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Autobahn-BaustelleBauexperte hält „Megastelze“ an Leverkusener Rheinbrücke für „tot“

Lesezeit 5 Minuten
Autobahn 1; Stelze, Sportpark, Küppersteg. Foto: Ralf Krieger

Die Autobahn1 führt auf Stelzen mitten durch Leverkusen-Küppersteg und den Sportpark. Foto: Ralf Krieger

In die Ausbaupläne der A 1 am Kreuz Leverkusen könnte Bewegung kommen. Oliver Krischer hält eine Verbreiterung der Autobahn für falsch. Hat der lange Tunnel, den Bauexperte Helmut Hesse fordert, doch noch eine Chance?

Herr Hesse, fast auf den Tag genau vor zehn Jahren hat der damalige NRW-Verkehrsminister Michael Groschek die Leverkusener Rheinbrücke zum Totalschaden erklärt. Ende 2023 soll der erste Neubauteil auch für den Schwerlastverkehr freigegeben werden. Das wird den Kölner Autobahnring entlasten. Sind wir damit aus dem Gröbsten raus?

Keineswegs. Vielleicht werden die Staus etwas nachlassen, aber die drängendsten Fragen sind damit immer noch nicht beantwortet. Wie soll es danach mit der A 1 weitergehen?

Das steht doch fest. Die alte Brücke wird abgebrochen und der zweite Neubau wie ein Zwilling neben dem ersten errichtet.

Und dann? Zehn Jahre nach dem Aus für die alte Rheinbrücke kommt doch die Wahrheit ans Licht. Die Planung, den gesamten Verkehr auf der Autobahn 1 zwischen der neuen Rheinbrücke und dem Leverkusener Kreuz auf einer sogenannten Megastelze, also wie bisher auf einer aufgeständerten Fahrbahn mitten durch Leverkusen zu führen, ist doch gar nicht realisierbar. Wie soll das gehen? Für die Megastelze braucht man weitere viereinhalb Jahre Bauzeit. Die Alternative, ein 800 Meter kurzer Tunnel, der vor dem Kreuz Leverkusen wieder aus der Erde kommt, würde laut den Planungen des Landesbetriebs Straßen NRW acht Jahre Bauzeit brauchen. Das geht schon mal gar nicht.

Stelze mit sechs Meter hohen Lärmschutzwänden

Warum?

Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie die Experten im Verkehrsministerium sich vor Lachen den Bauch gehalten haben, als Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath mit der kleinen Tunnellösung statt der Stelze vorgeprescht ist. Man kann die Autobahn schließlich nicht fünf bis acht Jahre stilllegen. Wohin mit den Umleitungsverkehren? Wohin soll man 120.000 Fahrzeuge pro Tag denn schicken? Welcher volkswirtschaftliche Schaden entsteht dadurch? Dass eine doppelt so breite Stelze gar mit bis zu sechs Meter hohen Lärmschutzwänden gar nicht geht, hat der neue NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer bei seinem Ortsbesuch im Oktober ja deutlich gemacht.

Keine Stelze, kein kurzer Tunnel. Was also dann?

Die bessere Lösung ist immer noch ein langer Tunnel vom Kreuz Leverkusen bis Köln-Niehl, der unter der Stadt, der Deponie und dem Rhein verläuft und den wir schon vor Jahren gefordert haben. Dann könnte man auf den zweiten Neubauteil der Rheinbrücke verzichten, den ersten Neubauteil für den lokalen Verkehr und vielleicht sogar für eine Straßenbahn nutzen. Der Durchgangsverkehr würde komplett im langen Tunnel verschwinden. Für die Stadtautobahn für Leverkusen mit Anschluss an die A 59 reicht eine Brücke locker aus, vielleicht sogar mit Zukunftsspuren für Busse, einer Straßenbahn oder Elektrokleinfahrzeuge. Und die alte Stelze könnte zurückgebaut und sogar eingehaust werden, damit der Lärm geringer wird.

