Im Dienst der Gemeinde NettersheimWilfried Pracht geht nach 48 Jahren in Pension

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Nach 16 Jahren als Bürgermeister und einem knappen halben Jahrhundert im Dienst der Gemeinde Nettersheim verlässt Wilfried Pracht am Monatsende das Rathaus und übergibt das Chefbüro an Norbert Crump.

Nach 16 Jahren als Bürgermeister und einem knappen halben Jahrhundert im Dienst der Gemeinde Nettersheim verlässt Wilfried Pracht am Monatsende das Rathaus und übergibt das Chefbüro an Norbert Crump.

Nettersheim-Zingsheim – „Das hatte ich mir anders vorgestellt“, sagt Wilfried Pracht über seinen Abschied aus dem Amt. Auf vier Treffen mit den verschiedenen Abteilungen inklusive Bauhof, Raumpflege und Kindergärten hat er seine offizielle Verabschiedung schon gestreckt, doch nun müsse er auch die coronabedingt absagen. Insgesamt 260 Menschen, Mitarbeitern und Kollegen, von denen er sich gerne persönlich verabschiedet hätte, müsse er nun Absagen schicken: „Das fällt mir schon sehr schwer.“

Sein Arbeitseifer ist nicht erloschen, so knapp vor der Pensionierung Ende des Monats. „Das ist heute der vierte Termin“, sagt er schmunzelnd. Zeit und Muße, Rückschau über sein Arbeitsleben zu halten, habe er noch gar nicht gehabt. Die Schließung der Eifelhöhen-Klinik, die Borkenkäferplage und nun das Coronavirus: Seit Pracht vor einem Jahr angekündigt hat, nicht mehr zur Wahl anzutreten, ist es turbulent. Bis zur Amtsübergabe an seinen Nachfolger Norbert Crump will er keine Pause machen. „Das ist eine schwierige Phase, die wir durchleben.“

Zur Person

Geboren wurde Wilfried Pracht am 5. November 1956, verheiratet ist er seit dem 14. Juli 1982 mit Gabriele Pracht. Das Paar hat drei Kinder: Thomas, Manuela und Elisa.

Vor 48 Jahren, am 1. Juli 1972, begann Pracht seine Ausbildung zum Verwaltungsangestellten bei der Gemeinde Nettersheim. 1974 wurde er bei der Kommune angestellt, 1978 startete er als Inspektorenanwärter seine Beamtenlaufbahn.

1979 übernahm er dann die Leitung des Bauhofs, 1981 wurde er Beamter. 1997 wurde Pracht zum zweiten Stellvertreter des Gemeindedirektors ernannt, war im Bereich Natur- und Umweltschutz, Bauamt, Bauhof, Naturzentrum, Jugendgästehaus tätig. 1998 folgte die Bestellung zum Allgemeinen Vertreter.

Zum Bürgermeister wurde Pracht erstmals 2004 gewählt. 2009 und 2015 wurde er wiedergewählt. Einen Gegenkandidaten hatte er bei keiner Wahl. Die Zustimmung betrug 2004 noch „dürftige“ 72 Prozent, bei den beiden folgenden Wahlen waren es jeweils 82 Prozent. (sev)

Und dann nimmt er sich doch die Zeit für eine Rückschau, die weiter in die Vergangenheit geht als die 48 Jahre Tätigkeit im Zingsheimer Rathaus. Denn eigentlich habe er eine Karriere als Bürgermeister gar nicht auf dem Schirm gehabt. „Ich war glücklich über eine Ausbildungsstelle bei der Oberfinanzdirektion Köln“, erzählt er. Die Bewerbung bei der Gemeinde war da schon vergessen. Doch sein Vater und der stellvertretende Gemeindedirektor hätten ihn dann zu einem Termin ins Rathaus geholt.

„Ich werde nie vergessen, wie ich da saß und die auf mich einredeten, ich aber gar nicht wollte“, berichtet Pracht. Der Hintergedanke sei die Annahme gewesen, dass eine Tätigkeit „auf dem Amt“ gut vereinbar sein könnte mit abendlicher Mitarbeit in der elterlichen Landwirtschaft mit rund 40 Milchkühen. „Was ich auch sehr intensiv jahrelang gemacht habe“, erzählt Pracht. Da habe er viel Herzblut hineingebracht.

Das System Nettersheim

Als haushalterisches Musterkind kann Nettersheim immer wieder ausgeglichene Budgets ausweisen. Immer wieder erhält die Gemeinde stattliche Summen an Fördermitteln, um ihre Vorhaben zu verwirklichen. Doch damit, einfach Anträge auszufüllen, ist es nicht getan, macht Wilfried Pracht deutlich.

