19 Politikerinnen und Politiker sind aus dem Euskirchener Stadtrat ausgeschieden. In ihrer letzten Sitzung fielen auch nachdenkliche Worte.
Stadtverordnete verabschiedetEuskirchener Rat verliert hunderte Jahre an Erfahrung

Die mit der Wahl am 14. September ausgeschiedenen Ratsmitglieder wurden von Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt (r.) verabschiedet.
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Nachdenkliche Töne, ein unorthodoxes Schlusswort, vor allem aber immer wieder Dankes- und Respektbekundungen – das waren einige der Zutaten, als in Euskirchen zum letzten Mal in der laufenden Legislaturperiode der Rat tagte. Bürgermeister Sacha Reichelt (CDU) verabschiedete 19 Stadtverordnete, die nach der Wahl am 14. September aus dem Gremium ausgeschieden sind – manche aus freien Stücken, andere unfreiwillig.
Für jeden und jede hatte Reichelt lobende Worte parat. „Das sind alles tolle Leute“, sagte er mit Blick in die Runde. „Es ist viel Wissen, das uns hier verloren geht.“ Der Bürgermeister wünschte den Frauen und Männern, die zwischen neun Monaten und fast 40 Jahren dem Rat angehört haben, für ihren weiteren Lebensweg alles Gute und sagte: „Ich bin Ihnen im Namen der Stadt zu großem Dank verpflichtet.“
Die Vorsitzenden der Ratsfraktionen sprachen Worte der Anerkennung
Neben Reichelt, der Urkunden und Geschenke überreichte, ergriffen die Vorsitzenden der Fraktionen das Wort, um den verdienten Kolleginnen und Kollegen ihre Anerkennung auszudrücken: Klaus Voussem (CDU), Michael Höllmann (SPD), Dr. Simone Galliat (Grüne), Arne Spitz (FDP), Josef Burkart (AfD), Ann-Christin Elpelt (Die Partei/Die Linke) und Markus Schmidt (UWV), außerdem Einzelkämpfer Cuma Kaya (Volt).
Höllmann sagte, zusammen kämen die 19 Stadtverordneten, die nun ihren Hut nehmen, auf mehr als 300 Jahre Ratsarbeit, und fügte hinzu: „Es gibt Tage, an denen wir mehr Zeit im Rathaus verbringen als mit der Familie.“ Wie groß der ehrenamtliche Aufwand in der Lokalpolitik sei, das könnten „Außenstehende wohl gar nicht richtig einschätzen“.
Das Ringen um das Gute in der Stadt hat uns alle verbunden.
Markus Schmidt ging noch weiter: „Die meisten von denen, die an der Wahlurne gestanden haben, haben nicht die leiseste Ahnung, was Kommunalpolitik für die Lebensqualität und die Bürger vor Ort leistet.“ Er spüre einen zunehmenden Mangel an Respekt. Diese Entwicklung lasse befürchten, dass die Bereitschaft, sich in der Lokalpolitik für die Gemeinschaft einzusetzen, nachlassen werde.
Voussem zog es vor, positive Aspekte hervorzuheben: Auch wenn Ratsmitglieder mit unterschiedlichen Parteibüchern längst nicht immer einer Meinung seien, so gelte doch: „Das Ringen um das Gute in der Stadt hat uns alle verbunden.“
Wie Manfred van Bahlen Lokalpolitiker wurde
Manfred van Bahlen, der 26 Jahre im Rat saß, davon 20 Jahre als FDP-Fraktionsvorsitzender, sieht die Dinge längst nüchtern. „Ich bin in die Politik gegangen, weil ich nicht über bestimmte Zustände meckern, sondern weil ich mitgestalten wollte“, erzählte er. Auslöser sei der Wunsch nach einem Fußgängerüberweg auf dem Schulweg seines Sohnes nach dessen Einschulung gewesen. „Der Überweg kam, als mein Sohn kurz vor dem Abitur stand“, lautete van Bahlens Pointe. „Dabei hatte ich mir eingebildet, dass Politik für die Bürger da ist. Längst weiß ich: Da muss man gewisse Abstriche machen.“
Ratsarbeit ist nicht immer eine leichte, aber eine schöne Tätigkeit.
Der Stadtverordnete mit der längsten Amtszeit, der sich jetzt zurückzieht, ist Josef Schleser. Der 78 Jahre alte SPD-Mann war im Mai 1986 in den Rat eingezogen. Von 2012 bis 2017 fungierte er als Fraktionschef. „Ratsarbeit ist nicht immer eine leichte, aber eine schöne Tätigkeit“, resümierte er nach mehr als 39 Jahren.
Der Beginn von Schlesers politische Tätigkeit liegt noch deutlich länger zurück. „Im Oktober 1969 war ich Sachkundiger Bürger geworden. Da gab es manche von Euch noch gar nicht“, wandte er sich an seine Kolleginnen und Kollegen. Wie heute habe schon damals gegolten: „Der Kompromiss ist das, was Demokratie ausmacht.“
Zwei Grüne Urgesteine schafften die Wiederwahl nicht
Was seine Ratsarbeit anbelange, sei er vor allem stolz auf die Gründung des Stadtbusverkehrs in Euskirchen 1995. Ein anderes Anliegen sei ihm immer der soziale Wohnungsbau gewesen, sagte Schleser.
Wie Schleser kaum wegzudenken aus dem Euskirchener Rat sind auch die langjährigen Grünen-Alphatiere Dorothee Kroll und Guido Bachem. Sie waren bei der Kandidatenaufstellung ihrer Partei vor der jüngsten Wahl auf derart schlechten Listenplätzen gelandet, dass sie nun den Wiedereinzug in die Stadtvertretung verpassten – Bachem nach 34 Jahren, Kroll nach 31 Jahren. Schon vorher hatten Kroll und Bachem nach jeweils mehr als zwei Jahrzehnten ihre Posten an der Fraktionsspitze verloren.
Ein CDU-Mann sprach die Abschiedsworte für eine Grüne
Kroll hatte, für viele überraschend, CDU-Chef Klaus Voussem um Abschiedsworte gebeten. „Sie waren stets leidenschaftlich bei der Sache, klar und streitbar, aber immer mit großem Respekt“, sagte Voussem über Kroll. Mit ihr hatte er von Herbst 2020 an eine schwarz-grüne Listengemeinschaft angeführt, die freilich nur 14 Monate hielt. „Wir haben aber über die Jahre nicht nur gestritten, sondern auch Verantwortung geteilt“, fasste der CDU-Sprecher die gemeinsame Zeit im Rat zusammen.
So manchen Konflikt mit dem politischen Gegner trug auch Guido Bachem im Ratssaal aus. Jetzt lenkte er den Blick auf das große Ganze. Ob sich Euskirchen seit 1991, als er in den Stadtrat kam, positiv entwickelt habe, fragte er. Die Stadt sei offener, toleranter, bunter geworden, „aber das Spießige, Begrenzende ist nicht völlig weg“, bilanziert er. Als bedeutende positive Änderung nannte er wie Schleser die Gründung der SVE, weiter arbeiten müsse man hingegen an der Bereitstellung von mehr bezahlbarem Wohnraum und an der Gleichstellung der Geschlechter, sagte Bachem.
Sprach's, zog seinen Pulli aus, sodass ein grün-buntes T-Shirt zum Vorschein kam, und rief zum Abschluss: „Fuck Nazis!“