Weltklasse: „Philadanco!“ bringt in Leverkusen die Kraft, Eleganz und Geschichte des afroamerikanischen Tanzes auf die Bühne und verwandelt Bewegung in politische Poesie. Große Menschlichkeit.
„Philadanco!“ in LeverkusenDas Körperarchiv des afroamerikanischen Tanzes

Die Philadelphia Dance Company tanzt im Forum durch die Geschichte Schwarzer amerikanischer Identität.
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Die Bühne bebt – und erzählt. „Philadanco!“, die amerikanische Tanzkompanie, die auf ihrer Europa-Tournee am Dienstagabend auch in Leverkusen Halt machte, ist ein Symbol, eine Bewegung, eine Geschichte, die sich immer weiter fortschreibt.
Seit den Siebzigern formt Gründerin Joan Myers Brown ein choreografisches Gegenmodell zur ihrer Meinung nach weiß dominierten US-amerikanischen Tanzlandschaft. Sie übersetzt das emanzipatorische Ethos der Bürgerrechtsbewegung in Bewegungskunst.
„Philadanco!“ ist damit ein Bindeglied zwischen Modern und afroamerikanischen Stilen. Wobei Forum-Dramaturgin Claudia Scherb in ihrer Werkeinführung den Unterschied zum Zeitgenössischen hervorhebt: „Modern Dance entstand Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts als Gegenbewegung zum klassischen Ballett und bildet die Grundlage für den späteren freieren Zeitgenössischen Tanz.“ Bislang ist „Philadanco!“ erst einmal in Leverkusen aufgetreten, das war in den 1990ern.

Die Philadelphia Dance Company tanzt im Forum durch die Geschichte Schwarzer Amerikanischer Identität.
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Am Dienstagabend steht die Geschichte quicklebendig auf der Bühne im restlos ausverkauften Forum und wird eröffnet mit Francisco Gellas „Seasons“. Ein choreografisches Manifest der Hybridität. Zu Max Richters Re-Komposition von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ verschmilzt Ballettstoff mit zeitgenössischer Bewegungssprache.
Die Körper fließen, federn, spiralisieren, als würden sie die klare barocke Formensprache fröhlich dekolonisieren. Gella choreografiert in sechs kurzen Tänzen kein Abbild der Natur, sondern choreografiert ihr Echo im Menschen: Frühling als Erwartung, Winter als Loslassen oder Vorbereitung und so weiter.
Preisgekrönter Tanz füllt das Forum
Dann bringt Anthony Burrells „Conglomerate“ Erinnerungen und einen urbanen Puls. Daryl J. Hoffmans Collage aus Beat, Spoken Word und Jazz, treibt die Gruppe in ein dichtes Geflecht aus Energie und Rhythmus.
Burrell ist selbst ein ehemaliges „Philadanco!“-Mitglied und er arbeitet mit dem, was man „kinetische Polyphonie“ nennt: mehrere Bewegungsebenen gleichzeitig, die sich überkreuzen, ergänzen, widersprechen.
Jeder Körper trägt in blutroten Gewändern seine eigene rhythmische Identität, doch gemeinsam entsteht ein – hier sozialer – Puls. Gemeinschaft nicht als Einheitsfront, sondern als vibrierendes Vielstimmigkeitssystem. Vielstimmig, wie Hoffmans Bandbreite von Plantagenrhythmen bis Hip-Hop.
Nach der Pause beginnt ein Sog im großen Saal. Ray Mercers „This Place“ ist schnell und intensiv, energiegeladene Soli und rasante Company-Formationen wechseln sich schlagartig ab. Mercer ist zehnfach ausgezeichnet für die beste Broadway-Performance. Körper werden in seinem „This Place“ gemeinschaftlich zu Speichern von Geschichte, zu Archiven von Herkunft. Bewegung als Form des Erinnerns. Wo ist man zu Hause, wenn die eigene Geschichte mehrfach entwurzelt wurde?
Energie der Philadelphia Dance Company explodiert
In einer Stunde und vierzig Minuten verwandelt die Company den Bühnenboden in ein Geschichtsbuch, geschrieben in Bewegung. Christopher Huggins’ „Enemy Behind the Gates“ schafft als Abschluss explosionsartig einen choreografischen Sturm. Linien lösen sich auf, Formationen brechen, Körper rasen, stoppen, atmen und beginnen von vorn.
Auch in den Lichtformen auf dem Tanzboden, die durch die düstere Atmosphäre brechen. Der „Feind“ stellt sich als Innerer heraus: Selbstzweifel, Angst, gesellschaftlicher Druck? Die Bewegungen sind präzise, fast militärisch, doch zugleich emotional aufgeladen. Ein humorvolles Duett zweier Damen löst dies etwas auf und sorgt am Ende für einen Lacher.
Der Abend lässt sich als „Performanz des Widerstands“ fassen. Wo der klassische Kanon auf Reinheit und Form pocht, zeigt „Philadanco!“ die Schönheit des „Dazwischens“. In Zeiten, in denen Repräsentation erneut verhandelt wird, ist ihr Auftritt nicht nur Erinnerung, sondern auch Aufbruch. Große Menschlichkeit.