„Das Modell arbeitet straßengenau“Neues System von Aachener Forschern soll Schleiden mit KI vor Starkregen schützen

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Das Bild zeigt ein Fluthaus mit kaputten Fenstern und Türen.

Um Schäden zu minimieren, bedarf es guter Frühwarnsysteme. Entwickler der RWTH Aachen haben ein solches entwickelt. (Archivbild)

Forscher der RWTH Aachen entwickeln mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ein Frühwarnsystem für Starkregenereignisse. Schleiden ist Pilotkommune.

Hätte es solche Computermodelle schon vor der Flutkatastrophe gegeben, wären die Schäden wohl nicht so groß gewesen. Dr. Julian Hofmann, Maike Kuchem und Adrian Holt entwickeln aktuell ein auf künstlicher Intelligenz beruhendes Frühwarnsystem für Starkregen- und Sturzflutereignisse. „FloodWaive“ soll erheblich schneller als bisherige Systeme Überflutungsprozesse berechnen und deren tatsächliche Auswirkungen vorhersagen können. Im Schleidener Bildungsausschuss präsentierten Hofmann und Holt jetzt einen ersten Prototyp ihres Programms. Schleiden ist Pilotkommune für das Projekt.

Hofmann hat an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen über intelligente Frühwarnsysteme promoviert und arbeitet dort in den Bereichen Starkregen-Hochwasservorhersage, Hochleistungscomputer und Risikoanalysen. Adrian Holt befasst sich mit der Datenwissenschaft und maschinellem Lernen, und Maike Kuchem studiert Wirtschaftsingenieurwesen mit Fokus auf Wasserwirtschaft.

Zu sehen ist eine Karte von Schleiden mit blauen Überlutungsflächen.

Diese Computersimulation zeigt, welche Bereiche von Schleiden zu einer bestimmten Zeit bei einem Starkregenereignis überschwemmt werden.

Nach Angaben der Entwickler gibt es bislang kein effektives und flächendeckend einsetzbares Modellsystem, das Überflutungen und ihre Folgen in Echtzeit vorhersagen kann. „Mit den Messstationen kann nur die Intensität der Niederschläge gemessen werden. Es gibt aber keine Aussagen, was auf der Oberfläche passiert, wie hoch die Wasserstände und die Fließgeschwindigkeiten sind und welche Flächen überschwemmt werden“, betonte Hofmann. Andere Messstellen in Gewässern hätten nur eine sehr kurze Vorhersagezeit und könnten, wie auch bei der Flut, ausfallen.

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„Die klassischen hydraulischen Modelle werden genutzt, um Hochwassergefahren- oder Starkregenkarten zu erstellen. Das sind zweidimensionale Berechnungsverfahren, also einfache Computersimulationen“, meinte Hofmann.

Dabei würden rund 20 unterschiedliche Niederschlagsvorhersagen ausgewertet. Bei „FloodWaive“ sollen nun die Niederschlagsvorhersagen in die hydraulischen Modelle integriert werden, um so Informationen zu bekommen, was auf der Oberfläche passiert. Hofmann: „Wir wollen herausfinden, wie schnell das Wasser fließt und wo es sich sammelt.“

Dr. Julian Hofmann zeigt eine auf eine wand projizierte Abbildung.

Dr. Julian Hofmann erläuterte den Ausschussmitgliedern die Vorteile des von ihm mitentwickelten Frühwarnsystems.

Das Problem sei, dass diese Modelle aktuell eine sehr lange Rechenzeit hätten. Allein für die Berechnung einer Starkregengefahrenkarte für die Stadt Schleiden brauche man für einen Rechendurchlauf rund eine Woche. Das sei auch der Grund, warum es zurzeit noch keine Vorhersage- und Vorwarnmöglichkeiten oder Aussagen über die Auswirkungen auf der Oberfläche gebe.

