Kommentar zur Explosion in LeverkusenSieben Tote und alle Fragen offen

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Das Trümmerfeld am Leverkusener Sondermüllofen ist auch nach fast zwei Wochen noch nicht zugänglich. Auch die Aufarbeitung läuft schleppend.

Leverkusen – Am Dienstag ist es zwei Wochen her. Und noch immer gibt es nicht den Hauch einer Erklärung, wie es zu der Katastrophe am Leverkusener Sondermüllofen kommen konnte. Von den sieben Toten ist einer noch immer nicht gefunden worden; die Ermittler sind noch nicht einmal zu der Stelle vorgedrungen, an der das Inferno seinen Anfang nahm. Alle Fragen offen also. Und daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Der Betreiber der Verbrennungsanlage, die ehemalige Bayer-Tochter Currenta, hat die Jalousien längst heruntergelassen: laufende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Da könnte jedes Wort zu viel sein. Immerhin wird auch wegen fahrlässiger Tötung ermittelt, in sieben Fällen.

Das Schweigen aus rechtlichen oder taktischen Gründen hilft aber den Zehntausenden, die von der Explosion und dem sich anschließenden Großbrand betroffen waren, kein bisschen weiter. Wer dem Ruß-Regen ausgesetzt war, nur mit größter Vorsicht im Garten arbeiten und die Kinder eineinhalb Wochen nicht zum Spielen rauslassen sollte, hat naturgemäß andere Sorgen als diejenigen, die sich für die Katastrophe und ihre Folgen verantworten müssen.

Kontrolle nach Aktenlage

Und die Behörden? Machen auch nicht die beste Figur. Soeben hat die Bezirksregierung eingeräumt, dass der havarierte Sondermüllofen zuletzt nicht so kontrolliert wurde wie in den Jahrzehnten davor: Das Untersuchungsintervall nach der Störfallverordnung wurde von zwei auf drei Jahre verlängert, zudem beschränkten sich die Kölner Prüfer in diesem April auf einer Ferndiagnose per Videoschalte mit Currenta. Gefahrencheck nach Aktenlage, zunächst: In diesem Monat sollte es den üblichen und zwingenden Ortstermin in Leverkusen geben. Der hat sich jetzt erledigt.

Das Haus Walsken muss sich die Frage gefallen lassen, warum es einen Störfallbetrieb, in dem jedes Jahr bis zu 120.000 Tonnen Giftmüll verbrannt werden können, mit der geringstmöglichen Kontrolldichte behandelt: nicht jedes Jahr, sondern nur alle drei. Das bei einer Anlage, die vor sechs Jahrzehnten konzipiert, vor über dreißig Jahren in wesentlichen Teilen erneuert wurde und nur ein paar hundert Meter vom nächsten Wohngebiet entfernt liegt – das vorher da war.

Interpretationen, keine Daten

Das Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz steht in der Aufarbeitung der Katastrophe auch nicht gut da. Die Angst vor Dioxin im Ruß will es den Bürgern auf der Basis von vier Proben nehmen. Die Bedenken, dass die Explosion einen Chemie-Fallout verursacht hat, werden nicht überzeugend widerlegt: Daten zu den Messungen legt das Amt nicht offen, die Bürger werden mit deren Interpretation abgespeist. Das ist umso problematischer, als Greenpeace-Analysen schwerwiegendere Belastungen der Umwelt zeigen.

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Dies alles zerstört Vertrauen, dauerhaft. In einer Stadt, deren Bürgerinnen und Bürger wie kaum andere um die Risiken von Chemie wissen. Und damit gelebt haben. Bis vor zwei Wochen. 

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