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„Die Angst lebt in uns weiter“Leverkusener Schüler aus Syrien bewegt mit Rede über Frieden

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Schüler Ahmad Sarhan beim Mehrsprachigkeitswettbewerb „Mehr Sprachen – mehr Wir“

Schüler Ahmad Sarhan

Ahmad Sarhan hat mit seiner Rede über Frieden einen Mehrsprachigkeits-Wettbewerb gewonnen. Auch elf Jahre nach seiner Flucht aus Syrien kann er nicht immer Frieden finden.

„Frieden“, sagt Ahmad Sarhan, „war für mich keine Realität. Sondern eine Geschichte, die ich mir vor dem Schlafen selber erzählte, um nicht die Hoffnung zu verlieren“. Der 15-Jährige beschreibt seine frühe Kindheit in Syrien, von wo aus er im Jahr 2014 mit der Familie nach Leverkusen geflüchtet ist. In der Videoaufnahme seiner Rede steht der Schüler auf einer Bühne in Berlin, für die finale Runde des bundesweiten Mehrsprachigkeits-Wettbewerbs „Mehr Sprachen – mehr Wir“. Der Wettbewerb soll die Stimmen mehrsprachiger Jugendlicher stärken und zeigen, dass Vielfalt an Schulen in Deutschland mittlerweile eine Selbstverständlichkeit ist und auch ein großer Gewinn.

Für ihre Reden konnten sich die Teilnehmenden ein Thema aussuchen. Ahmad hat die Bedeutung eines Lebens in Frieden gewählt. In seinem Vortrag wechselt er fließend zwischen Arabisch und Deutsch. Der Schüler war vier Jahre alt, als er nach Deutschland kam, er habe nur „nur grobe Erinnerungen“ an seine Zeit in Syrien. Und doch kann er davon berichten, wie traumatische Kriegserfahrungen Geflüchtete in Deutschland weiterverfolgen – zum Beispiel, wenn Sirenengeheule erklinge oder die Geflüchteten Feuerwerke und Flugzeuge sähen, die sie an Explosionen und Beschuss erinnern. „Die Angst lebt in uns weiter“, sagt Ahmad. „Wir sind hier und doch gefangen in einer Vergangenheit, die uns einfach nicht loslassen will.“

Der Schüler will anderen eine Stimme geben

Ein paar Monate später sitzt Ahmad Sarhan im Wohnzimmer seiner Familie in Leverkusen und zeigt stolz seine Urkunde. Er hat den Wettbewerb gewonnen. „Ich äußere mich in der Schule sehr viel zum Thema Frieden und Krieg“, sagt Ahmad. Außerdem liebe er Sprachen. Als ein Lehrer ihn gefragt habe, ob er an dem Wettbewerb teilnehmen wolle, sei er sofort dabei gewesen. „Das war eine Chance, meine Stimme zu nutzen. Wann wurde es so normalisiert, dass Menschen getötet werden und andere einfach wegschauen?“ Der Schüler meint nicht nur den Krieg in seiner Heimat, sondern zum Beispiel auch das Leid der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen. „Ich habe für all die Menschen gesprochen, die in Frieden leben möchten, aber es nicht können.“

Ahmad ist politisch sehr interessiert, das merkt man schnell. Er sagt, er schaue regelmäßig die Nachrichten aus Syrien und informiere andere dann in den sozialen Medien darüber. „Viele meiner Freunde wissen überhaupt nicht, was in Syrien los ist, dabei sollte das doch ein Teil von ihrem Leben sein, weil auch in Deutschland einige Syrer leben.“ Auf seine Schule gehen laut Ahmad viele Syrerinnen und Syrer. Aber die Eltern von manchen seiner deutschen Freunde seien dagegen gewesen, dass er Zeit mit ihren Kindern verbrachte.

Frieden bedeutet für Ahmad ein Leben frei von Diskriminierung

Was Frieden für ihn heute bedeutet, darüber muss Ahmad kurz nachdenken. Zum einen, sagt er dann, gehe es darum, sich an einem Ort zu Hause zu fühlen. „Aber Frieden bedeutet für mich auch, nicht gestresst zu sein und nicht diskriminiert zu werden“. Doch das sei oft schwer: wegen des Alltagsrassismus, mit dem der Schüler seit seiner Ankunft in Deutschland konfrontiert sei. Die „allerschlimmste Erfahrung“ habe Ahmad schon im Kindergarten gemacht, als er noch kein Deutsch sprach. „Weil ich vergessen hatte, meine Spielsachen aufzuräumen, wurde ich über eine Stunde lang mit einem anderen syrischen Freund im Regen ausgesperrt“, erzählt er. Ahmad sagt, er erinnere sich an viele weitere diskriminierende Verhaltensweisen seiner damaligen Erziehenden.

Mittlerweile könne er sich besser wehren, weil er Deutsch beherrsche. Aber auch in der Schule gebe es rassistische Lehrer oder Mitschüler, insbesondere in den letzten Jahren hätten muslimfeindliche Kommentare zugenommen. „Die Deutschen wollen uns als ihre Busfahrer oder ihrer Pfleger, aber nicht als ihre Freunde oder als Teil ihres Alltags“, sagt Ahmad. „Sie wollen, dass wir ihre Häuser und Straßen sauber machen und ihren Müll wegräumen. Aber die guten Jobs sollen wir ihnen überlassen.“

Deshalb hat Ahmad in seiner Rede für den Wettbewerb oft betont, wie wichtig es ihm sei, dass die Gesellschaft eines anerkennt: Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten sind „auch nur Menschen“. Und zwar Menschen mit einer Geschichte „wie keine andere“. „Falls ihr die Geschichte nicht hören wollt“, hat Ahmad in Berlin gesagt, „dann kann ich leider nichts machen“. Aber der Schüler findet, dass sich jeder ohne persönliche Fluchterfahrung damit auseinandersetzen sollte, was es bedeutet, die eigene Heimat zu verlassen. „Gerade nehmen wenige Menschen diese Perspektive ein“, sagt er. „Vor allem nicht in der Politik.“