NS-ZeitMänner aus Vogelsang für Verschleppung Tausender Ukrainer verantwortlich

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Transport von Zwangsarbeitern

Ukrainer aus dem Gebietskommissariat Dubno werden verladen. Geleitet wurde das von Walter B., 1937 „Ordensjunker“ in Vogelsang. 

Schleiden – In der NS-„Ordensburg“ Vogelsang spielte das Thema Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs gleich in zweifacher Hinsicht eine Rolle. Auf der einen Seite wurden Zwangsarbeiter auf der Anlage eingesetzt, zum anderen organisierten „Ordensburgmänner“ aus Vogelsang die Verschleppung von unzähligen Fremdarbeitern aus den besetzten Gebieten. Ihre Taten sind in der Ausstellung „Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen“ zu sehen, die für Besucher kostenlos in Vogelsang präsentiert wird.

In Vogelsang gab es 1940/41 ein Lager für polnische Zivilarbeiter, von denen ein Teil zuvor in Schmidtheim eingesetzt worden war. „Über ihre genaue Anzahl, ihre Arbeitsbereiche oder ihre Unterbringung gibt es leider keine Informationen“, sagt der Historiker Stefan Wunsch von Vogelsang IP, der die Informationen für diesen Teil der Ausstellung zusammengetragen hat.

Ab 1942 seien neben Polen auch als „Ostarbeiter“ stigmatisierte Menschen vor allem aus der Ukraine und aus Belarus in der „Ordensburg“ eingesetzt worden. Bislang konnten laut Wunsch anhand von Dokumenten 39 „Ostarbeiter“ und drei Polen nachgewiesen werden. Dabei handelte es sich um 32 Frauen und zehn Männer.

Ordensburg Vogelsang

Auf dieser Ansicht der Ordensburg Vogelsang sind oben ganz links das Krankenhaus und daneben die Baracken für die Unterbringung der Zwangsarbeiterinnen zu sehen.

„Auffällig ist, dass offensichtlich zum Teil auch Familien oder Mütter mit ihren Kindern in Vogelsang Zwangsarbeit leisteten“, berichtet der Historiker. Über die Lebensbedingungen dieser Menschen gebe es leider keine Dokumente und nur wenig Zeitzeugenberichte.

„So wissen wir beispielsweise auch nicht, was Alexandra Kilitschankowa empfunden hat, als sie im Juli 1942 als sogenannte Ostarbeiterin mit ihrer damals zwölfjährigen Tochter Elena Kilitschankowa nach Vogelsang gebracht wurde“, sagt Wunsch. Auch über das weitere Schicksal der beiden Frauen sei nichts bekannt.

Gemünder Bibliothekar bekam Zwangsarbeiter zugewiesen

Sogar Mitarbeiter der „Ordensburg“ wie der damals in Gemünd lebenden Bibliothekar Walther Bethke und Kameradschaftsführer Max Maassen bekamen im Oktober 1942 je eine Zwangsarbeiterin zugewiesen. In den Dörfern rund um die „Ordensburg“ wie in Wollseifen oder Herhahn sowie in den regionalen Wehrertüchtigungslagern wurden ebenfalls aus Osteuropa verschleppte Menschen ausgebeutet.

Viele Zeitzeugen sind mittlerweile gestorben, zum Glück wurden ihre Erinnerungen aber teilweise festgehalten. So berichtete Hilde Marquis, die damals als Sekretärin in der Verwaltung der „Ordensburg“ tätig war, dass rund 20 Zwangsarbeiter den Koks in die Heizanlage schaufeln mussten.

Ihr Essen hätten sie getrennt von allen anderen in einem eigenen Saal erhalten. Untergebracht waren die Frauen offenbar in einer der Baracken, die seinerzeit noch in der Nähe des Vogelsanger Krankenhauses standen. Dies berichtet Zeitzeuge Hubert Breuer, der damals Lehrling bei einer Baufirma in Vogelsang war.

