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Friedhöfe in LeverkusenWo sich in Schlebusch Weltgeschehen und ein Platzgeheimnis begegnen

6 min
Der Schlebuscher Friedhof an der Mülheimer Straße

Der Schlebuscher Friedhof an der Mülheimer Straße existiert seit 1810.

Der Friedhof an der Mülheimer Straße ist einer der beiden kleinsten städtischen Friedhöfe. Er steckt voller Geschichte. 

Der Arzt Paul Strerath muss an jenem Silvestertag 1938 früh mit dem Auto aus seinem Schlebuscher Haus aufgebrochen sein. Strerath fuhr nach Köln, zum Konvent der Unbeschuhten Karmelitinnen an der Dürener Straße. Dort holte er die mit ihm befreundete Schwester Teresia Benedicta vom Kreuze ab und brachte sie in das Karmelitinnen-Kloster in Echt, in den Niederlanden. Teresia Benedicta hieß mit bürgerlichem Namen Edith Stein. 

Die Tochter jüdischer Eltern aus Breslau war 1922 zum Katholizismus konvertiert und fünf Jahre vor ihrer Flucht in die Niederlande in den Karmelitinnen-Orden in Köln eingetreten. Doch den Nazis war die jüdische Herkunft der Schwester bekannt geworden. Nach der Pogromnacht im November 1938 war Stein in Köln nicht mehr sicher. Sie beschloss, das Land zu verlassen. Strerath und Schwester Teresia müssen an 31. Dezember 1938 den ganzen Tag unterwegs gewesen sein. Das Kloster in Echt liegt zwar nur etwa 120 Kilometer westlich von Köln, doch die Autobahn in Richtung Aachen war erst im Bau, die Fahrt ging über Landstraßen, vermutlich kam man recht langsam voran.

Das Grab von Paul Streraths und weiterer Familienangehöriger

Das Grab von Paul Streraths und weiterer Familienangehöriger

Es nützte alles nicht. Edith Stein – Schwester Teresia – wird im August 1942 von den Nazis ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht, gemeinsam mit ihrer Schwester Rosa, und dort vermutlich direkt nach der Ankunft ermordet. Strerath selbst stirbt, knapp 65-jährig, drei Tage vor Kriegsende am 5. Mai 1945 in Elberfeld. Begraben liegt er auf dem Schlebuscher Friedhof an der Mülheimer Straße an dessen westlichen Ende im Strerathschen Familiengrab. Der Grabstein ist heute von alten Eiben umwachsen. Das Grab sei das einzige erhaltene historische Grab auf dem Friedhof, „das sich noch an originaler Stelle befindet“, erzählt Stadtführerin Angela Breitrück bei einem Spaziergang über den Friedhof.

So wie sich mit Paul Streraths Namen auf dem Grabstein ein Stück Weltgeschehen verbindet und eine Verknüpfung in die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte ergibt, so wird es gleich am Eingang auf den Friedhof, wenige Schritte von der Mülheimer Straße entfernt, sehr „schlebuscherisch“ – und heiter trotz der Friedhofsruhe. Breitrück zeigt auf ein mit einem schmiedeeisernen Zaun umgebenes altes Grab. „Lesen Sie mal die Namen!“, fordert sie ihren Begleiter auf. „Maria Linden, geb. Bonrath“, und „Heinrich Linden, Bäckermeister“ steht auf den schlichten Grabsteinen. Das Grab selbst ist von Efeu überwuchert. Was sollen die Namen dem Betrachter sagen? „Der Namensgeber des Lindenplatzes liegt hier begraben“, sagt Breitrück und lächelt verschmitzt. 

Stadtführerin Angela Breitrück am Grab von Heinrich und Maria Linden

Stadtführerin Angela Breitrück am Grab von Heinrich und Maria Linden

Der zentrale Platz im Schlebuscher „Dorf“ ist Schauplatz ungezählter organisierter und nicht-organisierter Feste und Fastelovends-Sausen, Symbol für die Feierfreudigkeit der Schlebuscher. Und nicht etwa Lindenbäume, sondern Bäcker Heinrich Linden stand Pate für seinen Namen. Wie es dazu kam, das weiß freilich auch Breitrück nicht zu erklären.

Doch wenn es um die Geschichte des Friedhofs und seine Besonderheiten geht, ist Breitrück absolute Fachfrau. Wer mit ihr über den Friedhof läuft, muss sich mit dem Schreiben beeilen. Der Friedhof der Schlebuscher sei erst nach 1819 an diese Stelle verlegt worden, so Breitrück. Damals erwarb die katholische Kirche ein Grundstück in der Schlebuscher Heide, das Heinrich Herkenrath gehörte. Der Grund sei wie in Köln bei der Einrichtung des Melatenfriedhofs ein Erlass Napoleons gewesen, der es aus hygienischen Gründen verbot, die Toten direkt auf dem Kirchhof in den Ortszentren zu beerdigen. 

