Auch Trump lief drüberDer Rote Teppich für Promis und Politiker kommt aus der Eifel

Auf diesen alten Webstühlen aus den 1950er Jahren entstehen die Roten Teppiche für Staatsbesuche in Deutschland.
Copyright: Max Grönert
Eifel – Selten war es leichter, für eine Reportage den roten Faden zu finden. Er zieht sich von einer Kokosplantage und den Garnspinnern im fernen Sri Lanka durch den Überseehafen von Antwerpen, von dort weiter über die Autobahn 48 von Koblenz nach Trier mitten durch die Eifel zur Ausfahrt Manderscheid, dann über Berg und Tal bis in ein Örtchen mit 330 Seelen, das man liebevoll als Eifel-Kaff bezeichnen darf.
Willkommen in Eisenschmitt. Hat der Faden diese scheinbar gottverlassene Gegend erreicht, ist er noch nicht rot, sondern Teil eines 165 Kilo schweren Ballens mit Kokosgarn im Rohzustand, der zusammen mit seinen Kollegen unter Einsatz eines Gabelstaplers im Innenhof der einzigen in Deutschland noch verbliebenen Kokosweberei abgeladen wird. Willkommen in der Mechanischen Kokosweberei August Schär KG, gegründet 1929 und anscheinend dermaßen aus der Zeit gefallen, dass man gewillt ist, an der schlichten Holztüre Eintritt zu bezahlen und einen Audio-Guide – wie das für Museen üblich ist.
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Den Stapler fährt der Chef persönlich, den musealen Charakter seiner Manufaktur will er gar nicht bestreiten. Im Gegenteil: Georg Fritzsche (64) ist stolz auf diese Tradition und erzählt erst einmal die Geschichte, dass er um ein Haar die Firma vor mehr als 30 Jahren verlassen hätte, weil sein Vater partout keinen Gabelstapler anschaffen wollte. „Wenn hier ein Lastzug mit dem Rohmaterial kam, hat die ganze Firma stillgestanden. Da mussten alle anpacken, von Hand abladen und aufstapeln. Ich habe mit ihm den dicksten Krach bekommen, weil ich einen gebrauchten Stapler suchen wollte. Ich war drauf und dran, wieder zu gehen und anderswo zu arbeiten.“
Stapler und Computer sind neu
Der Stapler ist neben einem Computer so ziemlich die einzige Investition in die Neuzeit der Kokosweberei. Doch bevor wir jetzt an der Reportage weiterspinnen, lassen wir den Faden doch erst einmal rot werden. Denn das ist nicht nur für Fritzsches Unternehmen von enormer Bedeutung, sondern für den Bundespräsidenten, die Bundeskanzlerin und die Mächtigen dieser Welt.

Die Kokosweberei ist sein Leben: Georg Fritzsche (64)
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Wird irgendwo in Deutschland ein Roter Teppich gebraucht, hat Georg Fritzsche den Auftrag schon in der Tasche. Das nennt man wohl ein Monopol. Jeder Läufer aus der gewebten Kokosfaser, nach deutschem Protokoll exakt zwei Meter breit, stammt aus Eisenschmitt. US-Präsident Donald Trump hat beim G 20-Gipfel darauf gestanden, sein Amtsvorgänger Barack Obama im Mai 2017 vor dem Bundeskanzleramt in Berlin, Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschland-Besuch im September 2011. 3500 Quadratmeter Neuware. Ein lukratives Geschäft, über dessen Einzelheiten aber nicht gesprochen wird, weil die Öffentlichkeit immer gleich so kritisch ist, wenn für den Papst so viel Geld zu Repräsentationszwecken ausgegeben wird. „Der Papst ist immer der beste Kunde“, sagt Fritzsche. „Da wird kein gebrauchter Läufer irgendwo aus dem Keller geholt. Da wird immer Neuware bestellt. Das Zeug geht ja nicht kaputt, die Dinger halten locker 20 Jahre. Sie verblassen halt irgendwann. Nur die schwarzen Spuren von gut gewichsten Stiefeln, die kriegt man nicht mehr raus. Das ist dann gut für uns.“
3500 Meter langer Teppich
Zu den Meister-Dienstleistungen des Unternehmens zählt ein 3500 Meter langer Roter Teppich, den die Stadt Dortmund während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 vom Rathaus bis zum Westfalenstadion verlegen ließ. Zum 125-jährigen Bestehen von Karstadt bestellte der damalige Vorstandschef Thomas Middelhoff 8000 Quadratmeter. „Das kam auf den letzten Drücker, da mussten alle ihren Urlaub verschieben.“Spinnen wir also den immer noch naturfarbenen Faden weiter. Georg Fritzsche lässt den Stapler stehen, die abgeladenen Ballen werden geöffnet und gelockert, die Fäden nach Stärke sortiert. Dann geht es in die Hexenküche. Es dampft und brodelt in den großen Betonbecken. Bei 90 bis 100 Grad wird das Rohmaterial durchgefärbt. „Die Faser ist wie Holz. Die schwimmt, saugt sich voll, säuft ab und wird durchgefärbt“, brüllt Fritzsche gegen den Lärm an. „Danach wird aufgekocht. Wir haben hier Dampfleitungen in der Decke wie beim Rasensprenger. Wir färben ja nicht die Fasern, sondern das fertig gesponnene Garn. Das muss richtig kräftig durchgefärbt werden.“ Und da ist er dann – der rote Faden. Er wird in riesigen Zentrifugen geschleudert, in Öfen mit zwei Meter hohen Türen getrocknet und auf Spulen gezogen.
Wer mit Günter Klein reden will – und das ist unverzichtbar, will man den Faden nicht gleich wieder verlieren – muss zunächst die Ohrstöpsel rausnehmen und die Staubmaske von Mund und Nase entfernen. Klein ist 77, längst Rentner, aber für die August Schär KG unverzichtbar. Klein und die Webstühle, nur unwesentlich jünger, sind eine Einheit. Letztere stammen aus den 1950er Jahren, der Wirtschaftswunder-Zeit, und es gibt kein Teil, dass der Schlosser nicht schon ausgebaut, repariert, ersetzt und oder wieder eingesetzt hat. Fritzsche weiß, welches unschätzbare Wissen sein ältester Mitarbeiter in sich vereint. Deshalb hat er ihm schon länger einen Kollegen zur Seite gestellt, damit dieses Wissen nicht verloren geht. Man kann ja nie wissen. Und die Webstühle müssen durchhalten. Für immer. Original-Ersatzteile gibt es längst nicht mehr, aber dank Lasertechnik und moderner Fräsmaschinen lassen sich diese heute deutlich leichter herstellen.