„Wir haben uns die Hochwasserkarten für Schleiden angesehen und sie mit künstlicher Intelligenz kombiniert“, führte Hofmann aus. Bei der sogenannten Deep-Learning-Technologie würden spezielle Algorithmen mit riesigen Datenmengen darauf trainiert, die komplexen und hochdynamischen Zusammenhänge der Niederschlags-Überflutungsbeziehungen eigenständig zu erlernen und auf unbekannte Starkregenereignisse anwenden zu können.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Modellen erreiche die KI-Lösung einen Beschleunigungsfaktor von bis zu einer Million und ermögliche damit erstmalig dezidierte Sturzflutvorhersagen für ganze Städte und Landkreise in Echtzeit.

Im Katastrophenfall sind kurzfristige Notmaßnahmen möglich

„Die Niederschlagsvorhersagen vom Deutschen Wetterdienst können so auf die Oberfläche projiziert werden“, betonte Hofmann. „Wir können auch Schutzmaßnahmen integrieren und sehen, welche Effekte sie haben.“ Im Katastrophenfall könnten dadurch kurzfristige Notmaßnahmen der Gefahrenabwehr getroffen werden, um Menschenleben und kritische Infrastruktur zu schützen.

„Das Modell arbeitet straßengenau. Wir können mit einer Toleranz von fünf bis zehn Zentimetern vorhersagen, welche Straße wann überflutet wird“, so Hofmann. „FloodWaive“ könne in Lagesysteme beispielsweise der Feuerwehr wie EFTAS integriert werden.

„Mit der Zeit bekommt man ein Gefühl für die Folgen"

Anschließend zeigten Hofmann und Holt Computersimulationen für Schleiden mit unterschiedlichen Wasserständen und verschiedenen Zeiten. „Wir haben schnell einen ersten Prototyp entwickelt, um die Anwendbarkeit zu zeigen“, erklärte Hofmann.

„Für verschiedene Regionen in NRW können unterschiedlich starke Niederschläge von 20 bis 80 Millimeter ausgewählt und dann geschaut werden, was auf der Oberfläche passiert.“ Das System habe den Vorteil, dass man mit der Zeit ein Gefühl dafür bekomme, was die verschiedenen Niederschlagsintensitäten für Folgen hätten.

Auch für die Planung von Retentionsflächen von Vorteil

Adrian Holt wies darauf hin, dass auch Schutzmaßnahmen berücksichtigt werden können: „Was passiert beispielsweise, wenn einer der Zuflüsse mit einer Hochwasserschutzwand gestaut wird. Man kann sehen, wie hoch dann der Pegel vor und hinter der Wand ist.“ Auch für die Planung von Retentionsflächen könne das System genutzt werden.

Bürgermeister Ingo Pfennings war begeistert von den Möglichkeiten: „Wir wissen dann genau, ab wann eine bestimmte Infrastruktur nicht mehr genutzt werden kann oder Menschen evakuiert werden müssen.“ Bislang müsse man die eingehenden Meldungen solcher Programme selbst interpretieren.

System kann auch die Bodenfeuchte berücksichtigen

„Was ist, wenn die Niederschläge nicht so heftig sind, aber tagelang andauern und die Böden gesättigt sind wie bei der Flut?“, wollte Volker Meuser (UWV) wissen. „Auch das ist in dem System abbildbar“, antwortete Hofmann. Man brauche dafür Informationen über die Bodenfeuchte. Das sei mit Hilfe von Sensoren möglich. Oder mit einem System des Deutschen Wetterdienstes, bei dem ein Radar eingesetzt werde.

Manfred Müller (CDU) erinnerte an die Probleme mit den Brücken: „Weil die Durchlässe mit Treibgut verstopft waren, gab es Rückstaus. Können solche Dinge miteingerechnet werden?“ Die Auswirkungen könnten zumindest geschätzt werden, meinte Hofmann.

„Am Ende soll es ja ein Frühwarnsystem sein. Wie viele Minuten, Stunden oder Tage kann man dann verlässlich vorwarnen“, fragte der Ausschussvorsitzende Jan Griskewitz (FDP). „Das liegt an den Niederschlagsvorhersagen, die wir dann vom Deutschen Wetterdienst bekommen. Bei dem Juli-Ereignis von 2021 zeichnete sich schon zwei Tage vorher ab, dass 200 Millimeter Niederschlag fallen würden.“ Wenn Starkregenereignisse aber erst zwei Stunden vorher angekündigt würden, habe man auch nur die zwei Stunden Zeit.

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