Ex-Bundespräsident an der Uni BonnGauck warnt vor Verrohung durch fehlende Toleranz

Ex-Bundespräsident Joachim Gauck
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- Joachim Gauck hat auf Einladung von Sigmar Gabriel eine Rede an der Universität Bonn gehalten.
- Der Ex-Bundespräsident distanzierte sich dabei erneut von der AfD.
- Vor den Studenten sprach Gauck auch über Rechtsextremismus und den Fall Walter Lübcke.
Bonn – Das Thema seines Lebens war immer die Freiheit. Mit diesem Begriff hat Joachim Gauck seine fünfjährige Präsidentschaft geprägt, aber auch sein gesellschaftliches Wirken als lutherischer Pastor in der DDR und später als Chef der nach ihm benannten Behörde, die sich mit der Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen beschäftigte.
Am Montag kam Gauck an die Uni Bonn, um als Gast von Sigmar Gabriel, der in diesem Semester ein Seminar mit dem Titel „Warum Europa wichtig ist“ anbietet, über sein neues großes Thema zu sprechen: Toleranz. Gleich zu Beginn wirft der 79-Jährige die drängendste Frage auf: Wie soll eine Gesellschaft umgehen mit dem mutmaßlich politischen Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke? Mit Blick auf die Rolle der AfD fragt Gauck: „Wie weit darf Toleranz gehen?“
Gauck nach Aussagen zu AfD unter Erklärungsdruck
Die AfD hatte Gauck in den vergangenen Wochen häufig beschäftigt. In einem Spiegel-Interview hatte er eine „erweiterte Toleranz in Richtung rechts“ geworben. Die Aufregung war groß. Gauck musste sich erklären, politisch nicht ins Fahrwasser der Rechtspopulisten geraten zu sein. Später sagte er, er halte die AfD für „verzichtbar“. Demokratie aber erfordere einen großen Debattenraum, in dem auch die AfD ihren Platz habe.
Vor den Politik-Studenten der Uni Bonn wählt Gauck ähnliche Worte, um seine Auffassung von Toleranz zu verteidigen. „Ich sehe eine Verengung der politischen Debatte“, sagt er. „Wer das Stoppschild schon hebt bei Leuten, die rechts von der Mitte stehen, der begünstigt das, was er eigentlich verhindern möchte: Er treibt die Leute in die Arme von Extremisten.“ Herauskommen würde eine „unheilvolle Mischung aus rechtsradikal und rechtskonservativ“.
Ohne Toleranz würde eine Gesellschaft verrohen, sagt Gauck, der zum Thema kürzlich ein gleichnamiges Buch veröffentlicht hat. Eine Intoleranz gegenüber der Intoleranz – das würde das friedliche Leben gefährden. Gauck sensibilisiert für etwas, das paradox klingt, aber für eine Demokratie konstitutionell ist. Der Tolerante müsse selbst denjenigen ertragen, der selbst nicht offen sei für andere Meinungen. Wer den Islam für undemokratisch halte, müsse ihn dennoch ertragen. So wie Abtreibungsgegner hinzunehmen hätten, dass Frauen sich zur Abtreibung entscheiden.
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Mitunter könne es eine Zumutung sein, tolerant zu sein, sagt Gauck. Man müsse gegenüber dem Fremden, dem Unbekannten, vor dem, was einem Angst mache, Gefühle der Aggression und Fluchtgedanken unterdrücken: „Das ist eine zivilisatorische Leistung und Ausdruck menschlicher Reife.“Wer die Vorlesung des Alt-Bundespräsidenten im Hörsaal 1 verfolgt, wie er manchmal in seinem pastoralen Ton für die Freiheit und das Miteinander wirbt, für das Zuhören und das Verstehen, der kann unmöglich den Saal verlassen haben und glauben, Gauck habe jemals Sympathien für die AfD entwickelt.
Schlusswort zu Grundwerten der Demokratie
Im Gegenteil: Gauck macht klar, dass man im demokratischen Debattenraum gegen das Intolerante aufbegehren müsse und es gleichzeitig zu ertragen habe. Für ihn sei die AfD keine politische Option: „Wenn ich nach meinem Gefühl gehe, würde sie nicht mal Geld aus dem Staatshaushalt bekommen.“
Gauck teilt auch Seitenhiebe aus. Gegen den „liberalen Mainstream“, der für sich beanspruche, die politische Agenda vorzugeben. Und gegen US-Präsident Trump, der eine Politik praktiziere, die eine Gesellschaft auseinanderbrechen lasse. Auch den Klimaschützern widmet der Bundespräsident einen Gedanken. Grundsätzlich sei zu begrüßen, dass Menschen versuchten, einen für sie zentralen Wert in ihr Leben zu implementieren. Es dürfe nur nicht „einen Gestus des Übermissionarischen“ annehmen“.
Gaucks Schlusswort gerät zur pastoralen Mahnung. Ein Demokrat habe universelle Werte zu verteidigen, die jedem Menschen zustünden: Würde, Unversehrtheit, Freiheit und Recht.