Bayer-PhilharmonikerDer Dirigent geht und sagt: „Es hätte nicht so kommen müssen“

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Bernhard Steiner war zehn Jahre lang Dirigent der Bayer-Philharmoniker.

Bernhard Steiner war zehn Jahre lang Dirigent der Bayer-Philharmoniker.

  • Zehn Jahre lang war Bernhard Steiner Dirigent der Bayer-Philharmoniker, jetzt wurde sein Vertrag aufgelöst.
  • Für ihn kam dieses Ende abrupt, aus dem Umfeld des Orchesters war indes von Unstimmigkeiten zwischen Musikern und Chef zu hören.
  • Im Exklusiv-Interview, um das er selber bat, nimmt Bernhard Steiner nun Stellung.

Leverkusen – Vor gut zwei Wochen wurde Bar Avni als neue Leiterin der Bayer-Philharmoniker vorgestellt (wir berichteten). Herauszuhören war dabei, dass das Ende der Zusammenarbeit mit Avnis Vorgänger Bernhard Steiner nach zehn Jahren durchaus nicht von ungefähr kam: Es gab offenbar Probleme zwischen dem Chef und Teilen des Orchesters. Steiner, ein Wiener mit beeindruckender Vita und Engagements unter anderem bei den Wiener Sängerknaben, den Berliner Symphonikern und dem Wiener Mozartorchester, meldete sich daraufhin in der Redaktion und bat um die Gelegenheit, seine Sicht der Dinge zu schildern.

Herr Steiner, Sie waren zehn Jahre lang Dirigent der Bayer-Philharmoniker. Jetzt wurde ihr Vertrag gekündigt. Was ist aus Ihrer Sicht geschehen?

Es gab den Vorschlag, das „StART“-Programm der Bayer-Kultur zur Förderung junger Künstler von Instrumentalisten auch auf Dirigenten und Dirigentinnen auszuweiten – und die Bayer-Philharmoniker als Orchester zur Verfügung zu stellen. Ich weiß nicht, von wem diese Idee ausging. Aber ich denke, die Handelnden haben gesagt: „Ja, das machen wir.“ Und dann war das so. Es hätte nicht so kommen müsse, ist es aber.

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Man merkt, dass Sie mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sind. Es scheint kein gutes Gefühl für Sie zu sein.

Natürlich nicht. Vor allem, weil ich damit gar nicht gerechnet hatte. Es ist überraschend, wenn so etwas mitten in der Saison kommt. Dirigentenwechsel werden ja eigentlich mit zwei Jahren Vorlaufzeit vorgenommen. Und die aktuelle Spielzeit war ja auch schon längst durchgeplant – zumindest bis Corona kam. Fakt ist: Ich wollte noch den einen oder anderen Farbtupfer mit dem Orchester setzen, für den nun keine Zeit mehr ist.

Kommen wir auf die möglichen Gründe für Ihr Ausscheiden zu sprechen: Vorstandsmitglieder der Philharmoniker ließen im Gespräch jüngst durchklingen, dass Sie kein einfacher Verhandlungspartner gewesen seien. Aus dem Umfeld des Orchesters war zu hören, dass nicht alle gut mit Ihnen zurechtkamen.

Dazu muss ich etwas ausholen. Das Problem auf dem alles beruht, ist die Grundstruktur meines Engagements. Mein Vorgänger Rainer Koch war ja noch von Bayer bestellt und bezahlt. Sprich: Das Orchester wurde ihm vom Konzern zur Verfügung gestellt und seine Aufgabe war es, dieses Orchester im Auftrag Bayers zu dirigieren. Mit meiner Amtszeit – ich bin ja Honorarkraft – änderte sich dies. Das Orchester ist mittlerweile ein eigenständiger Verein. Und das führt zu der Situation, dass der künstlerische Leiter seinen Verhandlungspartner auch gleichzeitig zum Chef hat. Das ist eine schwierige Situation. Denn man muss aufpassen, dass man, wenn man mit dem Orchestervorstand nicht einer Meinung ist, nicht die Hand beißt, die einen füttert. Aber genau das muss man manchmal – weil es eben nicht immer nur Konsens gibt, wenn man ein eigenes Konzept umsetzen will. Ich glaube, der Orchestervorstand hätte da lieber jemanden gehabt, der zu allem „Ja“ und „Amen“ sagt. Es wäre ihnen, denke ich, recht gewesen, wenn ich gar keine eigene Meinung gehabt hätte. Es gab Personen, die hatten ein Verständnis der Art: „Der Steiner bekommt Geld von uns. Dann soll er auch machen, was wir sagen.“ Ein Orchester ist aber ein Gebilde, das auf Konsens angelegt ist – und das macht es extrem schwierig, wenn jemand so denkt.

Haben Sie sich künstlerisch beschnitten gefühlt?

