Gegen die SchamEifeler Caritas will mit Modellprojekt bei Altersarmut helfen

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Das Symbolbild zum Thema Altersarmut zeigt die Hände einer alten Frau, die in ein Portemonnaie schaut, in dem sich ein Fünf-Euro-Schein befindet.

Auch bei Altersarmut will die Eifeler Caritas in einem Modellprojekt noch gezielter helfen.

Vertraute spielen für die Beraterinnen der Caritas Eifel eine wichtige Rolle im neuen Modell der Schuldnerberatung für Senioren.

Versteckt, verdeckt, verschämt. Im Zusammenhang mit Altersarmut werden zahlreiche Attribute verwendet, die zeigen, dass das Thema auf der Agenda, aber vieles unklar ist. Und: Zu helfen ist nicht möglich, wenn die Fälle nicht bekannt sind. Abhilfe schaffen soll ein Projekt, bei dem die Caritas für die Region Eifel eine von bundesweit zehn Modellregionen ist. Sozialräumliche soziale Schuldnerberatung für Senioren – ein wahres Wortmonster ist der Titel des vom Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz geförderten Programms, durch das auch Erkenntnisse zum Thema Altersarmut gewonnen werden sollen. Das Kürzel Sososchu ist da schon griffiger. Dafür, dass es in der Region mit Leben gefüllt wird, sorgen Annette Schäfer und Andrea Zens.

Dass der Bedarf besteht, beobachten beide in der Praxis: Zens ist seit 1991 in der Schuldnerberatung der Caritas aktiv und sieht aktuell einen Anstieg von 10 bis 15 Prozent in ihrem Bereich Mechernich. Waren es zuvor rund 160 Beratungen pro Jahr, sind es derzeit um die 180 –   für ihre Kollegen in Schleiden, Kall und Hellenthal dürften die gleichen Zahlen noch obendrauf gepackt werden. In der Fluthilfe der Caritas im HIZ in Gemünd arbeitet Schäfer, auch sie verzeichnet in den vergangenen Wochen einen erhöhten Beratungsbedarf.

Vertraute sollen eine Art Türöffner für die Beraterinnen sein

Aus ihrer Arbeit sind beide es gewohnt, dass die Menschen zu ihnen kommen, wenn sie Rat und Hilfe brauchen. Das Sososchu-Konzept sieht dagegen die aufsuchende Arbeit vor: Die Beraterinnen kommen zu ihren Klienten – etwas, das Zens noch aus den Anfängen ihrer Arbeit kennt, das aber aufgrund der Distanzen in der Eifel und angesichts steigender Fallzahlen zurückgefahren wurde.

Die Caritas-Beraterinnen Annette Schäfer (l.) und Andrea Zens (M.) stehen an den geöffneten Türen eines der Autos, mit denen sie unterwegs sind. Bei ihnen steht Leiterin Soziale Arbeit bei der Eifeler Caritas, Christiane Kaufmann (r.)

Mobil unterwegs sind die Beraterinnen Annette Schäfer (l.) und Andrea Zens (M.), hier mit der Leiterin Soziale Arbeit bei der Eifeler Caritas, Christiane Kaufmann.

Im Projekt, das zunächst bis August 2025 befristet ist und in dem vorrangig nicht mobilen Menschen geholfen werden soll, müssen sich die Betroffenen nicht selbst melden. Hinweise nehmen die Beraterinnen aus dem Umfeld, in der Regel sind es Vertraute, entgegen: Das können die Kinder sein, die Nachbarschaft oder Pfarrgemeinde, aber auch die Fluthilfe oder die Kommune. Die informieren die Beraterinnen und dienen als eine Art Türöffner, um für die Betroffenen den Weg zu diesem oft schambesetzten Thema zu ebnen. Bei Seniorenclubs und in verschieden Einrichtungen wird die Caritas das neue Angebot bekannt machen. Es werden Flyer gedruckt, und man setzt auf Mundpropaganda.

Der Haushaltsplan gibt einen wichtigen Überblick

„Ich bin doch nicht arm.“ „Ich geh' doch nicht zum Amt.“ Aus Furcht und Halbwissen resultierende Kommentare zu dem Thema kennen Zens und Schäfer zur Genüge. Zens beschreibt, wie der Weg zur Hilfe aussehen könnte: „Wenn ein Kind anruft, dass die Mutter ständig wegen der Finanzen kühmt und sie es zulässt,   erstellen wir mit ihr zuerst einen Haushaltsplan. Wir schauen: Was kommt rein? Was geht raus? Was sind die Fixkosten? Vor allem: Was bleibt am Ende zum Leben?“

