Trinkgewohnheiten bei MinderjährigenEuskirchen ein Hotspot für Alkoholvergiftungen

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34 Prozent der in einer Studie befragten Zehntklässler geben an, bereits betrunken gewesen zu sein. (Symbolbild)

34 Prozent der in einer Studie befragten Zehntklässler geben an, bereits betrunken gewesen zu sein. (Symbolbild)

Kreis Euskirchen – Als einer von drei Hotspots für Alkoholvergiftungen unter Kindern und Jugendlichen in NRW erscheint der Kreis Euskirchen bei der Betrachtung der Zahlen, die das Landesamt für Statistik in Düsseldorf vorlegt. Dessen jüngste Erhebung betrifft das Jahr 2018. Nach diesen Angaben wurden in 2017 insgesamt 83 und 2018 gar 101 Kinder und Jugendliche mit akuten Alkoholvergiftungen in Krankenhäusern behandelt. Das entsprach einer Steigerung von 21,7 Prozent – während der Trend in NRW zu diesem Zeitpunkt eher rückläufig war.

Thomas Stihl von der Fachstelle für Suchtvorbeugung der Caritas hat dagegen andere Zahlen. Er und das Gesundheitsamt des Kreises erhalten ihre Zahlen etwa vom Kreiskrankenhaus in Mechernich. Demnach wurden 2017 insgesamt 64 Minderjährige mit Alkoholintoxikation behandelt, 2018 waren es 77, 2019 wurden 57 Fälle registriert und im vergangenen Jahr 42. Die Unterschiede sind etwa dadurch zu erklären, dass das Landesamt Angaben von allen Krankenhäusern in NRW erhält. Erfasst werden so auch Fälle, wenn Minderjährige mit dem Wohnsitz im Kreis Euskirchen wegen Alkoholvergiftung beispielsweise in Köln behandelt werden.

Schwankungen von Jahr zu Jahr

Stihl beobachtet, dass die Zahlen von Jahr zu Jahr schwanken. „Eine wilde Party mehr und schon verändern sich die Zahlen. Aber jede Einlieferung von Kindern und Jugendlichen mit Alkoholvergiftung ist eine zu viel“, sagt er überzeugt. Deutliche Auswirkungen der Pandemie sind 2020 nicht zu beobachten gewesen. In den Zahlen erkennen Stihl und Jörg Zerche, Koordinator im Kreis-Gesundheitsamt, bisher keine dramatische Entwicklung. Dennoch nehmen sie die Gefahren, die insbesondere für Heranwachsende von Alkohol ausgehen, sehr ernst.

Eine Auffälligkeit, die Zerche gemacht hat, ist der erhöhte Anteil von Mädchen mit Alkoholvergiftungen. „Damit werden wir uns noch beschäftigen müssen.“ Dr. Silja Wortberg vom Gesundheitsamt hat inzwischen eine eigene Studie unter dem Titel „Euregionale Jugendbefragung 2019“ im Kreis erstellt. Darin ist etwa der Alkoholkonsum von Jugendlichen erfasst. Die Ergebnisse werden derzeit im Gesundheitsamt ausgewertet. Die Studie macht etwa deutlich, dass zwischen der achten und zehnten Klasse der Alkoholkonsum unter Jugendlichen rapide zunimmt: Gaben 36 Prozent der für die Studie befragten Achtklässler an, noch nie Alkohol getrunken zu haben, waren es nur noch 12 Prozent der Zehntklässler. Bereits betrunken gewesen zu sein, gaben 16 Prozent der Acht- und 34 Prozent der Zehntklässler an.

Ein sorgloserer Umgang

Stiehl beobachtet, dass der Umgang von Minderjährigen mit Alkohol sorgloser wird. Der lockere Konsum berge die Gefahr, dass sich aus einer Gewohnheit eine Suchterkrankung entwickele. Alkohol diene der kurzfristigen seelischen Erleichterung und werde irgendwann zum vermeintlichen Problemlöser.

Seit Ende der 1990er-Jahre Alcopops ins Spiel kamen, eine Mischung aus hochprozentigem Alkohol und süßen Limonaden, ist die Gefahr bei jungen Menschen gestiegen, die Wirkung derartiger Getränke zu unterschätzen. Laut Stihl ist damit die Rechnung der Alkoholindustrie aufgegangen, nach dem Rückgang des Schnapsverkaufs an Erwachsene mit Alcopops in Jugendlichen neue Konsumenten zu finden.

Prävention und Netzwerke

Mit Halt (Hart am Limit), dem Netzwerk für Alkoholprävention, in dem sich viele Einrichtungen im Kreis vernetzen, soll dem Trend entgegengewirkt werden. An Schulen klären die verschiedenen Akteure über die Gefahren von Alkohol auf. Stihl bedauert, dass Sucht ein Randthema in der Gesellschaft ist. „Sucht ist immer defizitär“, erklärt er – es stehe nie ausreichend Geld zur Verfügung für Prävention und Heilung. In den vergangenen Jahren seien Töpfe geschlossen oder gedeckelt worden.

Die Problematik bei Minderjährigen liege nicht so sehr in der Lust auf Komasaufen oder der Suche nach einem Vollrausch, erklärt Stihl: „Es sind Selbstüberschätzung und Unerfahrenheit im Umgang mit Alkohol. Das Trinken unter Jugendlichen ist keine neue Erscheinung, aber es hat sich verändert. Jugendliche trinken oft draußen und werden von anderen Jugendlichen zum Trinken verleitet. Tagsüber mit Bierflasche herumzulaufen, ist inzwischen normal geworden.“

Erfolgsmodell für den Kreis

Insgesamt sieht Stiehl in der Suchtpräventionsarbeit im Kreis ein Erfolgsmodell, das sich leider schlecht belegen lasse: „Man kann ja nicht die Prävention einstellen, um zu sehen, wie stark der Alkoholmissbrauch unter Kinder und Jugendlichen ansteigt.“

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Mit dem neuen Projekt „Social Norm Approach“ (SNA) will die Caritas Jugendliche aufklären, dass Sprüche wie „Das macht ja jeder“ nicht der Wahrheit entsprechen, wie Maria Surges-Brilon erklärt. Wenn unter Jugendlichen starkes Trinken als Norm dargestellt wird, neigen manche dazu, sich dem vermeintlichen Trend anzuschließen. Die Caritas will Jugendliche aufklären, damit sie merken, dass sich besaufen nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist und man auch ohne Rausch cool sein kann. Die Idee dahinter: Wenn die Mehrheit nicht säuft, gehöre ich zu den Coolen, wenn ich ebenfalls darauf verzichte.

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