NachhaltigkeitKreis Euskirchen soll bundesweite Modellregion werden

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Das Konzept zum Umbau des Kreises   zum nachhaltigen Wirtschaftsstandort wurde in mehreren Talkrunden erörtert.

Schleiden-Vogelsang – Es ist ein kleines Stück Zeitenwende, das sich beim „Zukunftsforum nachhaltiger Mittelstand“ im Panoramaraum in Vogelsang mit 60 Teilnehmern angekündigt hat. Denn das Konzept, dass dort unter dem Titel „Modellregion nachhaltiger Wirtschaftsstandort Kreis Euskirchen“ vorgestellt wurde, hat nicht weniger als den Umbau der Betriebe in der Region von der linearen zur Kreislaufwirtschaft zum Inhalt.

„Wir stellen das Wirtschaftssystem auf den Kopf“, skizzierte Dr. Henning Wilts vom Wuppertal-Institut das Vorhaben. Die Wirtschaft müsse von der linearen Wegwerfgesellschaft zur klimaneutralen, zirkulären Kreislaufwirtschaft umgebaut werden: „Ein ,Weiter so’ geht nicht. Wir ignorieren unsere planetaren Grenzen.“

Sparen durch Recycling

Das Artensterben und der Ressourcenverbrauch seien dramatisch, technische Entwicklungen retteten die Situation nicht. „Im Augenblick bekommen wir ein Gefühl dafür, was passiert, wenn wir nicht hart umsteuern“, sagte er mit einem Blick auf die verdorrte Landschaft des Nationalparks.

Recycling, Refurbishment (Überholung von Produkten zur Wiederverwendung und -vermarktung), Sharing, Leasing und Abfallvermeidung seien die Stichworte. „Die spannendsten Aufgaben kommen noch“, kündigte er an.

Riesige Einsparpotenziale seien dabei zu nutzen. Deren Realisierung bedeute zudem massive Wettbewerbsvorteile für Europa. Laut Wilts haben die Kosten der Unternehmen bereits vor der Energiekrise bei 1,6 Prozent für Energie und 43 Prozent für Rohstoffbeschaffung gelegen. „Da sind die Potenziale, da spielt die Musik“, machte er deutlich.

Bundesweit einmalig

Seit Mai 2021 sei am Wirtschaftlichen Entwicklungskonzept des Kreises gearbeitet worden, sagte Nomo Braun vom Planungsbüro Agiplan, das die Erstellung begleitet hatte. Damit soll der Kreis zu einer bislang bundesweit einmaligen Modellregion werden: „Nachhaltigkeit macht jeder, doch der Kreis Euskirchen hat besonderes Potenzial.“ Die Unternehmensstruktur sei mittelständisch geprägt, was eine besondere Verbundenheit mit der Region mit sich bringe.

Bei einer Befragung der Unternehmen sei die Beteiligung hoch gewesen. In den meisten Firmen spielten die Themen Fachkräfte und Nachhaltigkeit eine große Rolle. „Die Mehrheit hat Maßnahmen bereits begonnen oder geplant“, so Braun. Im Vordergrund stehen dabei die Bereiche Müllvermeidung, Mobilität und Energiesparen.

Ideen mit Leben füllen

Wie konkret bereits die Betriebe in der Region an diesem Thema arbeiten, wurde in Vogelsang in den Runden deutlich, in denen die Gesprächspartner von Moderator Sebastian Tittelbach verschiedene Beispiele für bereits realisierte Ansätze vorstellten.

Die Firma Papstar aus Kall gehörte dazu. Geschäftsführer Frank Kolvenbach und Prokurist Andreas Köller stellten die dort praktizierten Lösungen vor. Zur Abfallvermeidung wurde die Produktpalette umgestellt und statt Papier und Pappe andere Materialien in den Produktionsprozess eingeführt. So können Becher aus Mais entweder im eigenen Produktionsprozess oder in anderen Betrieben weiterverwertet werden, sodass kein Abfall entsteht.

„Natürlich Grün“ , Garten- und Landschaftsbauer aus Bad Münstereifel, verwendet beispielsweise ausschließlich wiederverwendbare und nachhaltige Produkte. Ehemalige Rettungsfahrzeuge bauen Johannes Graf und Lukas Kaesmacher mit ihrer Eschweiler Firma „sechsquadratmeter“ in mobile Büros um, die auch über eine Schlafmöglichkeit verfügen. „Generell sollten sich alle Bürger und Betriebe aufgerufen fühlen, nicht so schnell Dinge wegzuwerfen, sondern nach Weiterverwendungsmöglichkeiten oder Reparaturen zu suchen“, sagte Iris Poth, Leiterin der Wirtschaftsförderung im Kreis Euskirchen. Darüber hinaus gebe es bereits Fördermöglichkeiten für Ausbildungen zum Thema Nachhaltigkeit, teilte sie mit. (sev) 

Für die Umsetzung des Konzeptes habe der Kreis eine Förderzusage des Bundeswirtschaftsministeriums im Wettbewerb „Zukunft Region – regio nachhaltig“ über 1,5 Millionen Euro zuzüglich eines Eigenanteils von 30 Prozent erhalten, sagte Iris Poth, Leiterin der Struktur- und Wirtschaftsförderung des Kreises, die die Inhalte des Konzepts vorstellte. Bis 2026 sollten 100 Unternehmen unterschiedlicher Branchen klimaneutral sein. Mit Infoveranstaltungen und Beratungen solle das erzielt werden. Dabei gehe es um Geschäftsmodelle, nachhaltige Produktentwicklung, Optimierung von Produktionsprozessen und nachhaltigen Einkauf sowie Umstellung auf erneuerbare Energien.

Innovation in der Alten Tuchfabrik

Zentrales Element sei der Sustainable Innovation Hub, der auf 600 Quadratmetern in der Alten Tuchfabrik in Euskirchen mit Co-Workingplätzen, Experimentierräumen und Einzelbüros eingerichtet werden soll. Mit Hilfe von Kooperationspartnern sollten hier Workshops, Mentorenprogramme und Dialogveranstaltungen zum Aufbau von Strukturen realisiert werden.

Dazu kommen Aus- und Weiterbildung zur Fachkraftgewinnung, Einführung eines überbetrieblichen Mobilitätsmanagements für Gewerbegebiete und eine Förderung des nachhaltigen Tourismus. Auch soll eine kreisweite Nachhaltigkeitsbilanz erstellt werden sowie ein umfassendes Monitoring des Ressourcenverbrauchs und der Treibhausgas-Emissionen, um Einsparpotenziale und Ansätze für den Ausbau einer Kreislaufwirtschaft zu identifizieren.

Umdenken notwendig

„Die Ereignisse der letzten Zeit haben uns gezeigt, wie verletzlich unserer Wirtschaft ist“, sagte Landrat Markus Ramers. Es werde deutlich, dass die vor 50 Jahren vom Club of Rome prognostizierten Grenzen des Wachstums da seien: „Dinge, die seit Jahren in eine Richtung gegangen sind, müssen in kürzester Zeit in eine andere gehen.“

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Ein Umdenken sei in vielen Bereichen notwendig. Die Wirtschaft müsse sich abwenden von gewohnten Verfahren, habe aber angesichts von Materialengpässen und Lieferschwierigkeiten auch ein Interesse daran. Das werde Betrieben und Beschäftigten einiges abverlangen. „Aber ich traue das den Betrieben im Kreis zu“, so Ramers.

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