Für gut 140 Jahre diente der Friedhof als Bestattungsort, wurde zwischenzeitlich an seiner Nordseite etwas verkleinert, als der vierspurige Süd- (heute Willy-Brandt-)Ring gebaut wurde. 1966 war erstmal Schluss mit den Beerdigungen an der Mülheimer Straße. Alle Grabstellen waren belegt und auf Jahre hinaus vergeben. Zwanzig Jahre später, 1986, war die Platznot vorüber. Seitdem finden wieder Beerdigungen auf dem Friedhof statt, der schon längst kein kirchlicher, sondern ein städtischer ist, einer von sieben städtischen und mit dem Friedhof in Bergisch Neukirchen einer der beiden kleinsten in städtischem Eigentum.

Wege auf dem Friedhof

Wege auf dem Friedhof

Auch nach dem Kauf des Landes in der Heide durch die Kirchengemeinde gingen die Bestattungen an alter Stelle – in Schlebuschrath, neben der damaligen St. Andreas Kirche – noch fünf Jahre weiter. Das erste Begräbnis an der Mülheimer Straße war dann gleich eines für einen Mann von überörtlicher Bedeutung: Abraham Schaaffhausen, Kölner Bankier und Wahl-Schlebuscher, seit er 1817 Schloss Morsbroich erworben hatte und vor allem mit Immobiliengeschäften zu großem Reichtum gekommen war, ließ sich auf dem damals neuen Friedhof in einer Gruft begraben. Die Familiengruft existiert noch, wenngleich der Eingang zugeschüttet ist.

Auch die Familiengräber der Wuppermanns und der Kuhlmanns finden sich auf dem Friedhof, wenngleich beide Familien protestantisch waren. Zuletzt wurde der Januar 2022 gestorbene Gustav Theodor Wuppermann, Urenkel des Unternehmensgründers Heinrich Theodor, an der Mülheimer Straße beerdigt. Heinrich Theodor Wuppermann wiederum ist verantwortlich dafür, dass der Schlebuscher Friedhof neben seiner Funktion als Beerdigungsort auch ein fast museale Komponente bekommen hat.

Historische Grabplatten der Familie Wuppermann an der Trauerhalle auf dem Schlebuscher Friedhof

Historische Grabplatten der Familie Wuppermann an der Trauerhalle auf dem Schlebuscher Friedhof

Er sorgte nämlich dafür, dass Grabplatten von Familienangehörigen aus drei Jahrhunderten aus dem Bergischen Raum und darüber hinaus nach Leverkusen kamen. Heute sind sie an den Wänden und neben der Trauerhalle auf dem Friedhof aufgestellt und dokumentieren so Aspekte der Begräbniskultur in der Region seit dem frühen 17. Jahrhundert.

An das dunkelste Kapitel auch der Schlebuscher Geschichte wiederum erinnern die Gräber des Sensenschmieds Franz Kail und der Wiesdorfer Hausfrau und Mutter Bertha Herweg. Kail wurde als Kommunist nach 1933 mehrfach von den Nazis verhaftet. Er starb schließlich an den erlittenen Misshandlungen im KZ Sachsenhausen. An ihn erinnert am Haus Sandstraße 16 ebenso ein Stolperstein wie an Bertha Hellweg, die mit ihrer Familie in Schlebusch lebt.

Hellweg verfiel nach der Geburt ihres zweiten Kindes in Depressionen. Ihre Erkrankung wird der Wiesdorferin zum Verhängnis, denn die Nazis ermorden psychisch Kranke systematisch. Im Mai 1944 stirbt sie unter ungeklärten Umständen in einem Lager bei Prag. Schüler des Lise-Meitner-Gymnasiums sorgen in einem Rechercheprojekt dafür, dass ihr vor dem früheren Wohnhaus der Familie in der heutigen Gezellinallee ein Stolperstein gelegt und ihr Schicksal so dem Vergessen entrissen wird.


Leverkusens Friedhöfe

In Leverkusen gibt es sieben städtische, vier katholische und einen jüdischen Friedhof. Wir stellen sie in einer Serie vor. Den Anfang machen wir mit dem Schlebuscher Friedhof an der Mülheimer Straße, einem von zwei städtischen Friedhöfen in dem Stadtbezirk, wo zudem an der Straße Auf’m Berg in Steinbüchel auch noch ein katholischer Friedhof liegt. Eine Reihe von Grabdenkmälern auf dem Schlebuscher Friedhof Mülheimer Straße steht unter Denkmalschutz, weil sie einen „Querschnitt der Sepulkralkultur des späten 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts“ zeigen, wie es in der städtischen Denkmalliste heißt. (ps)