Kamerafrau und Regisseurin Uta Briesewitz lebt seit mehr als 20 Jahren in den USA und feierte mit „The Wire“ und „Stranger Things“ Welterfolge.
Uta Briesewitz im Interview„Leverkusen ist meine Heimat“

Uta Briesewitz bei einem Einsatz als Regisseurin am Set von „Stranger Things“.
Copyright: Uta Briesewitz
2021 kürte die BBC die US-Serie „The Wire“ zur besten Fernsehserie des 21. Jahrhunderts. Für die gebürtige Leverkusenerin Uta Briesewitz war das Mitwirken an dem Projekt der erste große Auftrag, nachdem sie nach New York gezogen war. Mittlerweile lebt sie seit mehr als 20 Jahren in den Vereinigten Staaten und führte unter anderem bei den großen Netflix-Produktionen „Stranger Things“ und „Black Mirror“ Regie. Im Interview mit dem „Leverkusener Anzeiger“ spricht Briesewitz über erste Schritte als Praktikantin in Frechen, die großen Hollywood-Produktionen und ihre Erinnerungen an die Heimat Leverkusen.
Sie arbeiten an einem neuen Projekt, sind aktuell bei einem Dreh tätig. Was können Sie dazu schon verraten?
Ich arbeite zurzeit hier in den Warner Brothers Studios in Burbank, Los Angeles, die zehn Autominuten von meinem Haus entfernt sind, das ist wirklich sehr angenehm. Ich arbeite an der zweiten Staffel der HBO-Serie „The Pitt“ mit Noah Wyle. Die Produktion hat in diesem Jahr bei den „Emmys“ schon einiges gewonnen (in fünf Kategorien, Anm. d. Red.) – unter anderem auch für die beste Dramaserie. Noah Wyle kennen die Fans vielleicht noch von „Emergency Room“, nun wieder eine Krankenhausserie für ihn. Ich hätte nicht gedacht, dass ich sowas mal machen würde, das Schöne an der Serie ist aber, dass wir das Genre etwas neu erfinden. Die ganze Staffel, also 15 Episoden, bildet nur einen Tag ab – jede Episode eine Stunde. Es ist eher wie ein Dokumentarfilm angelegt, der Drehstil extrem schnell.
Wie können wir uns den Tages- oder Wochenrhythmus im Rahmen eines solchen Drehs vorstellen?
Ein Aspekt, der den Auftrag für mich unheimlich attraktiv macht, ist, dass ich ein Jahr kontinuierlich bei meiner Familie in Los Angeles sein kann, was mir in meiner ganzen Karriere noch nie passiert ist. Ich drehe häufig in New York, Kanada, einmal sogar in Südafrika oder zunehmend mehr in Europa, was natürlich auch spannend ist. Natürlich will ich aber auch Zeit mit meiner Familie verbringen. Wir teilen uns diese 15 Episoden unter den Regisseuren auf. Normalerweise ist das Maximum, dass du als „Producer Director“ bei drei Episoden Regie führst, mir wurde vor einigen Tagen noch eine vierte Episode dazu gegeben. Das Tolle ist, man bereitet sich ungefähr neun Tage lang auf die Regie für eine Episode vor, dann dreht man neun Tage, schneidet vier Tage lange – und dann gibt es eine fast vierwöchige Pause. Ich habe die Episoden drei, sieben, elf und 14. Darüber hinaus muss ich einmal in der Woche für ein Produzenten-Meeting verfügbar sein.
Wann und wie ist Ihre Entscheidung gefallen, über den großen Teich in die USA zu ziehen?
