KommentarWer sich gegen Gendersternchen wehrt, sagt wohl auch noch „Jungfernzwinger“

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Gendersternchen wirken erstmal ungewohnt.

Köln – Der Dortmunder Verein Deutsche Sprache (VDS) hat mal wieder einen offenen Brief geschrieben. Dieses Mal darf sich Mönchengladbachs Oberbürgermeister Felix Heinrichs über Post freuen. Inhalt des Schreibens: Mitarbeitenden der Stadtverwaltung vorzuschreiben, in Verwaltungsschreiben geschlechtergerecht zu formulieren, also nicht nur von Kunden oder Antragsstellern zu sprechen, sei nicht zumutbar.

Dass Kommunikation gerade im beruflichen Kontext gewissen Regeln zu folgen hat - beispielsweise denen der Höflichkeit - scheint für alle verständlich und nachvollziebar. Oder würde sich jemand einschalten, weil die Stadt ihren Mitarbeitenden anordnet, ihre Kundschaft schriftlich beispielsweise nicht mit der Du-Ansprache zu dissen? Aber geschlechtergerechte Sprache? Das ist laut VDS natürlich eine Zumutung. Allein die Formulierung geschlechtergerecht löst bei den Sprachschützerinnen und Sprachschützern aus: Riesen Wirbel, Besorgnis, Vorwürfe, hitzig aufgesetzte Beschwerdebriefe.

Veränderung wird abgelehnt 

Dabei ist es doch folgendermaßen: Sprache befindet sich im Wandel. Schon immer. Das müssten gerade die Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler eigentlich wissen. Der Duden streicht regelmäßig Wörter und fügt neue hinzu. Willkommen Lifehack und Tschüss Kebsehe. Und Sprachen vermischen sich, gerade in einer Welt, in der sich Nationen nicht abschotten, sondern zusammenkommen. Wer Deutsch spricht, benutzt deshalb auch Anglizismen, aber auch Lehnwörter zum Beispiel aus dem Französischen oder Lateinischen.

Beschwerden dagegen sind so alt wie das Phänomen selbst. Der VDS befindet sich beispielsweise in direkter Nachfolge zum Verein „Fruchtbringende Gesellschaft“, der im 17. Jahrhundert dafür Sorge tragen wollte, die hochdeutsche Sprache „vor der Einmischung fremder ausländischer Worte“ zu schützen. Ein besonders radikales Mitglied war Philipp von Zesen. Er wollte das Kloster nur noch „Jungfernzwinger“ nennen. Klingt einladend. Und nicht wie eine Argumentationslinie solcher, deren Ansichten man heute noch folgen sollte.

Die deutsche Sprache ist nicht gerecht

Sprache ist im Wandel. Ebenso wie die Gesellschaft, die sie benutzt. Wenn unsere Gesellschaft sich zu mehr Gerechtigkeit entwickelt und bestrebt ist, Frauen einen ebenso raumgreifenden Platz einzuräumen wie Männern, dann sollte das auch in einer geschlechtergerechten Sprache zum Ausdruck kommen. Denn die deutsche Sprache aus der Zeit der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ war nicht gerecht. Und ist es auch heute nicht.

Das generische Maskulinum kann keine Lösung mehr sein in einer Welt, die Frauen als gleichwertige Mitglieder begreift. Bei „Lehrer“ denken die meisten Menschen eben doch an Männer und nicht an Frauen, das beweisen viele Studien. Warum wehrt sich dann eine Mehrheit der Bevölkerung weiter gegen geschlechtergerechte Sprache? Ist es Ignoranz, Sexismus? Oder einfach Faulheit?

Geschlechtergerechte Sprache ist Arbeit

Geschlechtergerechte Sprache bedeutet ein Umdenken, mancher Begriff lässt sich nicht so einfach umformen wie Lehrer. Das ist Arbeit. Es ist leicht, sich gegen diese Arbeit aufzulehnen, wenn sie doch für einen selbst keinen Nutzen zu haben scheint. Für etwa die Hälfte der Bevölkerung bedeutet geschlechtergerechte Sprache aber schlicht: Sich direkt angesprochen zu fühlen. Nicht nur mitgemeint. Das ist ein Unterschied. Und das gute Recht von allen Geschlechtern.

Alte Gewohnheiten werden nicht automatisch richtig, nur weil es bequem ist, sie weiterzuführen. Und wer Bequemlichkeit und Gerechtigkeit gegeneinander abwägt, der kann nicht umhin, einzusehen, dass ersteres hier das Nachsehen haben muss.

Das könnte Sie auch interessieren:

Und wenn sich eine Stadt wie Mönchengladbach dafür entscheidet, der Gerechtigkeit auch in der Kommunikation mehr Bedeutung einzuräumen, sollte sie keinen Shitstorm fürchten müssen. Man sollte sie im Gegenteil abfeiern. Dafür, dass sie ihrer Verantwortung gerecht wird. Für alle Menschen. Und was Formulierungen betrifft: Vielleicht sind genderneutrale Begriffe oder sogar Genderzeichen irgendwann ganz alltäglich. Oder schreiben die Mitglieder des VDS „Fluss“ aus Sturheit auch weiterhin mit „ß“?

KStA abonnieren