Milchviehbetriebe in der KriseHielscher Hof in Leichlingen setzt auf mehrere Standbeine

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Junge Landwirtin streichelt ein Kalb.

Isabelle Hielscher liebt den Umgang mit Kälbern und Kühen.

Der Hielscher Hof in Witzhelden hat mehr als 200 Kühe. Ohne eigene Käserei und Direktvermarktung wäre das wirtschaftliche Überleben schwer. 

Isabelle Hielscher kommt gerade aus dem Stall auf der anderen Seite der L294. Sie hat rund 30 „trockene Kühe“ in den Stall geholt, Kühe, die in den kommenden 14 Tagen kalben werden und deshalb, hormonell bedingt, derzeit keine Milch geben. In den kommenden Tagen sollen die Tiere, der besseren Überwachung wegen, im Stall bleiben und nicht mehr die Möglichkeit haben, wie ihre anderen etwa 200 Artgenossinnen auf dem Hielscher Hof in Krähwinkel nach eigenem Gutdünken in den Stall hinein – und auf die Weide hinauslaufen zu können. 

Die junge Frau sitzt zum Gespräch am Tisch im Biergarten des „Rusticus“-Restaurants. Der Hielscher Hof ist nicht nur Milchviehbetrieb, sondern eben auch Gastronomie und vor allem mit dem eigenen Hofladen auch Selbstvermarkter von Milch, Käse, Quark, Joghurt und anderen Milchprodukten aus der eigenen Herstellung. „Die Frage: Was wird aus diesem Betrieb, haben wir beantwortet. Die Direktvermarktung ist der Schlüssel für die Zukunft des Hofes“, erklärt die 26-Jährige zur Perspektive für den Betrieb vor den Toren von Witzhelden. 

Milchproduktion ist für Leichlinger Hof nicht kostendeckend

Ihr Vater Bernd Hielscher pflichtet ihr bei. Die Proteste der Milchbauern vor zehn Jahren hätten sich daran entzündet, dass die Milchviehbetriebe von den Großmolkereien 22 Cent pro Liter als Abnahmepreise erhalten hätten – bei Kosten zwischen 32 und 34 Cent pro Liter. „Wir wollten damals 40 Cent pro Liter haben. Das wäre dann kostendeckend gewesen. Heute sind unsere Kosten auf etwa 47 Cent pro Liter Milch gestiegen. Der Abnahmepreis der Molkereien liegt bei 37, 38 Cent.“ 

Isabelle Hielscher im Melkkarussell

Isabelle Hielscher im Melkkarussell. Hier werden täglich zwei Mal alle Kühe des Hofes gemolken.

Viele Landwirte geben nicht nur, aber auch deshalb auf, weil es sich nicht mehr rechnet. Im Jahrzehnt zwischen 2010 und 2020 sank die Zahl der Milchviehbetriebe in Leichlingen nach Zahlen der Landwirtschaftskammer NRW von 16 auf 11. Die Zahl der Milchkühe im Stadtgebiet stieg hingegen von 777 im Jahr 2010 auf 965 im Jahr 2020. 

„Klar, man fragt sich manchmal schon: Wer wird der nächste sein?“, sagt Isabelle Hielscher später beim Gang über das Stallgelände. An der Stirnseite eines großen luftigen Stallgebäudes stehen kleine Boxen mit je zwei Kälbern, die jüngsten gerade fünf Tage alt. Aus einem Eimer können die Kälber an einer Kautschukzitze Milch nuckeln. Auch Wassereimer hängen am Gestänge. Die Landwirtin geht zu den Kälbern, streichelt sie, lässt eines an ihrem Finger nuckeln.

Klimawandel beeinträchtigt die Arbeit auf dem Hof noch wenig

Der Hielscher Hof ziehe alle Kälber groß, nicht nur die, die später betriebswirtschaftlich ins Schema passen, führt sie aus. „Wenn eine Kuh zum Beispiel Zwillinge bekommt, ein männliches und ein weibliches Kalb, ist das weibliche in 95 Prozent der Fälle unfruchtbar“, erläutert sie. Das heißt, diese Kuh wird später nie Milch geben, weil sie nicht trächtig werden kann. „Wir behalten das Tier trotzdem. Das ist natürlich teuer für uns, aber für uns ist das Tier ein Tier und nicht nur Ware.“ Dann bricht es aus ihr heraus: „Ich hasse es, wie anderswo mit Zwillingen oder Frühgeburten umgegangen wird!“