Adolf-Hitler-Schüler berichtet von Zwangsarbeiterinnen

Richard Graser lebte als Adolf-Hitler-Schüler ab 1942 in Vogelsang. Er erinnert sich daran, dass die Arbeiterinnen in der Küche eingesetzt waren. Nach seinen Schilderungen in einem Interview war den Adolf-Hitler-Schülern bewusst, dass es sich um Zwangsarbeiterinnen handelte, mit denen man nicht habe sprechen dürfen.

Die Schüler wussten, so Graser, auch, dass diese „Ukrainerinnen uns als die kleinen Kommissare bezeichnet haben“. Wunsch würde gerne mehr erfahren über diese Menschen und ihr Schicksal: „Wenn jemand noch Erinnerungen an diese Zeit oder Dokumente hat, kann er sich gerne bei uns melden.“

Ab 1941 wurden Wunschs Recherchen zufolge mehr als 400 Lehrgangsteilnehmer sowie Funktionäre aus dem Stammpersonal der NS-„Ordensburgen“ in der deutschen Besatzungsverwaltung in den besetzten Gebieten in der Sowjetunion eingesetzt. Die meisten von ihnen arbeiteten in den dort neu geschaffenen Stadt- und Gebietskommissariaten.

Rund 80 „Ordensburgmänner“ leiteten ein solches Kreisgebiet als Gebietskommissar, vor allem in der Ukraine und in Belarus. Ein Gebietskommissar war nach Angaben von Wunsch annähernd mit einem Landrat oder einem Kreisleiter der NSDAP im Deutschen Reich vergleichbar.

Sonderausstellung mit Begleitprogramm

Die Ausstellung

Die Sonderausstellung „Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen“ ist im Besucherforum von Vogelsang täglich von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Auf mehr als 50 Tafeln und Vitrinen mit Originalfotos und -dokumenten wird das Schicksal der Zwangsarbeiter im Kreis Euskirchen und die Rolle der in Vogelsang ausgebildeten „Ordensjunker“ bei der Verschleppung beleuchtet. Der Eintritt ist frei. Einige Themen der Ausstellung werden in loser Folge als kleine Serie in dieser Zeitung vorgestellt. 

Das Begleitprogramm

Darüber hinaus gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm zur Ausstellung mit Präsentationen, Lesungen, Diskussionen, Filmvorführungen und Exkursionen unter anderem mit den Ausstellungsverantwortlichen Heike Pütz, Leiterin des Kreisarchivs, und Franz Albert Heinen, Journalist und Autor.

Die Termine in diesem Jahr: Freitag, 30. September, Panorama Saal, 17-19 Uhr:  Vortrag von Franz Albert Heinen: „Sklaven für den Endsieg – Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen 1939-45“.  Vorher, um 15 Uhr, gibt es die Möglichkeit zu einer kostenlosen Führung in Vogelsang. Samstag, 29. Oktober, Exkursion zum Friedhof Rurberg, 14-17 Uhr, Vortrag und Besichtigung der Kriegsgräberstätte, Konrad und Ben Schöller: Zur Geschichte und Bedeutung des Friedhofs Rurberg für die Opfer der Zwangsarbeit in der Region.  

Film- und Diskussionsabend

Ein Film- und Diskussionsabend mit Zeitzeugenbericht mit Dietrich Schubert, Filmemacher von diversen NS-Dokumentationen, findet am Sonntag, 30. Oktober, von 17-20 Uhr im Panorama Saal statt. Donnerstag, 10. November, Belgisches Kulturkino, Vogelsang IP in Kooperation mit dem Kreis Euskirchen, dem Arolsen Archivs, dem Bund deutscher Kriegsgräberfürsorge und Mira Moroz, Nachfahrin polnischer Zwangsarbeiter, Vortrag und Austausch „Zwangsarbeit erinnern – Impulse für die Bildungsarbeit“, Zielgruppe: Bildungsverantwortliche in der Jugend- und Erwachsenenbildung. Freitag, 18. November, Panorama Saal, 17-19 Uhr, Film und Lesung mit Mira Moroz: „Ohne Krieg wäre ich nicht“ – Zur Geschichte meiner Großeltern. Vorher, um 15 Uhr, kostenlose Führung in Vogelsang. 

