Mobil Leben nach der FlutTanja Föhrenbach aus Gemünd hat ein Zuhause namens Wanda

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Er ist repariert, fährt und hat eine neue TÜV-Plakette: Tanja Föhrenbach freut sich über ihren alten Ford.  

Schleiden-Gemünd – Tanja und Wanda: Es ist ein noch junges Glück, das nach der Flut begonnen hat und beinahe nach wenigen Monaten zu Ende gewesen wäre – wenn sich nicht in Niedersachsen ein Beziehungsretter gefunden hätte. Was wie ein Märchen klingt, ist tatsächlich eine Geschichte über das Verlieren und Finden, über Hilfe, die erhalten und gegeben wird, über einen Weg, der zu gehen ist.

Tanja Föhrenbach, 43 Jahre alt, Hundephysiotherapeutin und Tierakupunkteurin, hat es 2018 vom Schwarzwald über den Umweg Köln in die Eifel verschlagen. Mit ihrem Lebensgefährten wohnt sie in Vlatten. Im Oktober 2020 eröffnet sie in Gemünd neben dem Hotel Friedrichs die Praxis ihres Unternehmens Vet Vitalis, das sie seit 2009 betreibt.

Eine Lücke im Südkreis Euskirchen geschlossen

Mit der Praxis schließt sie eine Lücke im Südkreis, die nächste vergleichbare Einrichtung sei, so Föhrenbach, in Euskirchen. Sie ist dienstlich in der Schweiz, als die Flut über Gemünd hereinbricht und auch Föhrenbachs Praxis zerstört. „Bleib’ bis Sonntag, mach’ deinen Job zu Ende – hier hast du keinen mehr“, habe ihr Lebensgefährte, von dem sie sich kurz zuvor getrennt hat, am Nachmittag des 15. Juli gesagt, als er sich in Gemünd ein Bild vom Ausmaß der Katastrophe gemacht hat.

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Dabei hat sie sich auf die Rückkehr gefreut – in der folgenden Woche sei ihre Praxis komplett ausgebucht gewesen, zum ersten Mal. Stattdessen stehen Formalitäten wie die Auflösung des Mietvertrags an.

Mit Rucksack, Zelt und Hunden auf dem Jakobsweg

Als das Wichtigste geregelt ist, macht Föhrenbach sich mit Rucksack, Zelt und ihren Hunden auf den Weg Richtung Frankreich. „Ich hatte die Wahl: Tagesklinik oder Jakobsweg, rumheulen oder wandern“, sagt sie. Sie braucht Zeit, sich zu sortieren, zu überlegen, wie es weitergehen soll. Und macht eine entscheidende Feststellung: „Ich will mich nicht mehr an Räume und Dinge binden. Es klingt komisch: Aber ich habe Angst, etwas zurückzulassen.“

Der Jakobsweg

240 Kilometer

Dankbarkeit und Demut sind es, die Tanja Föhrenbach nun erneut auf den Jakobsweg treiben. „So schrecklich religiös bin ich nämlich gar nicht“, sagt sie. Die Via Coloniensis, 240 Kilometer von Köln nach Trier, steht seit Montag auf ihrem Plan.

Ohne Stress

Mit Rucksack, Zelt und ihren drei Windhunden ist sie auf dem Weg. Um den Hunden den Weg durch die Stadt zu ersparen, ist sie erst in Brühl gestartet. Wichtig ist es ihr, durch ihre Eifeler Wahlheimat zu gehen, die sie so lieben gelernt hat. Stress will sie sich auf keinen Fall machen. 14 Tage hat sie für die zehn Etappen eingeplant. Wann sie wo sein wird, will sie gar nicht vorab planen. 

Die Schlafplätze

Nach Schlafplätzen, etwa in Gärten entlang des Wegs, hat sie in der Gruppe „Eifel für Eifel“ gefragt – und ist erneut von Angeboten überhäuft worden. 40 oder 50 seien eingegangen: „Ich glaube, in manchen Orten habe ich vier zur Auswahl. Der Zusammenhalt in der Eifel ist einfach faszinierend.“ (rha) 

Mit einem feststehenden Wohnwagen in Kreuzau und bei ihren Eltern im Schwarzwald hat sie zwei Anlaufstellen. Doch etwas Mobiles soll her. Allerdings: Die Preise für (relativ) neue, schicke Camper sind exorbitant. Über ein Online-Inserat findet sie in Schwäbisch Hall einen alten Ford Transit Nugget. „Er ist rot, hat vier Räder, einen Motor und ein Lenkrad“, lautet ihr Urteil. Gekauft. Ahnung von Autos hat sie ohnehin nicht, aber es ist irgendwie Liebe auf den ersten Blick. Schnell wird das 29 Jahre alte Gefährt Wanda getauft.

