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ProzessStress im Antalya-Markt in Leverkusen

4 min
Der Antalya-Markt an der Kalkstraße

Der Antalya-Markt an der Kalkstraße war im April Schauplatz mehrerer Auseinandersetzungen.

Ein räuberischer Diebstahl im April erwies sich nur als Teil einer sehr viel größeren Geschichte. 

Zunächst klang die Sache ganz einfach. Aber je länger am Freitag vor dem Schöffengericht in Opladen verhandelt wurde, desto komplizierter wurde sie. Am 17. April war ein Mann in den Antalya-Markt an der Kalkstraße gekommen, hatte einen Korb mit allerlei Lebensmitteln vollgeladen und war von dannen gezogen, ohne zu bezahlen. Als eine Mitarbeiterin ihn auf dem Weg zum Auto aufhalten wollte, kam es nicht nur zu einem Wortgefecht: Der Mann schubste die Frau außerdem. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war das ein räuberischer Diebstahl.

Was der 63 Jahre alte Kurde dann aber zu Protokoll gab, hörte sich völlig anders an. Der Einkauf ohne zu bezahlen sei nicht ungewöhnlich, sondern abgesprochen gewesen, erklärte er. Mit dem Geschäftsführer des Marktes habe es eine entsprechende Abmachung gegeben. Früher sei das auch so gehandhabt worden. Der Hintergrund: Der Angeklagte sollte den Supermarkt als Eigentümer übernehmen. Anfang des Jahres hatte er deshalb auch schon knapp zwei Wochen zur Probe dort gearbeitet.

Ansonsten ging es ebenfalls familiär zu im Antalya-Markt. Immer wieder kam Kovan R. (Name geändert) in den Laden, um zum Beispiel Frühstück zuzubereiten. Man kannte sich also gut.

Alte Abmachung galt nicht mehr

Dass sich im April plötzlich die Geschäftsgrundlage geändert hatte, erfuhr der Angeklagte offenkundig erst später. Am 1. April hatte es einen Besitzerwechsel gegeben. Davon war Kovan R. überrascht worden. Die Absprache, dass er sich bedienen konnte und irgendwann später bezahlen – sie galt nicht mehr. Stattdessen bekam R. kurz nach dem Vorfall Besuch von der Polizei. Die nahm ihm den Einkauf wieder ab und brachte unter anderem Mandeln, Nüsse und Pistazien zurück zur Kalkstraße.

Wesentlich wichtiger war aber etwas anderes: Am selben Tag war Kovan R. noch einmal zum Supermarkt bestellt worden. Dort sei er auf mehrere Menschen getroffen, unter anderem den neuen Besitzer, sagte er. Zu Details des Treffens wollte er sich am Freitag nicht äußern. Klar ist allerdings: Am Ende des „Gesprächs“ war der Mann schwer verletzt. Er erlitt eine Platzwunde, die mit sieben Stichen im Krankenhaus genäht werden musste. Eine Anzeige hatte er daraufhin ebenfalls erstattet. Sie richtet sich unter anderem gegen den neuen Eigentümer des Antalya-Markts.

Aus dem Zeugen könnte ein Angeklagter werden

Der gehörte am Freitag zu den Zeugen und musste daraufhin von Richter Dietmar Adam entsprechend anders belehrt werden als seine Vorrednerinnen, die im Markt angestellt waren und das vormittägliche Geschehen miterlebt hatten: Er könne schweigen, so der Richter, sobald er sich selbst belasten würde durch eine Aussage.

Tatsächlich brachten die Angaben des damals frisch gebackenen Besitzers des Antalya-Marktes nicht viel Licht in die Sache. Da waren die Fotos, die sich auf dem Telefon seiner Freundin fanden, schon hilfreicher: Sie war es nämlich gewesen, die den vermeintlichen Ladendieb auf dem Weg zum Parkplatz hinter dem Supermarkt gestellt und aufgefordert hatte, die Waren zurückzugeben. Sie war es also auch, die vom Angeklagten geschubst worden war. Was der übrigens nicht zugab: „Ich bin ein 63 Jahre alter Mann. Ich weiß, wie ich eine Frau zu behandeln habe.“

In dieser Situation offenbar nicht: Zwar waren die Atteste aus dem Klinikum in den Gerichtsakten nicht zu finden. Aber die Zeugin konnte doch glaubhaft machen, dass der Angeklagte sie weggestoßen hatte. Auch zwei Kolleginnen stützten diese Version. 

Im Zusammenhang damit, dass Kovan R. wenige Stunden später selbst Opfer viel härterer Gewalt wurde, war der Schubser für das Gericht und die Staatsanwältin offenbar nicht mehr so entscheidend. Für den Angeklagten sprach offenbar auch, dass er die veränderte Geschäftsgrundlage wohl nicht kannte: Von dem erst gut zwei Wochen zurückliegenden Besitzerwechsel im Antalya-Markt wusste er nichts.

Wie also umgehen mit diesem Fall, der nur Teil des ganzen Geschehens ist? Eine Idee ließ der Besitzer des Antalya-Markts ausrichten: Man möge die Sache doch vergessen. So einfach ging es nicht. Aber nach einem Rechtsgespräch fanden Richter Adam und die beiden Schöffen diese Lösung: Das Verfahren wegen räuberischen Diebstahls wird eingestellt, aber wegen der körperlichen Gewalt soll Kovan R. eine Geldbuße bezahlen: 300 Euro an den Verein „Kinderherzen“. 

Und der Antalya-Markt? Hat schon wieder den Besitzer gewechselt: „Zu viel Ärger“ habe er mit dem Geschäft gehabt, sagte der gelernte Elektroingenieur mit türkischem Pass. Das zumindest ist glaubhaft.