Mit der Klage gegen die Brücke und für den langen Tunnel ist das „Netzwerk gegen Lärm, Feinstaub und andere schädliche Immissionen“ doch schon 2017 vor dem Bundesverwaltungsgericht gescheitert.

Das Bundesverwaltungsgericht hat damals nicht geurteilt, dass die neue Rheinbrücke gebaut werden muss. Es hat lediglich festgestellt, dass der Planfeststellungsbeschluss zum Neubau der Brücke nicht gegen bestehende Gesetze verstößt. Der Landesbetrieb Straßen NRW hat damals vorgetragen, dass die neue Brücke dringend nötig ist und bis zum Jahr 2020 in Betrieb geht, wenn das Gericht die Klage abweist. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts ist auch unter dieser Voraussetzung zustande gekommen. Leider hat Straßen NRW nicht Wort gehalten. Die Politik ist nach wie vor frei für eine Kombilösung aus Brücke und langem Tunnel, der im Schildvortrieb das Stadtgebiet von Leverkusen am wenigsten belasten würde. Wir haben schon nachgewiesen, dass diese Lösung auch die wirtschaftlichste ist. Die Baukosten sind zwar höher, aber die volkswirtschaftlichen Kosten deutlich geringer. Weniger Staus, weniger Umwege, geringere Umweltbelastungen, höhere Qualität der Wohnungen, höhere Qualität der Stadt als Wirtschaftsstandort.

Das Problem mit der Megastelze

Wie stehen die Chancen für diese Lösung?

Nach meiner Auffassung ist die Megastelze jetzt schon tot. Die will keiner. Weder in der Stadt Leverkusen, noch im Land. Was hilft, wäre ein abgestimmtes Vorgehen von Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath mit Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer. Schließlich ist die umstrittene Autobahn ein Teil des Kölner Rings und betrifft nicht allein die Bürger von Leverkusen. Auch beim Bund haben wir mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ja sogar einen Befürworter des langen Tunnels am Kabinettstisch sitzen. Es wäre sicher hilfreich, wenn sich bei allen Beteiligten die Erkenntnis durchsetzen würde, dass auch der kurze Tunnel keinen Sinn macht.

Stünden Sie den Bürgerinitiativen im Ernstfall nochmal zur Verfügung?

Ja, gern, aber dann mit etwas mehr Erfolgsaussichten. Seit Dezember 2015, lange vor dem Planfeststellungsverfahren, habe ich die Bürgerinitiative Netzwerk gegen Lärm beratend unterstützt. Im Vergleich mit Stuttgart 21 war das Verhalten der Bürger von Leverkusen vorbildlich. Der Erfolg war gleich null. Das Beharrungsvermögen der Straßenbaubürokratie, selbst bei erkennbaren schwerwiegenden Fehlern und Mängeln ist ungebrochen. Die von der Straßenbauverwaltung verfolgte Vorzugslösung mit einer aufgeständerten Fahrbahn im Stadtgebiet von Leverkusen ist bereits im Jahr 2015 dem Rat der Stadt Leverkusen vorgestellt worden. Technisch hat sich daran nichts geändert. Nur der Entscheidungsdruck ist bis an die Grenze einer Erpressung erhöht.


Diplom-Ingenieur Helmut Hesse (78) gilt als Vater des langen Rheintunnels. Der Bauexperte und Sachverständige für Baubetrieb und Bauwirtschaft aus Hannover unterstützt das Leverkusener Netzwerk gegen den Lärm (NGL) und das Aktionsbündnis „Lev muss leben“ schon seit vielen Jahren. Im Februar 2017 konnte Hesse die Pläne für die Kombilösung erstmals ausführlich im Leverkusener Stadtrat ausgiebig erläutern. Im Oktober 2017 scheiterte das Netzwerk gegen den Lärm mit einer Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Die Kläger hatten kritisiert, dass nicht alle Alternativen zum Neubau einer achtspurigen Doppelbrücke geprüft worden seien.

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