Das hat sich alles ganz organisch ergeben, dass ich nach meinem Studium hier am „American Film Institute“ (mit Sitz in Los Angeles, Anm. d. Red.) Arbeit gefunden habe und in LA geblieben bin – das waren erst Projekte als Kamerafrau, bei denen man aber nicht viel verdient. Da war es schon eine Herausforderung, sich finanziell über Wasser zu halten. Nach knapp fünf Jahren LA bin ich nach New York gezogen, das Abenteuer wollte ich einfach mitnehmen. Dadurch bin ich an die Tätigkeit bei „The Wire“ gekommen, was für mich ein ausschlaggebender Job war. Dadurch ist es mir gelungen, mich wirklich in der Branche zu etablieren. Bei „The Wire“ habe ich damals auch meinen jetzigen Mann kennengelernt. Eigentlich war es total gegen meine Regel, dass ich mich romantisch bei einem meiner Jobs mit jemandem einlasse. Als weiblicher „Director of Photography“ hielt ich mich an strengere Regeln als viele meiner männlichen Kollegen. Das Gute war, dass mein Mann in einer anderen Abteilung gearbeitet hat – und wir dadurch nie zusammen am Set waren. Nach „The Wire“ war klar, dass ich meine berufliche und private Zukunft in den USA sehe. Meinen Mann mit nach Deutschland zu nehmen, wo ich dann wieder von vorne hätte anfangen müssen, war keine Alternative. Und jetzt habe ich zwei kleine Amerikaner hier. Meine Kinder sind natürlich US-Amerikaner dadurch, dass sie hier geboren sind, mir war aber auch wichtig, dass sie einen deutschen Pass haben. In ihren ersten sechs Jahren sind sie sogar zu 90 Prozent auf einer Sprachschule auf Deutsch unterrichtet worden, Englisch lernen sie hier ja so oder so. Es war mir wichtig, dass die deutsche Sprache und Deutschland Teil ihrer Identität sind. Wir reisen auch fast jedes Jahr nach Deutschland, fahren nach wie vor zu Familientreffen und besuchen unsere große Familie.
Wie wichtig ist es Ihnen, Ihre Erfahrung weitergeben zu können und selbst als Dozentin tätig zu sein?
Die Zusammenarbeit mit der Internationalen Filmschule in Köln macht mir viel Spaß. Es ist schön, in meine Heimat zurückzukehren, und ich genieße den Austausch. Vor allem in Gesprächen mit Studenten zu hören, wie teilweise die Arbeitsweise doch in Europa anders ist, da bin ich auch immer wieder überrascht. In Europa, auch in Deutschland, ist es offenbar so, dass Regisseure grundsätzlich das Drehbuch umschreiben dürfen. Das ist eine Sache, das liegt auch an den Gewerkschaften, die hier im normalen Serienablauf unvorstellbar ist.

Uta Briesewitz mit Golden-Globe-Gewinnerin Rosamund Pike am Set von „The Wheel Of Time“.
Copyright: Uta Briesewitz
Wie hat sich Ihre Arbeit über die Jahre hinweg verändert?
Es fühlt sich schon merkwürdig an, wie du Teil einer Zeit bist, in der es so große Veränderungen gibt, wie das jetzt in der digitalen Revolution der Fall ist. Damals bei „The Wire“ (wurde von 2002 bis 2008 gedreht, Anm. d. Red.) haben wir nicht nur auf Film gedreht, sondern auch das Bild für ein fast quadratisches Bildformat komponiert. Da waren die Fernseher noch kleine, quadratförmige Kästen, bevor sie dann rechteckig wurden. Es war vieles anders. Witzig war auch, dass, als „The Wire“ herauskam, eigentlich alle gesagt haben, dass sie das noch nie geschaut haben, weil alles so von den „Sopranos“ überschattet wurde, die waren so populär. Damals hat der Showrunner David Simon zu mir gesagt: „Uta, ich denke, diese Show wird lange, nachdem sie erstmals ausgestrahlt wurde, eine Bedeutung haben.“ Da habe ich mir gedacht, dass es im Fernsehen doch so sei, dass es heute gesendet und morgen vergessen wird. Der Ruhm von „The Wire“ kam dann wirklich praktisch fast zehn Jahre später.
