Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Ausstellung im StadtmuseumWie Euskirchen nach dem Krieg den Wiederaufbau schaffte

Lesezeit 6 Minuten
Zwei Frauen und ein Mann stehen vor einem Schwarz-Weiß-Foto. Es zeigt zwei Frauen, die eine weiße Fahne schwenken.

Das Stadtmuseum Euskirchen zeigt die Sonderausstellung „Neubeginn im Frieden. Euskirchen 1945-1961“. Maja Kützemeier (l.) und Leiterin Heike Lützenkirchen, hier mit Bürgermeister Sacha Reichelt, erläuterten die Exponate.

Im Stadtmuseum läuft die Ausstellung „Neubeginn im Frieden. Euskirchen 1945-1961“. Im Rahmen der Eröffnung wurde Willi Graf zum Ehrenbürger ernannt.

Als die amerikanischen Truppen einmarschieren, liegt Euskirchen am Boden. 90 Prozent der Häuser sind durch Bomben beschädigt worden, nur 500 Menschen haben in der Trümmerlandschaft ausgeharrt, um auf das Ende des Zweiten Weltkriegs zu warten.

Nur sieben Jahre später überall fröhliche Gesichter: Die 650-Jahr-Feier wartet mit einem Festzug, Reitturnieren, Konzerten und anderen Kulturveranstaltungen auf. Und nur neun weitere Jahre später verschwistert sich Euskirchen mit Charleville (seit 1966 Charleville-Mézières), einer Stadt in Frankreich, jenem Land, das lange als Deutschlands Erzfeind galt.

Das Euskirchener Museum beleuchtet eine dramatische Zeitphase

Es ist „eine dramatische Übergangszeit“, die die neue Sonderausstellung im Stadtmuseum nach den Worten seiner Leiterin Dr. Heike Lützenkirchen abbildet. „Neubeginn im Frieden. Euskirchen 1945-1961“ lautet der Titel der Schau. „In diesen 16 Jahren passiert unglaublich viel – historisch Bedeutendes und auch Bedeutendes für die Stadtentwicklung“, sagte Lützenkirchen während einer Vorabbesichtigung für die Presse, bevor die Ausstellung am Abend des 8. Mai, am Donnerstag, eröffnet wurde, 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

In Euskirchen waren die Kampfhandlungen zwei Monate früher zu Ende gegangen, mit der Einnahme der Stadt durch die US-Streitkräfte am 4. und 5. März. Die Ausstellung setzt in ihrer Chronologie kurz vorher ein, schlaglichtartig beleuchtet sie Einzelschicksale der Kriegszeit.

Auf dem Bürgermeisteramt Sterbefall anmelden.
Anweisung eines Kriegsverletzten an seinen Sohn

So ist ein Fetzen Papier zu sehen, auf den ein Lokomotivführer, der durch einen Bombenangriff auf seinen Zug schwer verletzt worden ist, Anweisungen für seinen Sohn Phillip gekritzelt hat. Er erklärt ihm, was zu tun ist, falls er, der Vater, sterben sollte. „Auf dem Bürgermeisteramt Sterbefall anmelden“, weist er den Jungen an und erklärt ihm auch, wie er an das Sterbegeld gelangt. Doch der Vater überlebt, den Notizzettel hebt er auf.

Wir erzählen Geschichte mithilfe von Objekten, die alle eine eigene Geschichte haben“, erläutert Lützenkirchen das Prinzip der Sonderausstellung. Als weitere Quellen dienen Zeitzeugenberichte, die man sich an mehreren Medienstationen im Museum anhören kann.

Das Bild zeigt einen Schriftzug aus roten Buchstaben.

Der Schriftzug des Kinos Filmeck steht symbolisch für die Rückkehr zur Normalität nach dem Krieg.

Eine Frau schaut sich im Museum ein Schwarz-Weiß-Foto an.

90 Prozent der Gebäude in Euskirchen wurden im Krieg durch Bomben beschädigt. Ein Bild in der Ausstellung zeigt eine Trümmerlandschaft.

Nach der Kapitulation waren chaotische Zeiten angebrochen. „Es gibt kaum noch intakte Häuser, die Infrastruktur ist zerstört, die Menschen stehen vor dem Nichts“, fasst Museologin Maja Kützemeier einen Teil der Zeugenschilderungen zusammen. Die Menschen leiden Hunger. Die USA helfen mit Lebensmittelspenden, wie ein einst mit Bohnen gefüllter Jutesack illustriert, der viele Jahre später auf einem Euskirchener Dachboden entdeckt wurde.

Die Besatzer – zuerst Amerikaner, dann Briten, schließlich Belgier, die im April 1946 nach Euskirchen kommen – sind federführend beim Wiederaufbau und etablieren wieder demokratische Strukturen. Gleichzeitig sind die Euskirchener gefordert, Neuankömmlinge zu integrieren, darunter viele Vertriebene.

Beim Wiederaufbau binden die Amerikaner Einheimische ein

Die Amerikaner binden Einheimische ein wie Thomas Eßer, Gegner des Nationalsozialismus und früherer Vizepräsident des Deutschen Reichstags. „Er wird zu einem der Hauptakteure im Demokratisierungsprozess in Euskirchen“, heißt es in der Ausstellung.

Lange Zeit herrscht noch Hunger, wie man auch der Chronik der Volksschule Euenheim entnehmen kann. Und lange Zeit, bis in die 50er-Jahre, werden noch Notunterkünfte errichtet, etwa im Rosental am Stadtrand, „weil sie gebraucht werden“, sagt Heike Lützenkirchen.