Im Stall ist ein Mitarbeiter mit einem kleinen Radlader dabei, die Gänge der Kühe von Dung und Mist zu säubern. Motorengebrumm erfüllt die große, offene Halle. Viele Kühe stehen im Stall und genießen an diesem warmen Tag den Schatten oder fressen Silage aus ihren Trögen. Schwarz- und rot-bunte Holsteiner zumeist, aber auch Jersey-Kühe und Braunvieh aus dem Alpenraum sind dabei. Futtermais und Gras seien in diesem Jahr auf dem eigenen Land super gewachsen, so Hielscher. In den trockenen Sommern der vergangenen Jahre mussten sie von regionalen Anbietern Futter dazu kaufen. Ansonsten sei der Hof mit Blick auf den Klimawandel aber noch nicht an einem Punkt, an dem konkret etwas unternommen werden müsste, um sich anzupassen. 

Isabelle Hielscher ist aus tiefster Seele Milchbäuerin. „Bei mir war von vornherein klar: Ich will die Kühe machen“, berichtet sie, gefragt nach ihrem Werdegang. Sie hat Agrarwissenschaften in Bonn studiert – „das hat mir für die konkrete Arbeit auf dem Hof nichts gebracht“ – und ist dann direkt auf dem Hof eingestiegen. 

Für die bäuerliche Landwirtschaft wirbt sie auch via Instagram. Ihren 13.900 Followern teilt sie mit Kurzvideos und Fotos ihre Freude an ihrer Arbeit mit. Und spart auch nicht mit Kritik an politischen Entscheidungen. Sie habe „manchmal das Gefühl, dass die deutsche Landwirtschaft mit Absicht weiter an den Abgrund gedrängt wird“, schreibt sie zum Beispiel. Einzige Lösung aus ihrer Sicht: dass die Konsumentinnen und Konsumenten beim „Landwirt des Vertrauens“ einkaufen, „damit die Landwirtschaft hier nicht komplett ausstirbt“. 

Hans Stöcker, rheinischer Vorstand der Landesvereinigung Milchwirtschaft NRW, sieht zwar kein komplettes Aussterben der bäuerlichen Milchwirtschaft, aber auch er berichtet, dass in den vergangenen Jahren jeweils zwei bis drei Prozent der Höfe im Land aufgaben. Die Attraktivität des Berufes Landwirt habe gelitten, denn das Verdienstmodell sei infrage gestellt. „Das ist das größte Problem. Wenn ein Nachfolger auf dem Hof da ist und in den Hof muss aber investiert werden, muss sich der Nachfolger fragen, ob sich das rechnet“, sagt Stöcker im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Zwar sei es nicht mehr so wie vor Coronavirus-Pandemie, dass der Abnahmepreis, den die Molkereien den Milchbauern zahlen, stabil über längere Zeit unter deren Kosten für die Milchproduktion lag. Der Milchpreis sei seit der Pandemie viel volatiler geworden. Aber auch dieses starke Schwanken des Milchpreises bietet den reinen Milchviehbetrieben ja keine wirtschaftliche Sicherheit. Ein zweites unternehmerisches Standbein, wie es sich die Hielschers mit der Direktvermarktung geschaffen haben, könnte da eine Lösung sein, so Stöcker. Allerdings: „Auch da muss der Hof einen gewissen Umsatz erwirtschaften, damit sich die nötigen Investitionen rechnen.“

Isabelle Hielschers einige Jahre jüngerer Bruder geht aktuell auf eine landwirtschaftliche Fachschule. Gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Mitarbeitern bewirtschaften sie Hof, Hofladen und Restaurant mit Biergarten. Der Hielscher Hof bildet auch aus und kann sich über einen Mangel an Bewerbungen nicht beklagen. Zusätzliches Personal, etwa für die Arbeit im Milchkarussell, sei aber einfach nicht mehr zu bekommen.

Die Arbeit in dieser runden, sich langsam drehenden Vorrichtung mit 16 Boxen, in die die Kühe aus dem Stall eine nach der anderen hineingehen, um gemolken zu werden, ist einer der Aspekte ihrer Arbeit, den Isabelle Hielscher am liebsten lieber heute als morgen ändern würde. „Ich stehe sechs Stunden am Tag im Milchkarussell, drei Stunden morgens und drei nachmittags. Wie soll ich Betriebsleiteraufgaben übernehmen, wenn ich sechs Stunden im Stall stehe? Oder Kinder kriegen? Das würde schlicht nicht gehen, weil ich keine Zeit hätte.“ Ein Melkroboter soll die Lösung sein, aber das ist eine große Investition, die wohl erwogen werden muss.

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