„Das ist eine Verwahranstalt“Opladener prangert Missstände im DRK-Heim an

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Eggert Jessien vor dem Heim. Er prangert Missstände an. 

  • Eggert Jessien wohnt im Opladener DRK-Heim und spricht von „vergiftetem Klima“.
  • Seine private Post wurde geöffnet, Bewohnerinnen wurden tagelang nicht gewaschen, Pflegekräfte wechseln ständig.
  • Jessien glaubt, die Leitung wolle ihn loswerden. Was sagen die Verantwortlichen dazu?

Leverkusen – Das Leitbild des Deutschen Roten Kreuz (DRK) klingt vollkommen klar: „Im Zeichen der Menschlichkeit setzen wir uns für das Leben, die Gesundheit, das Wohlergehen, den Schutz, das friedliche Zusammenleben und die Würde aller Menschen ein.“ Zum Fototermin mit dem Leverkusener Anzeiger kommt Eggert Jessien aus der sechsten Etage des Opladener DRK-Altenheims zur Düsseldorfer Straße hinunter, weil er keine Besuche empfangen kann: Das Noro-Virus grassiert. Nichts Besonderes in Altenheimen um diese Jahreszeit. Die Erlebnisse aber, die der Journalist im Ruhestand erzählt, sind mit dem Leitbild des DRK nicht in Übereinstimmung zu bringen.

Eine Verletzung des Briefgeheimnisses, die er der Leitung des DRK-Altenheims vorwirft, ist so schwerwiegend, dass sich ein Gericht damit befassen könnte. Aber so weit ist es bisher nicht gekommen.

Jessien, der sich seit 2015 im Heim an der Düsseldorfer Straße eingemietet hat, sagt, er habe sich anfangs durchaus wohl gefühlt. Das ist vorbei. „Das ist hier kein Heim mehr, das ist eine Verwahranstalt“, sagt er. Kritik an der Heimführung sei nicht erwünscht: „Die Leute hier sollen kuschen, aber auf meiner Etage sind alle unzufrieden.“ Kuschen ist offenbar nicht die Art von Jessien, er sagt, was er denkt. Endgültig entzündet habe sich der Streit an einer Neuausrichtung der Pflege im Heim. Früher, so der Opladener, habe man noch seine festen Stationsschwestern gekannt.

Pflegekräfte springen

Inzwischen habe das DRK umgestellt: Die Pflegekräfte springen von einer Station zur nächsten, so sind sie leichter ersetzbar. Menschliche Beziehungen sollen zwischen Bewohnern und Angestellten offenbar nicht mehr entstehen, weiß eine andere Bewohnerin des Heims, die anonym bleiben will. Sie bestätigt, was Jessien offen ausspricht: „Es herrscht ein sehr vergiftetes Klima hier.“ Die Fluktuation unter den Pflegekräften scheint Jessien sehr hoch zu sein. Der 78-jährige will die Zustände nicht hinnehmen. Erst bei der eigenen Heimleitung, dann auch bei der Heimaufsicht Leverkusen.

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Die Auseinandersetzung mit dem DRK-Kreisgeschäftsführer Josef Peters eskaliert, Jessien schreibt an den DRK-Landesverband, er sei zum ersten Mal seit seiner Militärdienstzeit vor 60 Jahren zum Rapport bestellt worden – bei Peters und der Pflegedienstleitung. Jessien nennt das rüpelhaft: Aus der Perspektive im Rollstuhl sitzend, sei er von dem vor ihm stehenden Peters regelrecht runtergeputzt worden. Demütigend sei das gewesen. Als Gipfel empfand Jessien, als er einen Jungpfleger bat, ihm einige Briefe zu kopieren, die dieser aber postwendend der Heimleitung vorlegte.

Der Postbote gibt Briefe in der Regel gesammelt an der Pforte ab. Besonders empört hat Jessien, dass mehrere an ihn adressierte Briefe bei ihm bereits geöffnet ankamen – ein Verstoß gegen das Briefgeheimnis. Zwei andere Briefe, die ihm Freunde aus USA und Spanien ins Heim geschickt hatten, seien an die Absender zurückgegangen. Vermerk: 'Empfänger verstorben'. „Ich spüre, dass sie mich hier rausschmeißen wollen“, sagt Jessien, „aber ich will nicht mehr umziehen. Ich will, dass sich hier was ändert.“

Die Stadt erklärt: „Die Heimaufsicht wurde durch ein Anschreiben des Bewohners darüber informiert, dass die Einrichtungsverwaltung ihm nahegelegt habe, gegebenenfalls die Einrichtung zu wechseln. Seitens der Heimaufsicht wurde daraufhin durch eine Mitarbeiterin das persönliche Gespräch gesucht, mit dem Ziel, vermittelnd tätig zu werden.“ Ernster nimmt die Stadt den Fall mit dem Postgeheimnis.

„Versehentlich geöffnet“

Die Heimaufsicht sagt dazu: „Zum Vorwurf der geöffneten Post ist zu sagen, dass es sich dabei um ein Schreiben des Bewohners handelt, das versehentlich durch eine Mitarbeiterin der Einrichtung geöffnet wurde. Der Einrichtung wurde schriftlich mitgeteilt, dass bei weiteren Verletzungen des Postgeheimnisses ordnungsrechtliche Konsequenzen drohen.“

Josef Peters, DRK-Kreisgeschäftsführer und seit 23 Jahren Leiter des Seniorenheims, rechtfertigt die probeweise Einführung des neuen Pflegekonzepts. Aufgrund des hohen Krankenstands im Haus und angesichts des allgemeinen Pflegenotstands fehle Personal. Von hundert Betten im Haus seien zehn Betten derzeit deshalb nicht belegt. Damit reagiere die Heimleitung auf die Engpässe. Laut Peters betreuen 50 Mitarbeiter derzeit 90 Bewohner (Durchschnittsalter 87). Der Krankenstand sei ungewöhnlich hoch, die Belastung stark. Da die drei ehemaligen Wohnbereichsleiterinnen, die eine gesonderte Ausbildung hatten, ausfielen, habe man ein Team aus Pflegedienstleitung und anderen Fachkräften gebildet. Der Einsatz werde zentral und flexibel gesteuert, sagt Peters.

Jessien und andere beklagen, dass es auf den Stationen keine festen Teams mehr gibt. Täglich komme jemand Neues. Waschen, rasieren oder die Nägel zu schneiden, beklagt nicht nur Jessien, das komme jetzt oft zu kurz. Eine Bewohnerin gab an, zwei Tage gebettelt zu haben, man möge sie im Intimbereich waschen. Am dritten Tag sei jemand mit einer Deospraydose gekommen. Hundeelend habe sie sich gefühlt. „Ich will mich nicht zu jedem Quatsch äußern“, erklärte Peters. Und: „Wenn einer meint, dass etwas nicht in Ordnung ist, kann er zu mir oder der Pflegedienstleitung kommen. Wir sind keine Götter und wollen das auch nicht sein.“

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