In großen Betonbecken wird das Rohmaterial durchgefärbt.
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Die Roten Teppiche seien für Außenstehende zwar das interessanteste Produkt, „aber sie sind nicht unser Hauptgeschäft“. Fritzsche nutzt jede Nische, die sich auftut, für neue Produkte. Sein Unternehmen produziert edle Fußmatten für Raumausstatter und für die Manufactum-Kette, stellt Fußmatten für Oldtimer wie den Opel Kadett aus den 1960er Jahren nach alten Vorlagen her, die sich vom Original nicht unterscheiden, Kokosmatten-Läufer als Meterware für Treppenhäuser in sanierten Altbauten, Beißärmel für die Ausbildung von Schutzhunden in Frankreich und den USA. „Im Grunde alles, was nicht in großen Stückzahlen und deshalb ganz individuell gefertigt werden muss. Das sind unsere Kunden.“
Sohn Alexander (33), eines von fünf Kindern, ist nach einem Betriebswirtschaftsstudium ins Unternehmen eingestiegen und kümmert sich unter anderem um den Online-Handel. Der Senior weiß, wie wichtig das ist, kann aber selbst nichts damit anfangen. „Bisher ist unsere Kundenklientel der Facheinzelhandel, die Inhaber geführten Geschäfte. Aber die werden ja jeden Tag weniger. Das ist halt der Gang der Zeit. Dem kann ich mich nicht verweigern.“Klar gebe es auch Reibereien mit seinem Sohn. „Wir haben uns darauf verständigt, dass ich ihm immer recht gebe. Und es wird trotzdem gemacht, was ich sage.“ Fritzsche schmunzelt. Er kennt seine Schwächen, Den neuen Gabelstapler habe man aber einvernehmlich angeschafft. Sich zur Ruhe zu setzten, dem Sohn das Geschäft zu überlassen, würde ihm schwer fallen. „Das Unternehmen ist mein Leben. Ich kenne nichts anderes. Ich wüsste nicht, wie ich das hinkriegen sollte.“
Dass Eisenschmitt in Sachen Internet und Mobilfunk-Empfang lange ein Tal der Ahnungslosen war, hat sich vor kurzem geändert. Was weniger damit zu tun hat, dass bedeutende Politiker immer wieder über rote Teppiche aus dem Hause Schär gelaufen sind als mit der Tatsache, dass Georg Fritzsche selbst Politiker ist. Ortsvorsteher von Eisenschmitt – und das seit 1989. Man müsse halt immer am Ball bleiben, schließlich beschäftige er 18 Mitarbeiter und Jobs in der Eifel seien rar.
Der Chef krempelt mal wieder die Ärmel hoch, marschiert durch die Produktion, die Webstühle klappern, und schwärmt von der Kokospalme. Das sei der Baum des Himmels. „Aus einer Kokosnuss kann man alles machen. Bei der Hitze in Sri Lanka schmeckt die Milch wie ein kühles Bier. Die Fasern faulen nicht, man kann sie in Wasser legen, sie sind schwer entflammbar, antistatisch und resistent gegen jedes Ungeziefer.“ Und man kann Teppiche aus ihren Fasern machen, die sich mit ihren roten Fäden aus dem kleinen Eisenschmitt durch die Weltpolitik ziehen.