Wanda sorgt mit 75 PS für Entschleunigung

Wanda? „Weil sie langsam ist wie eine Wanderdüne“, sagt Föhrenbach und lacht: „Mit ihren 75 PS und zweieinhalb Tonnen entschleunigt sie mich und alle dahinter. Inzwischen genieße ich das langsame Fahren.“ Wanda bietet ihr Wohn- und Schlafzimmer, Arbeitsplatz und Bad. Ihre Praxis ist mobil, sie fährt zu ihren vierbeinigen Patienten – in der Eifel, im Rheinland, im Schwarzwald.

Doch der Genuss gerät schnell in Gefahr. Ja, Wanda rostet, vor dem nahenden TÜV-Termin sind etliche Schweißarbeiten fällig. Wirklich bedenklich wird es, als der Motor gar unschön zu klappern beginnt und Wanda noch weniger Gas geben kann als sonst. Zig Werkstätten in Eifel und Schwarzwald winken ab: „Das lohnt sich nicht mehr.“

Hilfe rostende und klappernde Wanda aus Niedersachsen

Über eine Bekannte erhält sie den Tipp, ihr Anliegen in der Facebook-Gruppe „Eifel für Eifel“ zu posten. „Ich hasse es, um Hilfe bitten zu müssen“, sagt Föhrenbach. Sie tut es trotzdem und wird überrannt von Hilfsangeboten. Entscheidend ist der Anruf von Conny aus Borken. „Dich ruft gleich Holger an, er wird sich um dein Auto kümmern. Wir lassen dich nicht hängen“, habe sie gesagt.

Es ist eines von unzähligen Beispielen des kostbaren Netzwerks, das die Fluthelfer geknüpft haben und das ein bisschen wie Ping Pong funktioniert. Die Vereine Equitrans und Fortuna hilft bahnen den Weg zu Holger Hansmann – ein Schrauber alter Schule, der sich der alten Wanda annehmen will. Mit 80 Sachen geht’s über die Autobahn, gut 300 Kilometer weit. „Die Gute hat sich gerade so noch nach Niedersachsen geschleppt“, sagt Föhrenbach. Bei der Testfahrt habe es Mechaniker Hansmann dann „den Motor um die Ohren gehauen“.

Tanja Föhrenbach kann Hilfe zurückgeben

Doch Aufgeben ist keine Option für ihn. Ersatzteile können teilweise über Sponsoren beschafft werden, Hansmann steckt viel Arbeit gratis in das Auto. Die Liste dessen, was an Wanda erledigt wird, scheint gar kein Ende zu nehmen. Doch das Gesamtprojekt gelingt – und es liegt in Föhrenbachs Budget. Die nagelneue TÜV-Plakette leuchtet grün auf dem Nummernschild, die Fahrerin strahlt übers ganze Gesicht, wenn Wanda mit einem satten Röhren ihren Dienst aufnimmt.

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Mit ihren drei Windhunden macht sich Tanja Föhrenbach auf die Via Coloniensis.

Noch während Wanda in der Werkstatt und Föhrenbach mit einem Ersatzwagen ausgestattet ist, erfährt sie von Conny, die all das eingefädelt hat, dass deren Hund einen Bandscheibenvorfall hat und es gar nicht gut aussieht. „Das ist mein Bereich. Wir versuchen es. Ich komme“, habe sie gesagt, so Föhrenbach, und sich auf den Weg nach Borken gemacht. Parallel zum Tierarzt habe sie den Hund inzwischen drei Mal behandelt. „Ich kann nicht zaubern“, sagt sie: „Aber wir haben helfen und eine schöne Zeit rausholen können.“ Und: „Es hat so gutgetan, etwas zurückzugeben. Gerade der Frau, die mir den Hintern gerettet hat.“

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Am Montag hat sich Föhrenbach zunächst mal auf den Weg gemacht (siehe „Der Jakobsweg“). Danach wird sie sich um Wanda kümmern: Neue Vorhänge stehen auf der Liste, ein bisschen am Innenausbau arbeiten. Und einen Aufkleber hätte sie gerne für die Motorhaube: „Wanda – mehr als nur ein Auto.“

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