Leverkusen in den 70ern„Umbruchstimmung“ und „schmerzende Wunden“ in Opladen

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Das alte Rathaus musste 1972 weichen.

  • In einer Serie schauen wir zurück, wie sich Leverkusen in den Jahrzehnten zwischen 1950 und 2000 entwickelt hat.
  • „Umbruchstimmung“ in den 70ern: Frauenrechtlerin Traudel Welte erzählt vom Kampf für mehr Gleichberechtigung.
  • Und warum die Neue Bahnstadt heilsam für Opladen sein kann.

Leverkusen – Ein nach wie vor tiefes Trauma haben die 70er Jahre bei alt eingesessenen Opladenern hinterlassen. Seit dem 1. Januar 1975 ist die ehemalige Kreisstadt des Rhein-Wupper-Kreises (neben Bergisch Neukirchen und dem damaligen Monheimer Stadtteil Hitdorf) als Konsequenz des Neugliederungsgesetzes nun Teil von Leverkusen in den Grenzen, wie wir es heute kennen.

Dabei müssten die Leverkusener eigentlich wissen, wie sich die Angst davor, „geschluckt“ zu werden, anfühlt: Vor der Gebietsreform war es um die Frage gegangen, ob Leverkusen Teil von Köln werden soll – prompt hatte sich am 1. August 1974 die Bürgerinitiative „LEV muss leben“ gegründet. 81,7 Prozent der stimmberechtigten 80 526 Bürgerinnen und Bürger unterschrieben im Sommer 1974 einen Appell der Initiative gegen eine drohende Eingemeindung.

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Opladen knabberte noch jahrelang an dem Verlust des "Kreisstadt"-Status

65 763 Unterschriften übergab der Sprecher der Aktion, der kürzlich verstorbene Olympiasieger von 1964 Willi Holdorf, am 6. September dem Landtagspräsidenten Wilhelm Lenz. Der „Leverkusener Anzeiger“ zitierte seinerzeit den Kernspruch der Eingemeindungsgegner in einer Schlagzeile: „Nur nicht nach Köln!“

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Die Gebietsreform von 1975 sieht Ernst Küchler, ehemaliger SPD-Oberbürgermeister von Leverkusen in der Zeit von 2004 bis 2009, als „wesentlichen Einschnitt“. 1970 hatte er gerade als examinierter Politikwissenschaftler seine Stelle als Referent für den damaligen Oberbürgermeister Wilhelm Dopatka angetreten. In der Zeit vor der Reform, als es um die drohende Eingemeindung nach Köln ging, sprachen sich viele Bürger für Leverkusen aus. „Damals waren wir Lokalpatrioten!“, erinnert sich Küchler lebhaft.

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Ernst Küchler

Dass die Opladener eingemeindet werden sollten, habe zu langen Diskussionen geführt, erinnert sich Küchler. „Diese Wunde schmerzt immer noch“, ist er sich sicher. Küchler sieht die Neue Bahnstadt als eine Art „Fortführung“, er würde sich wünschen, dass mit diesem Projekt die Wunde geschlossen werden könne.

Eröffnung neues Rathaus 1977_Stadtarchiv

1977 wurde das neue Rathaus eingeweiht.

Allerdings hätten die heutigen Opladener Generationen das nicht mehr selbst erlebt und nur von den Eltern gehört. Ob sich die heutigen Einwohner ebenfalls so vehement gegen die Zusammenlegung ausgesprochen hätten? Für die Opladener gibt es seit 2015 ein Trostpflaster: Das alte „OP“-Kennzeichen ist wieder zu haben, wovon rege Gebrauch gemacht wird.

Abschied vom alten Rathaus

Einen Abschied mussten die Wiesdorfer am 25. Oktober 1972 verkraften: Das alte Rathaus wurde abgerissen. 1910 war der große Bau bezogen worden und hat zwei Weltkriege miterlebt. Doch es war schlicht zu klein geworden, da die Stadt Leverkusen inzwischen knapp 2000 Mitarbeiter beschäftigte. Fünf Jahre später, am 1. April 1977, wurde der Nachfolger eingeweiht: Sechseckig, fünf Etagen hoch, schwarzer Schiefer und bergisch grüne Fassadenplatten. So prägte das wuchtige Rathausgebäude von nun an die Wiesdorfer Innenstadt. Und nicht zu vergessen: die 70er bescherten den Leverkusener Bürgern auch das Aquamobil!

