahren Recherche rund um den Kunststoff Bakelit eröffnet das Freilichtmuseum Kommern am Sonntag die Ausstellung „FormVollendet – Bakelit verändert den Alltag“. Coronabedingt ist die Ausstellung am Sonntag zunächst nur für geladene Gäste zugänglich. Ab Montag öffnet die Ausstellung für alle Besucher.

Voraussichtlich bis zum 19. Februar 2023 wird die Ausstellung laufen. Auf der Webseite des Museums soll ein Begleitprogramm veröffentlicht werden. Unter anderem sind Führungen durch die Ausstellung geplant, bei denen die Besucher das in Form pressen des Kunststoffs vorgeführt bekommen sollen. Die spezielle Presse ist eine Leihgabe des LVR Industriemuseums in Oberhausen.

Im Museum gilt die 2G-Regel, in Restaurants die 2G-plus-Regel. Seit vergangenem Jahr sind auch Onlinetickets erhältlich. (jes)

Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem Bakelit-Lack unter anderem dazu eingesetzt wurde, die Holz-Propeller von Flugzeugen witterungsbeständiger zu machen, erkannten auch Designer den Wert. In den 1920er-Jahren versuchten Designer mit Bakelit Holz zu imitieren.

Obwohl der Kunststoff etwas Neues war, war er kein Luxusgut, weiß Heinen. „Es macht viel eher den Eindruck, als versuchten die Menschen, günstige Massenprodukte damit herzustellen.“ So hat Kodak beispielsweise ein Kameragehäuse komplett aus Bakelit gefertigt – ein Coupon-Produkt für den Supermarkt, so wie es heute für Sammelpunkte Messer gibt. „Wir haben eine Werbeanzeige für ein Telefon von 1933 gefunden. Da kostete der Apparat in Schwarz ein Pfund, in Braun 1,50 Pfund“, sagt Heinen.

Bakelit war ein Massenprodukt

In den 20er-Jahren wurde versucht, den Stoff einzufärben. „Das war aber sehr schwierig. Warum, ist allerdings nicht wirklich klar“, sagt Heinen. Die typische Farben waren Schwarz und ein Braunton. Manche Hersteller tricksten und vermischten Bakelit mit Fasern, die gefärbt waren, um eine Marmorierung herzustellen. Eine andere Firma färbte den Kunststoff nachträglich ein, beispielsweise für Schmuck aus Kunststoff. „Bakelit war Vorreiter für Schmuck aus Kunststoff“, weiß Heinen.

Nicht nur Telefone oder Kamera-Gehäuse wurden aus dem Phenolharz gefertigt, auch im Trabbi ist der Stoff verbaut.

Nicht nur Telefone oder Kamera-Gehäuse wurden aus dem Phenolharz gefertigt, auch im Trabbi ist der Stoff verbaut.

Auch im Zweiten Weltkrieg wurde Bakelit rege eingesetzt, um knappe Rohstoffe wie Holz und Metall kostengünstig zu ersetzen. Der sogenannte Volksempfänger, ein Radio als Propagandainstrument, war ebenfalls aus Bakelit. Die Nationalsozialisten suggerierten, dass Bakelit etwas von ihnen sei, was dem Erfinder Baekeland wohl gar nicht gefallen habe, sagt Heinen.

Das sei in Tagebucheinträgen nachzulesen. „Baekeland ist zwei- bis dreimal während der Zeit der Nationalsozialisten von Amerika nach Berlin gereist und hat Vorträge an der Universität gehalten. Er hat sich in seinem Tagebuch darüber gewundert, dass die Studierenden sich nicht mehr gegen das Regime auflehnen“, sagt Heinen.

Ein Auto aus Kunststoff

Selbst ein Auto wurde aus dem Kunststoff hergestellt – der Trabbi. Nach dem Krieg gab es in Deutschland zwei Werke – eines im Westen bei Iserlohn, welches heute noch besteht, und eines in Ostdeutschland bei Erkner. In Ostdeutschland wurden Phenolharze dann unter dem Namen Plastadur produziert und mit einem Baumwollgemisch verarbeitet. Die Produktion in Erkner startete 1910 fast zeitgleich mit der Produktion in Amerika und ist damit das erste Werk mit Massenproduktion gewesen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Noch heute werden Phenolharzprodukte produziert, beispielsweise als Bremsscheibenbeläge und Hitzeschilde. Sie sind allerdings wie zur Entstehungszeit eher wieder „verschwunden“, so Heinen.

KStA abonnieren