Charlevilles Bürgermeister umarmt und küsst seinen Euskirchener Kollegen

Mit ihren Mitarbeiterinnen Maja Kützemeier und Petra Goerge hat sie in beachtlicher Weise die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Zeit nach dem Kriegsende herausgearbeitet. Die Ausstellung wartet mit einer, angesichts der begrenzten Fläche, erstaunlichen Fülle von Informationen auf – in Form von Texten, Objekten und Fotografien.

Im letzten Abschnitt fällt eine große Schwarz-Weiß-Aufnahme ins Auge: Charlevilles Bürgermeister André Lebon umarmt und küsst seinen Euskirchener Amtskollegen Jacob Kleinertz, als sie 16 Jahre nach Kriegsende die Städtepartnerschaft besiegeln.

Ein Mann mit Schärpe in den französischen Nationalfarben spricht in ein Mikrofon, hinter ihm die Flaggen Deutschlands und Frankreichs.

Der Bürgermeister der französischen Partnerstadt Charleville-Mézières, Boris Ravignon, sprach zur Ausstellungseröffnung ein Grußwort.

Auffällig auch ein Exponat, das illustriert, wie nach und nach Kultur und Freizeitvergnügen in den Alltag zurückkehrten. Es handelt sich um den roten Schriftzug, der früher über dem Eingang des Kinos Filmeck in der Hochstraße prangte.

Eröffnet wurde die Ausstellung, wegen der vielen Gäste, im Casino. Dort sprachen Lützenkirchen und Bürgermeister Sacha Reichelt. Er hatte vorab erklärt, er sei „total begeistert“ von der Zusammenstellung. Für die musikalische Begleitung im Casino sorgte ein Cello-Ensemble der Musikschule. Reichelt war besonders froh darüber, dass Boris Ravignon, Bürgermeister von Charleville-Mézières, mit Ehefrau Sabine angereist war.

„Ich hätte es für fast unmöglich gehalten, dass du heute bei uns bist“, sagte Reichelt zu seinem Amtskollegen: „Denn der 8. Mai ist in Frankreich ein wichtiger Feiertag.“ Ravignon bekräftigte dies – aber: „Ich dachte, es ist noch wichtiger, heute die Kräfte der deutsch-französischen Freundschaft zu betonen.“


Das Museum veranstaltet öffentliche Führungen

Die Ausstellung im Stadtmuseum im Kulturhof (Wilhelmstraße 32-34) ist bis zum 8. Februar 2026 zu sehen, dienstags bis freitags von 15 bis 18 Uhr, samstags von 11 bis 15 Uhr, sonntags von 11 bis 18 Uhr.

Offene Führungen bietet das Museum jeweils am letzten Donnerstag des Monats an (Beginn um 17 Uhr), ebenso am Sonntag, 18. Mai, 12 Uhr und 14 Uhr, sowie am Sonntag, 28. September, 11.30 Uhr. Führungen für private Gruppen und Schulklassen sind nach Absprache auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich. Weitere Auskünfte unter Tel. 0 22 51/ 6 50 74 38.


Widerstandskämpfer Willi Graf zum Ehrenbürger ernannt

Im Dezember 2024 hatte der Euskirchener Rat auf Vorschlag der Stadtverwaltung beschlossen, dem Widerstandskämpfer Willi Graf posthum die Ehrenbürgerwürde zu verleihen. Die entsprechende Zeremonie wurde nun in die Feier zur Eröffnung der Sonderausstellung des Stadtmuseums eingebettet.

Dass jemand nach seinem Tod Euskirchener Ehrenbürger werde, geschehe zum ersten Mal, sagte Bürgermeister Sacha Reichelt und stellte damit die Verdienste Grafs heraus, der 1918 im heutigen Euskirchener Ortsteil Kuchenheim geboren und 1943 als Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose von den Nazis mit dem Fallbeil ermordet wurde.

Das Foto zeigt eine Frau vor einer Schwarz-Weiß-Fotografie.

Nach Anneliese Knoop-Graf und ihrem Bruder Willi Graf, den das Foto hinter ihr zeigt, ist die Euskirchener Gesamtschule benannt.

Nach der Auflösung der Willi-Graf-Realschule 2016 sei der Name des Nazi-Gegners in der Stadt kaum noch präsent gewesen. „Nun nimmt er den Platz ein, den er verdient“, erklärte Reichelt, der auch daran erinnerte, dass die Euskirchener Gesamtschule in der Zwischenzeit nach den Geschwistern Graf benannt worden ist – nach Willi Graf und seiner Schwester Anneliese Knoop-Graf (1921-2009), die ebenfalls von den Nazis inhaftiert wurde.

Reichelt zeichnete das kurze Leben des gebürtigen Kuchenheimers nach, der 1922 mit seiner Familie ins Saarland gezogen war, als Sanitäter im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde und sich als Medizinstudent in München der Weißen Rose anschloss, die unter anderem mit dem Verteilen von Flugblättern („Nieder mit Hitler“) Widerstand gegen die Nazis leistete.

Es sei wichtig, Graf in besonderen Ehren zu halten: „Sein Mut muss gewürdigt werden. Es ist unsere Aufgabe, sein Vermächtnis zu bewahren“, sagte Reichelt und fügte hinzu: „Willi Graf ist ein deutscher Held, der für seine Ideale gestorben ist.“