Wenn der Betrag zu niedrig ist – eine feste Summe gibt es nicht, Zens nennt weniger als rund 1000 Euro – stehen den Betroffenen Zuschüsse zu. Wohngeld kann das sein, ergänzende Grundsicherung oder bei Betroffenen auch Fluthilfen. Leute mit hohem Einkommen können übrigens genauso betroffen sein und werden genauso beraten, so Zens: „Wenn jemand verschuldet ist, kann er auch mit 5000 Euro Rente arm sein. Die Zahlen sind andere, aber die Probleme die gleichen.“

Dass diese Beratung zwei Frauen übernehmen, die über die entsprechende Berufs- und Lebenserfahrung verfügen, schadet sicherlich genauso wenig wie ihre Sprache. „Wir machen doch kein Theorieseminar“, sagt Zens: „Wir nutzen eine sehr bildhafte Sprache. Und da geht manchem schon ein Seifensieder auf, wenn wir den Haushaltsplan ausfüllen.“ Dass sie bei den Eifelern zuweilen mit einer Menge Fingerspitzengefühl vorgehen müssen, wissen sie ganz genau. Zens: „Die Leute lassen uns auch nicht direkt ins Portemonnaie schauen – eher schon in die tiefste Ehekrise.“


Die Sososchu

Das Programm ist mit Sozialräumliche soziale Schuldnerberatung für Senioren überschrieben. Sozialräumlich steht für die Umgebung, in der die Angesprochenen leben – in diesem Fall ist der Bereich von Mechernich bis Schleiden abgedeckt. Mit sozial ist die Abgrenzung von gewerblichen Anbietern gemeint. Die Beratung ist kostenlos und umfassend, da die gesamte Existenz betrachtet wird.

Der Begriff Senioren ist recht weit gefasst: Laut Andrea Zens ist damit der 55-jährige Erwerbsunfähige genauso gemeint wie die 85-jährige Witwe: „Die können die gleichen Probleme haben, daher sind wir nicht aufs Alter fixiert.“

Erreichbar ist Andrea Zens unter Tel. 02443/9029811, Annette Schäfer unter Tel. 0173/ 2683260. Beide können auch per E-Mail kontaktiert werden. (rha)


Nach der Flut benötigen viele Hilfe

Die Flutkatastrophe bringt manche Menschen auch an den Rand der finanziellen Belastbarkeit. Im Hilfszentrum Schleidener Tal (HIZ) beobachtet Annette Schäfer bei ihrer Arbeit in der Fluthilfe der Caritas aber auch, dass es zwei Jahre nach der Katastrophe noch einige Menschen gibt, die nicht wissen, dass und welche Hilfen es gibt. Gerade bei Älteren, die oft fern der digitalen Welt seien, sei das der Fall.

Scham und Bescheidenheit sind Themen, mit denen wohl alle Fluthelfer konfrontiert werden. „Andere sind doch viel schlimmer dran“, hat auch Schäfer schon so oft gehört. Die Einstellung, dass man selbst schon klarkomme, sei in diesem Fall falsche Bescheidenheit, sagt sie.

Vermehrt kümmern sich Schäfer und ihre Kollegen im HIZ in diesen Wochen um diejenigen, die gedacht haben, es alleine schaffen zu können – und es doch nicht schaffen. Teils habe sie aktuell bis zu zwei oder drei neue Anfragen pro Tag, berichtet Schäfer. Auch hier hilft die Mundpropaganda.

Die 20 Prozent Eigenleistung sind ein Thema, bei dem Schäfer davon ausgeht, dass sie dazu noch mehr Klienten bekommen wird. Nach einer entsprechenden Bedürftigkeitsprüfung können Wohlfahrtsorganisationen wie die Caritas in solchen Fällen aus Spenden helfen.

Bei der Eifeler Caritas ist auf der Internetseite nachzulesen, dass über das weltweite Katastrophenhilfswerk Caritas International bereits rund 2,4 Millionen Euro an Spenden in der Region Eifel ausgeschüttet wurden, die im Kreis Euskirchen die Kommunen Hellenthal, Schleiden, Kall, Nettersheim, Blankenheim, Dahlem sowie einige Orte Mechernichs umfasst.

In der Fluthilfe der Caritas begleitet Schäfer einige Seniorinnen bereits seit langer Zeit. Wiederaufbauhilfe, Zusatzunterstützungen und Spenden sind da nur die finanziellen Dinge. „Ich bin teils auch ein bisschen Tochter-Ersatz“, sagt sie.

Regelmäßig wird sie, gerade aus dem Raum Gemünd und Kall, mit harten Schicksalen konfrontiert. Etwa, dass Rentner nun erfahren haben, dass ihr Haus doch abgerissen werden muss. Auch die Caritas beobachtet bei ihrer Fluthilfe, dass die Katastrophe inzwischen manche an ihre Grenzen bringt: körperlich, psychisch und auch finanziell. (rha)

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