Anmeldung und Kosten

Die Teilnahme an den Veranstaltungen ist kostenlos, eine vorherige Anmeldung aber nötig. Die reduzierte Parkgebühr beträgt vier Euro. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage von Vogelsang ip.

Ziel der brutalen deutschen Vernichtungs-, Ausbeutungs- und Germanisierungspolitik war es, die besetzten Territorien vollständig zu unterwerfen, einen Großteil der dort lebenden Bevölkerung zu vernichten und die besetzen Gebiete als künftigen deutschen Siedlungsraum zu gewinnen. So wurde beispielsweise ein großer Teil der landwirtschaftlichen Produktion der Ukraine nach Deutschland transportiert und so der Hungertod zigtausender Menschen in den besetzten Gebieten bewusst einkalkuliert.

Zur Arbeit der Kommissare gehörte auch immer mehr die Aushebung von Zwangsarbeitern gegen ihren Willen. So notierte Eduard Meyer, Kameradschaftsführer in Vogelsang und später Abteilungsleiter Politik beim Stadtkommissar von Kiew, am 15. Oktober 1942 in seinem Tagebuch: „Die Hauptaufgabe liegt augenblicklich beim Arbeitseinsatz von Ukrainern nach Deutschland.“

Briefe an Gemünderin belegen Zwangsrekrutierungen in Ukraine

Hermann H. war „Ordensjunker“ im zweiten Lehrgang 1936/37 und anschließend „Gemeinschaftsführer“. Danach war er als Inspekteur im ukrainischen Boshedarowka in der Nähe von Dnjepropetrowsk tätig.

Im Mai 1942 schrieb er seiner Frau Erika, die in Gemünd lebte, in einem Brief von den Zwangsrekrutierungen: „Wir haben ja sehr harte Maßnahmen durchführen müssen in der letzten Zeit, aber bei der nötigen Aufklärung bringt uns der Ukrainer doch viel Verständnis entgegen. Wir mussten allein aus meinem Gebiet 3200 Menschen zum Arbeitseinsatz nach Deutschland abtransportieren.“ Parallel habe man für den Straßenbau von Kriwoi Rog nach Dnjepropetrowsk fast 4000 Menschen und viele Wagen und Pferde stellen müssen. „Das alles wirkt sich natürlich nachteilig auf die Landwirtschaft aus.“

Hermann H. aus Gemünd hat Zwangsarbeiter rekrutiert

Als Funktionär der deutschen Besatzungsverwaltung schrieb Hermann H. seiner Frau in Gemünd über die Zwangsrekrutierungen.

Ende 1941 hatte das NS-Regime entschieden, sowjetische Zivilarbeiter auch in Deutschland einzusetzen. Die Versuche der Besatzungsverwaltung, Menschen mit Versprechungen als Arbeitskräfte anzuwerben, waren aber mehr oder weniger erfolglos. Daher gingen die Deutschen 1942 zur gewaltsamen Verschleppung der Menschen über.

Die deutsche Zivilverwaltung in den Gebietskommissariaten schreckte nicht mehr vor brutalen und zunehmend verschärften Methoden zurück, um die Zwangsarbeiter in Güterwaggons nach Deutschland zu karren. Familien sowie Angehörige der einheimischen Verwaltung wurden dazu genötigt, Menschen zum Abtransport zu stellen.

Geiselerschießungen wurden angedroht, wenn die gewünschte Zahl von Zwangsarbeitern nicht zusammenkommen sollte. Mit Greifkommandos wurden regelrechte Menschenjagden veranstaltet.

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Um Menschen bereitstellen zu können, wurden schließlich auch Kinder und Jugendliche zwangsrekrutiert. „Es hat mich schon überrascht, wie schnell die Besatzer zu brutalen Maßnahmen gegriffen haben“, sagt Wunsch. Damit habe man die Bevölkerung vor Ort massiv gegen sich aufgebracht und den Partisanenkampf befeuert.

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