Rathaus Wiesdorf seit 1977

Das grüne Rathaus

Eine „Umbruchstimmung“ attestiert Traudel Welte der Stadt in den 70ern. Die Frauenrechtlerin war 1976 nach Wiesdorf gekommen, in einer Zeit, in der die Bürgerinitiative „Wohnliches Wiesdorf“ gegen den Ausbau der A59 kämpfte, Häuser besetzt wurden und Frauen sich in Initiativen engagierten. Dass man (oder frau) nur was verändern kann, wenn man selbst etwas macht, hat die gelernte Erzieherin von ihren Eltern mitbekommen. In Leverkusen wollte Welte gemeinsam mit Mitstreiterinnen in der stark patriarchisch geprägten Gesellschaft etwas verändern. So kam es 1980 zur Gründung des Vereins „Frauen helfen Frauen“ – Das erste Frauenhaus in Leverkusen war etabliert. Die Stadt hatte zuerst abgewiegelt, „bei uns passiert so etwas nicht“, sei ihnen gesagt worden, erinnert sich Traudel Welte heute. Es sei immer erklärt worden, dass solche Probleme „schichtenspezifisch“ seien, kritisiert sie. „Aber auch Frauen von Bayer-Mitarbeitern wurden geschlagen oder mit Haushaltsgeld kurz gehalten.“

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Traudel Welte

In Statistiken des Städtischen Frauenbüros ist nachzulesen, dass die Erwerbsquote von Leverkusenerinnen seit den 50ern unter dem Bundesdurchschnitt ist. Eine Theorie: „Bis weit in die 1980er garantierten die großen Arbeitgeber in Leverkusen sichere Arbeitsplätze und Löhne, sodass Erwerbstätigkeit der Ehefrauen in vielen Fällen kaum erforderlich war und sie sich auf Arbeit im Haushalt konzentrierten“, heißt es in einem historischen Rückblick des Frauenbüros. Traudel Welte erinnert sich an den Zeitgeist: „Meine Frau braucht nicht arbeiten“, habe es geheißen. „Da ging es ums Prestige.“

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Schon im April 1979 wünschte sich die Wies­dor­fer Be­völ­ke­rung anstelle des an­ge­droh­ten Con­tai­ner­ha­fens einen Her­bert-Grü­ne­wald-Park. 

Nachdem die heute 75-Jährige einige Jahre im Frauenhaus mitgearbeitet hat („da haben Männer teilweise die Tür eingetreten“), hat die Sozialpädagogin 1986 den Frauennotruf, eine Anlaufstelle für Frauen, gegen die sexualisierte Gewalt verübt wird, mitgegründet. Und heute? Die CDU plant eine Frauenquote von 50 Prozent für Vorstandswahlen ab der Kreisebene. Da kann Traudel Welte nur lachen. Sie war damals auch viel im Topos anzutreffen. „Mein zweites Wohnzimmer“, sagt sie lachend. Dort entstand auch der Verein „Jazz Lev“ 1978. Es fing mit fünf musikinteressierte Gäste der Kultkneipe um Wirt Wolfgang Orth an, die beschlossen einen Jazz Club zu gründen, schreibt der Verein heute auf seiner Webseite. War es anfangs darum gegangen, immer donnerstags Jazzkonzerte zu veranstalten, entwickelte sich der Verein schnell zu einem kulturellen Standbein von Leverkusen – nicht zuletzt mit den Jazztagen, die zwei Jahre später zum ersten Mal veranstaltet wurden.

„Es war richtig viel Trubel in der Stadt“, schaut Ernst Küchler zurück. „Leverkusen war eine lebendige Stadt“, sagt er über die 70er, auch im Hinblick auf die Wiesdorfer Innenstadt, wo damals noch Kaufhof, Hertie und das Bayer-Kaufhaus, das 2008 der Rathaus-Galerie weichen musste, lockten. Knapp 40 Jahre später: Der Kaufhof ist knapp gerettet, das Topos schrammt erneut an der Schließung vorbei. (mit Matthias Bauschen) 

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