Das „System Nettersheim“ ist in den 1980er Jahren entstanden, als die Massenarbeitslosigkeit Sorgen bereitete. Nettersheim führte im großen Stil Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durch. „Das hat mich 15 Jahre stark begleitet“, erinnert sich Pracht, damals Leiter des Bauhofs. Jedoch: Nettersheim war Ausgleichsstockgemeinde, aus dem Haushalt war nichts zu finanzieren. „Einerseits sollte ich viele Leute einsetzen, aber auf der anderen Seite war kein Geld für Material oder Fahrzeuge da, da musste man erfinderisch sein.“ Die Lösung war die Kombination aus Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Förderprojekten. Viele Dinge wie Spielplätze in den Orten, Trockenmauern, Sportplätze oder geologische Aufschlüsse seien umgesetzt worden. „Spätestens als die Eröffnungsbilanz 2009 aufgestellt wurde, konnten wir sehen, was in dieser Zeit an Werten entstanden ist“, so Pracht.

Die Flurbereinigung war ein weiteres Instrument, das sein Vorgänger Hermann-Josef Mießeler nutzte. Landwirtschaftlich gut zu nutzende Flächen aus Besitz der Gemeinde brachte er ein, um im Gegenzug archäologisch oder geologisch wertvolle zu erhalten, die Grundstock für zahlreiche Projekte wurden. Wichtig sei dabei gewesen, dass die wissenschaftlichen Grundlagen in den 70er und 80er Jahren mit Unterstützern wie Prof. Werner Kasig, Prof. Wolfgang Schumacher oder Prof. Heinz Günter Horn gelegt wurden.

Das Vertrauen der Ministerien in Düsseldorf gehört ebenso dazu. Voraussetzung dafür sei Einigkeit im Rat. „Die lesen auch Zeitung“, so Pracht: „Solange wir einvernehmlich unterwegs sind, haben wir die Unterstützung des Landes.“ Auch die Zusammenarbeit der Bürger und Vereine spiele eine Rolle. „Das kann mit Umwelt- und Naturschutz nur funktionieren, wenn Bevölkerung und Vereine mitgehen“, macht er deutlich. Das Erfolgsrezept sei, Dinge mutig anzugehen, und das Ziel nie aus den Augen zu verlieren. (sev)

Bereits im Alter von 23 Jahren wurde ihm die Bauhofleitung übertragen. Schon früh sei sein Arbeitstag länger als acht Stunden gewesen. 80 oder 90 Leute habe er zu beschäftigen gehabt: „Da war früh meine Kreativität gefragt.“ Seine Erfahrungen aus der Landwirtschaft konnte er gut einsetzen. „Was handwerkliche oder praktische Dinge anging, wusste ich zumindest, wie es ging“, sagt er und lacht. 2500 Menschen hat die Gemeinde dabei über die Jahre beschäftigt.

In den 1980er Jahren sei in den Nachbarkommunen oft über Nettersheim gelacht worden. „Die mit ihrem grünen Kram“, habe es geheißen. Auch dass die CDU außerhalb der Gemeinde Themen wie Natur- und Umweltschutz kaum gewogen war, habe keine Rolle gespielt. Parteipolitisch seien sein Vorgänger Hermann-Josef Mießeler und er „mehr als neutral“ gewesen.

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Pracht macht keinen Hehl daraus, dass die Tätigkeit im Bauhof ihn geprägt hat. In seiner Lehre, so erzählt er zum Beispiel, habe er die rund 800 Kilometer Feldwege der Gemeinde alle abfahren müssen, weil damals, ähnlich wie aktuell, ein Förderkonzept dazu erstellt werden musste. Heute kennt er noch fast jeden Weg, Straßenbelag oder Regeneinlauf aus dem Effeff.

„Wenn sich einer aus den Orten mit mir darin messen will, der muss sich warm anziehen“, lacht er. Das Wissen nehme er nun mit, das kriege er nicht mehr vermittelt, fügt er vergnügt hinzu. Angst vor Bedeutungsverlust nach Aufgabe seines Amtes habe er nicht. Bürgermeister zu werden, sei schließlich nie sein Ehrgeiz gewesen. Beworben habe er sich um die Nachfolge Mießelers, um das Erreichte nicht zu gefährden, sagt er.

Amtszeit brachte auch Schattenseiten mit sich

Manche Daten schießt Pracht aus der Hüfte, etwa den 12. Mai 1989, als das Naturzentrum mit Ministerpräsident Johannes Rau und Umweltminister Klaus Matthiesen eröffnet wurde. Oder den 23. April 1992, als das Jugendgästehaus eröffnet wurde. Als Schattenseiten seiner Amtszeit nennt er den Tod von Wegbegleitern wie Dr. Imke Ristow oder Reiner Pützer.

Dass der bürgernahe und humorvolle Pracht auch anders kann, hat so mancher Gegner erleben dürfen. „Wenn ich als Anwalt der Bürger unterwegs bin und da steht jemand im Weg, habe ich gekämpft“, sagt er. Doch es gebe keinen, mit dem er sich im Nachhinein nicht wieder unterhalten würde.

„Ich gehe mit einem hohen Maß an Zufriedenheit“, resümiert er. Nicht alles sei fertig geworden, und mit Corona stehe eine schwere Phase bevor. Doch für ihn heißt es nun Abschied nehmen. Ehrenamtliches Engagement hat er versprochen. Privat stehen Bildungsreisen mit seiner Frau Gabriele auf der Liste. „Ich habe mir vorgenommen, alle Landes- und europäischen Hauptstädte zu besuchen.“

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