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Leverkusener MusikerinVier Fehlgeburten in zwei Jahren – ein Lied über Schicksalsschläge

Lesezeit 4 Minuten
Die Leverkusenerin Lea Sauter sitzt in ihrer Wohnung und zeigt das Cover zu ihrem Song „Raum“.

Alles reingelegt an Trauer, Hoffnung und Musikleidenschaft: Lea Sauter hat einen Song geschrieben, in dem sie ihre Fehlgeburten verarbeitet. 

Lea Sauter hat vier Fehlgeburten binnen zwei Jahren erlitten. Um die Trauer darüber zu verarbeiten, hat die Musiktherapeutin und Musikerin einen Song geschrieben, der auch anderen Betroffenen Mut machen soll.

Beim ersten Mal, sagt Lea Sauter, habe sie noch gedacht: „Das kann passieren.“ Beim zweiten Mal kam der Zusammenbruch. Und der setzte etwas in Gang, das nun, in diesen Tagen, Ende und Anfang zugleich ist. Das Ende einer Zeit nämlich, in der Lea vier Fehlgeburten binnen zwei Jahren ertragen musste. Und der Beginn einer Zeit, in der sie zwar in Trauer zurück- aber auch voller Hoffnung vorausblickt. Was Lea rettete, war die Musik. Ist ein Song, in dem sie alles, was ihr widerfuhr, verarbeitete.

Oder vielmehr verarbeiten musste. Denn letztlich war dieser Ansatz logisch für die 27-Jährige aus Leverkusen: Lea schreibt nicht nur Musik und Texte, seitdem sie Teenagerin war. Sie ist längst auch studierte Musiktherapeutin. Sprich: Sie weiß um die Kraft der Musik.

Der erste Schlag kam im Mai 2020

Und sie kann sich genau erinnern, wie das alles begann und wie es passierte: zunächst der Kinderwunsch. Dann die erste Fehlgeburt, im Mai 2020, nach der sie sich gemeinsam mit ihrem Mann noch sagte: „Probieren wir es in drei Monaten halt nochmal.“ Die erneute Schwangerschaft im November desselben Jahres. Der Nikolaustag, an dem sie Blutungen bekam. Die nächste Fehlgeburt. Das Unerklärliche. Zum zweiten Mal. „Ich hatte viele, viele Arzttermine“, erinnert sie sich. „Alle ergebnislos.“ Lea war und ist doch gesund, sportlich, jung.

Und schließlich der Moment, in dem ein Arzt zu ihr sagte: „Lass gut sein.“ Drei Wörter. Gut gemeint vielleicht. Aber auch unfassbar ungehörig, anstandslos, brutal, unsensibel. Gut gemeint ist nicht selten das  Gegenteil von gut. Es sind denn auch genau diese drei Wörter, die am Anfang jenes Songs stehen, den sie damals schrieb. Spontan. Aus Wut, Trauer und Verzweiflung. „Ich kam heim. Setzte mich hin. Nur ich und das Klavier.“ Eine halbe Stunde später war das Lied fertig.

Die Leverkusenerin Lea Sauter alias Leave auf dem Cover zu ihrem Song „Raum“.

Loslassen und weitergehen: Lea Sauter alias Leave gestaltete das Cover zu ihrem Song gemeinsam mit zwei Freundinnen.

Neuanfang genau zwei Jahre später

Am 6. Dezember 2022 - genau zwei Jahre nach Leas persönlichem Drama und nach zwei weiteren Fehlgeburten seitdem – können alle „Raum“, so der Titel des Songs, hören. Lea hat ihn in Eigenregie aufgenommen, im heimischen Mini-Studio. Sie singt in ihm davon, dass sie ihrer Trauer Raum einräumen muss. Dass sie seit damals immer wieder Raum und Zeit nur für sich braucht, um klarzukommen.

Und: Dass sie Raum schafft für Hoffnung und gute Gedanken. Andere konnte sie nicht ranlassen an dieses Lied. „Ich musste das nach meinen Vorstellungen machen. Das ist so eine krasse Thematik. Wenn das im Studio mit einem Produzenten oder anderen Musikern nicht gepasst hätte...“ Sie beendet den Satz nicht. Aber man weiß auch so, was sie meint.

Jetzt fühlt Lea irgendwie alles gleichzeitig: Aufregung – weil sie durch den Song Dinge und Gedanken preisgibt, die so intim sind, dass es weh tut und die nicht jeder Mensch teilen würde. Und Stolz und Erleichterung – weil sie es überhaupt geschafft hat, das Stück aufzunehmen, nachdem sie im Anschluss an die weiteren Fehlgeburten zeitweise überhaupt keine Musik mehr hören, spielen, schreiben konnte. „Keine fröhliche. Und erst recht keine melancholische, traurige.“ Lea und keine Musik? Früher wäre das undenkbar gewesen. Plötzlich war es real.

Kein Tabuthema mehr

Mit „Raum“ will Lea indes mehr als nur ihr Erlebtes verarbeiten und das Schlimme in etwas Positives, Schönes umwandeln. Sie will: anderen Betroffenen helfen. Und sie will: aufmerksam machen. „Fehlgeburten sind nach wie vor ein Tabuthema“, sagt sie. Alle redeten übers Kinderkriegen und wie toll das sei.

Immer wieder werde sie selbst angesprochen, wann es denn bei ihr so weit sei. Und wenn Lea dann antwortet und erzählt, ist beim Gegenüber schnell nur dies: Stille. Hilflosigkeit. Verschämte Blicke gen Boden. Ende des Gespräches. Überhaupt: „Jedes Mal, wenn ich in einer gynäkologischen Praxis sitze, sehe ich überall Infobroschüren zur Geburt. Aber keine, in denen etwas über Fehlgeburten oder Sternenkinder steht.“  

Soziale Medien als Plattform

Das will sie ändern. Will versuchen, mit Arztpraxen oder anderen Institutionen zusammenzuarbeiten. Ihren Song zur Verfügung stellen. Dazu hat sie in den sozialen Medien auf der Plattform Instagram eine eigene Seite geschaltet. „Leave“. „Leave“ als englisches Wort für „verlassen, loslassen“ einerseits. Und als Mischung aus „Lea“ und ihrem zweiten Vornamen Eva andererseits.

Geholfen haben ihr bei der Gestaltung der Seite, bei den Aufnahmen des Covers zum Song und generell beim Nicht-Aufgeben drei gute Freundinnen: Die Fotografin Ronja Bensch, die Stylistin Nicole Kau und die Künstlerin Jasmin Wahl.

Weitere Songs sollen folgen

Und die werden ihr auch weiterhin - wie ihre Familie natürlich -  beistehen, denn: Lea hat noch mehr Stücke geschrieben, die sie in naher Zukunft veröffentlichen will. Darunter auch eines, in dem sie sich sarkastisch an all den klugen Sprüchen abarbeitet, die sie nach ihren Fehlgeburten immer wieder zu hören bekommt. Von „Sei doch froh, dass es immer so früh passiert ist“ bis hin zu, eben, „Lass gut sein“. Nein: Lea lässt es nicht gut sein. Sie lässt jetzt Gutes entstehen.  

„Raum“ von Lea Sauter alias Leave ist ab dem 6. Dezember 2022 auf Spotify und bei den anderen gängigen Streamingdiensten (Apple-Music, Deezer) zu hören. Ihre Instagramseite heißt „leave.musik“.