Das Gerippe eines KonzertesDie Leverkusener Jazztage beginnen - und der Saal ist leer

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Festival ohne Fans:  Ein Ton- und Bildtechniker gehört zu den wenigen Menschen, die dem Auftritt des Jan  Prax Quartetts  vor Ort  live  beiwohnen.

  • Die Saxofonisten Jan Prax und Jakob Manz eröffneten am Samstagabend die Leverkusener Jazztage.
  • Aufgrund der Pandemie findet das Festival im 41. Jahr erstmals ohne Live-Publikum statt, es herrschte einen surreale Atmosphäre.
  • Dennoch ist das Festhalten am Konzertreigen ein wichtiges Signal an die Kultur im Lande.

Leverkusen  – Natürlich weiß jeder, wie die Zeiten sind. Was die Stunde geschlagen hat: Pandemie, Lockdown, Kontaktverbot. Und doch sitzt man da und wartet einen Moment lang auf Applaus. Auf Jubel. Sprich: auf Menschen. Und erst als Jan Prax die ersten Töne auf seinem Saxofon spielt, lehnt man sich wieder zurück. Sinkt so ein bisschen in sich zusammen auf dem Stuhl. Denn da kommt nichts mehr. Nur Musik. Von Konzerten ist dieser Tage nicht geblieben als das Gerippe. An diesem Samstag, 7. November 2020, haben die Leverkusener Jazztage begonnen. Und verglichen mit dem üblichen Sein und Sinn eines Festivals sind sie nur noch Haut und Knochen.

Keine Glücksgefühle

Veranstalter Fabian Stiens umschreibt dieses applaus- und tonlose Nichts im Anschluss an seine gewohnt lautstarke Ankündigung des Künstlers wenig später so: „Das war eine brachiale Stelle.“ Ein Bruch. Keine Endorphine. Kein Glücksgefühl. Aber ebenso schnell, wie diese Desillusion um sich greift, wird auch klar: Es ist gut, dass es so ist. Oder besser: Dass es zumindest so ist. Denn die Alternative zum Jazztage-Skelett aus Konzerten ohne Publikum vor Ort wäre der endgültige Totentanz. Wäre keine Musik. Wäre: die Stille.

Stiens kämpfte in den vergangenen Monaten wie wild für diese Konzerte. In seiner Ansprache vor dem erwähnten „Bruch“ an die daheim sitzenden und auf Monitore starrenden Virtuell-Zuschauer hat er es so ausgedrückt: „Wir können sehr stolz sein, dass wir es geschafft haben, dieses Festival zu realisieren.“ Es sei ein Zeichen, dass Kultur systemrelevant sei. „Unsere Gesellschaft ernährt sich von uns Kulturschaffenden.“ Das solle niemand vergessen. Und neben Jan Prax ist es vor allem der das zweite Set des Abends bestreitende, blutjunge Jakob Manz, der vom ersten Ton an so klingt, als spiele er um sein Leben.

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Desinfizierte Tischreihen

Der Rest ist und bleibt gespenstisch und surreal – auch über die Musik hinaus: Anstelle von Büffets und Getränketheken, an denen Gläser klirren und Konzertbesuchern miteinander schwatzen, wischen im Foyer des Erholungshauses alle paar Minuten Reinigungsdamen die verwaist dastehenden, langen Tischreihen mit Desinfektionsmittel ab. Wer sich mal hinsetzt und miteinander spricht, der tut das meist so, wie man es aus alten Filmschinken kennt: Die eine Person hüben an der meterlangen Tafel. Die andere drüben. Die Maske im Gesicht ist obligatorisch. Begegnungen sind aufs Minimum reduziert. Das, was ein Konzert ausmacht, das kollektive Erleben und die kollektive Versicherung von Musik als Soundtrack des menschlichen Miteinanders, ist nicht existent.

Nervenzehrender Ist-Zustand

Auf dem Parkplatz hinter dem Erholungshaus stehen zwei Übertragungswagen des WDR mit geschlossenen Türen und rot leuchtenden „On Air“-Lampen als einziger nach außen hin sichtbarer Beweis, dass hier gerade Besonderes vor sich geht. Und drinnen, im Saal, ist mitunter spürbar, wie dieser Ist-Zustand an den Nerven der Beteiligten zehrt: Ein Mitarbeiter des WDR wird kurz ungehalten beim Blick hinter sich und das Mischpult, wo eine Hand voll Pressevertreter und Crewmitglieder – auf Abstand – sitzen. Sein Anliegen: Man wolle, bei einem kurzen Kameraschwenk auf den leeren Saal, den Zuschauern im Netz nicht den Eindruck vermitteln, hier liefen womöglich zu viele Menschen herum.

Jazztage als Blaupause

Das ist natürlich nicht so: Diese Jazztage sind ein Ausbund an Professionalität. Sogar den Nachwuchswettbewerb „Future Sounds“ schaffen sie durchzuziehen: Die Berliner Formation Still In The Woods um die wahnsinnig charismatische Sängerin Anna Hauss begeistert im Studio auch vor einem ausschließlich auf Tontechniker und Mitarbeiter des Veranstalters reduzierten Auditorium. Und überhaupt: Diese Jazztage könnten sich – wenn alles so weitergeht – sogar als Blaupause dafür entwickeln, wie man Kultur in Zeiten einer Pandemie lebendig halten kann.

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