Karotten und KamelleKarnevalspremiere bei Leverkusens „kleinstem Zug“ in Lützenkirchen geglückt

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Als Immi im Lützenkirchener Zoch: Janne Ahrenhold verteilt Strüßjer

Als Immi im Lützenkirchener Zoch: Janne Ahrenhold verteilt Strüßjer

Als Immi mittendrin im Lützenkirchener Karneval: Unsere Reporterin Janne Ahrenhold hatte bisher mit Fastelovend „nix ahm Hoot“ – bis Sonntag.

Fast will ich es nicht zugeben, aber ich oute mich: Was Kamelle sind, das musste ich vor Kurzem erst einmal googeln. Zwar schmettere ich – in meinem wenig authentischen rheinländischen Slang – selbstbewusst jegliche Karnevalslieder mit. „Mir han de Dom, de Rhing, ne Himmel voll Kamelle“, heißt es ja so schön. Was da allerdings vom Himmel regnen soll, war mir lange Zeit ein Rätsel. 

Denn, auch das gebe ich zu, um „Bützchen“, „Strüßjer“ und eben diesen sagenumwobenen Kamelle, machte ich bislang einen großen Bogen.  Dieses Jahr jedoch – ich lebe seit drei Jahren als Immi in Köln – ist mir die Flucht nicht so recht gelungen. Im Gegenteil. Kamelle werfend finde ich mich am Sonntag im kleinsten Zug Leverkusens wieder und bahne mir, herzlich aufgenommen von der Ehrendorfgarde „Flotte Karotten“, in einem Pulk orange-grün gekleideter Jecken den Weg durch die Lützenkirchener Straßen. Konfrontationstherapie nennt man sowas wohl. Und ich muss sagen, sie ist geglückt. 

Die Gruppe „Jecke Schafe“ feiert 33-jähriges Bestehen.

Die Gruppe „Jecke Schafe“ feiert das 33-jährige Bestehen des Zugs.

Während ich von Freunden und Familie, denen ich von meinem kleinen Kulturexperiment erzählte, höchstens mitleidige Blicke à la „das willst du dir antun?“ erntete, kann ich jetzt ein bisschen besser verstehen, was dran ist an dieser Begeisterung für die „fünfte Jahreszeit“, die bei mir in der Heimat schlicht und ergreifend nicht existiert. Weiberfastnacht ist dort ein Donnerstag, wie jeder andere. Um Kostümierungen machen die meisten einen großen Bogen. Kinderfaschingsfeste in der Grundschule sind da fast das höchste der Gefühle. 

Karnevalistisches Paralleluniversum Lützenkirchen öffnet sich

Ein Paralleluniversum zur norddeutschen Kühle bietet sich mir in Lützenkirchen – und das schon drei Stunden, bevor der Zug überhaupt startet. Auf einem Garagenhof treffen sich die „Flotten Karotten“, ein loser Zusammenschluss von etwa 40 Karnevalisten, schon ab 10.30 Uhr, um die letzten Vorkehrungen zu treffen. Wobei loser Zusammenschluss eigentlich das falsche Wort für den Verbund ist, der sich mir zeigt. Seit 2006 verbringen die Karotten gemeinsam die Karnevalstage, ein Freundeskreis aus früheren Nachbarn, inzwischen sind drei Generationen von ihnen beim Zug und allem Drumherum am Start.

Gruppenfoto der „Flotten Karotten“ mit Immi Janne Ahrenhold in der Mitte

Gruppenfoto der „Flotten Karotten“ mit Immi Janne Ahrenhold in der Mitte

Ob Mann oder Frau, alt oder jung, da werden gemeinsam Brötchen fürs morgendliche Frühstück geschmiert, das Wurfmaterial für den Zug gepackt, der Wagen voll geladen und es wird natürlich gemeinsam gesungen und getanzt. Wie Familie irgendwie, oder ein großes Klassentreffen. Die Idee dahinter: Frohsinn verbreiten, Brauchtum pflegen, aber doch etwas weniger traditionell, als vielleicht in herkömmlichen Karnevalsvereinen, das erzählen mir die „Flotten Karotten“. 

Was das Gefühl, ein Teil von diesem jährlichen Spektakel zu sein, ausmacht, scheint schwer in Worte zu fassen. „Wir sind damit groß geworden, das kann man keinem erklären“, sagt Mark Vondey. „Es ist die Gemeinschaft. Wann ist man sonst so zusammen?“ 

Wir sind damit groß geworden, das kann man keinem erklären
Mark Vondey, Flotte Karotten

Die Gemeinschaft zeigte sich dann vor allem, als sich die „Flotten Karotten“ gegen 15 Uhr als dreizehnte von 15 Gruppen des Zugs in Bewegung setzen. Tausende stehen am Straßenrand, nur im Schneckentempo geht es voran. Drei Stunden brauchen die „Flotten Karotten“, „Jecken Schafe“, zotteligen Krümelmonster, die „Freunde des Holzhausener Karnevals“ und all die anderen Gruppen am Ende für die Strecke von nur 800 Metern. 

Besonders beeindruckt mich dabei der Einsatz der Wagenzieherinnen und Wagenzieher und der Wagenengel. Denn in Lützenkirchen fahren die Gefährte nicht motorisiert – und irgendwer muss sie ja in Bewegung setzen. Warum es die Engel gibt, habe ich dann auch sehr schnell verstanden, bei all dem Gewimmel am Straßenrand. Nicht, dass noch jemand im Eifer des Gefechts um die besten Bonbons unter die Räder gerät.

Gute Laune trotz bewölktem Wetter

Gute Laune trotz bewölktem Wetter

Trotzdem, so einen Trubel habe ich unter dem inoffiziellen Titel „Kleinster Zug“ in Lützenkirchen wirklich nicht erwartet. „Der Zug ist zwar kurz, aber wird immer voller“ erklärt mir Mark. Im Schneckentempo geht es voran. Zuvor packen die Karotten aber erst noch einen ihrer Signature-Moves aus, die Choreografie zu „Oben unten“ von den Räubern. Auch ich kann mithalten: links-rechts-vor-zurück-drehen-drehen-drehen. Nicht schwer, aber trotzdem ein tolles Gefühl. 

Dann aber kommt es endlich zu meinem ganz großen Einsatz, dem Kamelle werfen. Da habe ich nun schließlich schon den ganzen Tag darauf hingefiebert. Aber so ganz sicher, wie das überhaupt funktioniert, bin ich mir dann doch nicht mehr. Eine Handvoll Süßes in die Menge werfen? Lieber einzelne Süßigkeiten übergeben? Und wer kriegt denn nun die Strüßjer? Mein Ergebnis: Egal, Hauptsache Spaß haben und gemeinsam glücklich sein. 

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