Sie waren an Produktionen wie „The Wire“, einem Späterfolg, beteiligt, aber auch an Werken wie „Stranger Things“, was wiederum einen modernen Hype auf Netflix ausgelöst hat. Wie blicken Sie darauf zurück?
Es passiert ja nicht schlagartig, dass ich von Deutschland nach LA komme und ein Jahr später drehe ich „The Wire“. Da liegen viele Jahre dazwischen, mit drei Jahren Praktikum bei einer Fernsehproduktionsfirma in Köln, dann mein vierjähriges Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, dann ein fast dreijähriges Studium noch am „American Film Institute“. Ich hatte da eigentlich nie die Gewissheit, dass ich jemals an einen Punkt gelangen würde, wo ich ein sicheres Einkommen haben werde. Man hört oder sieht hin und wieder mal so Geschichten, wo jemand einen Kurzfilm macht, und als nächster Dreh kommt dann ein Studio-Film für 80 Millionen US-Dollar, aber ganz ehrlich ist das, vor allem in der Zeit, Männern passiert. Frauen haben härter kämpfen müssen, mussten sich länger beweisen, bevor die Branche erkannt hat: „Meine Güte, die können es ja eigentlich auch.“ Bei meinen letzten beiden Projekten habe ich jeweils eine Frau als Kamerafrau gehabt – sowohl bei „The Pitt“ als auch bei der Kim-Kardashian-Serie „All’s Fair“, bei der ich Anfang des Jahres Regie geführt habe. Als ich damals Kamera gemacht habe, war ich eine von vier Frauen, die überhaupt bei größeren Produktionen Kamera gemacht haben. Das war noch ein ganz anderes Umfeld – mit vielen Vorurteilen, dass Frauen bestimmte Positionen nicht erfolgreich ausführen können.
Haben Sie sich mal damit beschäftigt, wie Ihre Laufbahn abgelaufen wäre, wenn Sie in Deutschland geblieben wären?
Als ich mein Praktikum nach meinem Abi gemacht habe, habe ich bei der Firma „Wige Data“ in Frechen angefangen. Die haben Sportreportagen und Live-Übertragungen gemacht. Fußball, Eishockey, Motorsport, viel am Nürburgring – das war ein tolles Kamera-Training. Als ich mit 18 Jahren bei der Firma angeklopft habe, ob ich da ein Praktikum machen kann, hat mich der Chef angeschaut und gesagt, dass sie überhaupt nicht wissen, was wir mit mir anfangen sollen. Die hatten noch die einen Praktikanten, haben dann aber schnell mitbekommen, dass ein Praktikant eine sehr hilfreiche und preiswerte Arbeitskraft sein kann. Die Lust, nach meiner Zeit in Berlin auch im Ausland zu studieren, kam durch meinen Bruder, der in New York an der Columbia seinen Doktor gemacht hat. Da habe ich ihn besucht und bin letztlich selbst in die USA gegangen. Mein Bruder ist inzwischen wieder in Leverkusen, meine Familie lebt in Rheindorf.
Wie würdest du deine Beziehung zu Leverkusen nach all den Jahren in den Vereinigten Staaten einordnen?
Leverkusen ist Heimat. Dort bin ich geboren und aufgewachsen – mit Sport bei Bayer Leverkusen, Theaterbesuchen im Erholungshaus und Filmreihen im Forum. Ich war erst vor zwei Wochen in Leverkusen und da habe ich eine Sache mit meinem Bruder gemacht, die wir immer machen. Wir gehen am Rhein spazieren und suchen dann nach alten Römerscherben. Ich finde die Geschichte der Römer am Rhein faszinierend. Zuletzt waren wir dann noch an der Dhünntalsperre Steinpilze suchen. Ich liebe den deutschen Wald. Wenn ich dann allein in Köln herumlaufe, gehe ich natürlich gern in ein Brauhaus, dann muss ich einfach Himmel un Äd essen, das würde ich hier einfach nicht serviert bekommen – das oder eine Schweinshaxe oder einen Reibekuchen. Und ein Kölsch muss natürlich auch sein.