Das sicher. Denn das letzte Wort hat in derlei Strukturen in immer der Vorstand. Wir lagen nun nicht ständig miteinander im Streit, aber es gab Situationen, in denen es hieß: „Gut und schön. Aber wir machen es trotzdem anders.“ Und in solchen Situationen bin ich dann eben gemäß dem, was mir vorgeworfen wird, tatsächlich ein schwieriger Verhandlungspartner. Zumindest wenn man denn als schwieriger Verhandlungspartner gilt, sobald man eine Meinung hat, die von der des Gegenübers abweicht – was ja meines Erachtens der Normalfall ist. Aber das mag eben nicht jeder. Man muss das allerdings auch menschlich betrachten.

Wie meinen Sie das?

Es gibt auch heute noch Mitglieder bei den Philharmonikern, die den alten Zeiten hinterher weinen. Und das ist nur natürlich, denn: Wenn ich als junger Mensch in ein Orchester eintrete, große musikalische Ereignisse mit dieser Zeit verbinde, letztlich 20, 30 Jahre in dieser Gruppe zubringe und dann spüre, dass da jemand anderes kommt und vielleicht sogar etwas mehr will als zuvor, dann komme ich damit nicht klar. Dann reflektiere ich womöglich nicht, dass diese Unzufriedenheit vielleicht auch mit meiner eigenen Person und Geschichte zusammenhängt. Ein Dirigent bietet bei sowas immer eine Projektionsfläche. Nach dem Motto: „Früher habe ich mich bei diesem und jenem Stück wohlgefühlt. Heute tue ich das nicht mehr. Und dann muss natürlich der Dirigent schuld sein.“ Hinzu kommt: Diejenigen, die unzufrieden sind, die tun das kund. Diejenigen, die zufrieden sind, bleiben still. Und dann entsteht eben der Eindruck, dass alle unzufrieden sind.

Was bei Ihnen nicht so war?

Nein. Es gab ein klares Orchestervotum, bei dem zwei Drittel der Mitglieder sagten, sie würden gerne mit mir weitermachen. Das ist eine ziemliche Menge. Aber plötzlich tauchen dann Leute bei Orchesterversammlungen auf, die zuvor jahrelang nicht mehr dabei gewesen waren. Und: Der Orchestervorstand hat dann mit seiner Entscheidung, dem Konzept der Bayer-Kultur zu folgen, eine Entscheidung am Orchester vorbei getroffen. Das Orchester wurde nicht gefragt. Und nachher war nichts mehr zu machen. Es wurde die Kündigung ausgesprochen. Und die ist rechtskräftig.

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Muss ein Dirigent immer auch Freund seiner Musiker sein?

Nein. Mein Ziel war es nicht, beliebt zu sein. Mein Ziel war es, im Sinne des Orchesters als einem Langzeitgebilde zu denken. Das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Das Potenzial des Orchesters erachte ich als sehr hoch. Aber wir haben es nicht immer ausgeschöpft. Das zu tun, hätte ich mir gewünscht.

Inwiefern werfen Sie sich selber vor, diesem Trend gegen Sie nicht früher entschiedener begegnet zu sein?

Ich habe mit Sicherheit unterschätzt, welche Kräfte da frei wurden. Ja, ich muss fairerweise sagen: Die Verantwortlichen haben sich schon sehr bemüht. Aber gefühlt eben immer mit dem Ziel: „Irgendwann wird der Steiner schon verstehen, was richtig ist.“ Das war die Hürde, die ich nicht nehmen konnte. Und, ja: Wahrscheinlich habe ich auch Fehler auf der Kommunikationsebene gemacht. Aber ich denke, dass das nur eine geringe Anzahl der Musiker betrifft. Sehen Sie: Wenn man vor einem Orchester steht, dann spricht man immer zu einem Kollektiv. Und dann kommt die Botschaft beim einen so und beim anderen so an. Und ich glaube, dass es nur wenige waren, denen meine Ansichten nicht in den Kram passten. Aber es waren eben jene Mitglieder, auf die der Vorstand hörte im guten Glauben, dass er diese Leute zu vertreten hat – auch wenn sie nicht die Mehrheit stellten.

Was bleibt nach zehn Jahren bei den Philharmonikern?

Ich bin für diese Zeit sehr dankbar, weil ich dennoch auch Projekte umsetzen durfte, die man nicht so auf der Straße findet. Die Philharmoniker sind ein besonderes Amateurorchester. Nicht jedes Amateurorchester ist beispielsweise in der Lage, Mahler-Sinfonien zu spielen. Wir aber haben mit der Zeit einige zur Aufführung gebracht. Wir haben Uraufführungen gespielt von Werken, die Bayer-Kultur in Auftrag gegeben hatte. Wir haben das Holocaust-Oratorium von Zane Zalis aufgeführt und sind dafür auf die Nominierungsliste des „Opus“-Musikpreises gekommen. Das war sensationell! Welches Amateurorchester schafft so etwas? Aber das wurde leider überhaupt nicht gewürdigt. Auch nicht von der Bayer-Kultur. Dennoch sage ich: Das Positive dieser Zeit überwiegt. Ich habe die Arbeit mit den Musikern immer als Freudenspender und sehr fruchtbar angesehen. Es ist schade, dass das Ende so gewaltvoll war. Aber das wirft keinen Schatten auf das, was davor war.

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