Verbreiterung von A1 und A3Diese 4 Leverkusener kämpfen in Berlin gegen den Ausbau

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Gisela Kronenberg

Gisela Kronenberg sitzt im Leverkusener Stadtrat und kämpft gegen den Autobahnausbau.

  • Am 10. Juni gibt es in Berlin eine Protestaktion von Bürgerinnen und Bürgern – gegen den geplanten Autobahnausbau.
  • Wir stellen einige der engagiertesten Leverkusener vor.

Leverkusen – 25 Ordner habe sie zu dem Thema, erklärt Gisela Kronenberg. Auch die Powerpoint-Präsentation kann sie aus dem Effeff vorführen. Seitdem vor knapp zehn Jahren bekannt wurde, dass die Autobahnen 1 und 3 verbreitert werden sollen, hat sich die 71-Jährige in das Thema eingelesen. Nein, eingearbeitet, sich dem Thema verschrieben, muss man fast sagen. Gisela Kronenberg kennt die Ausbaupläne wie kaum jemand anderes.

1982 sei die gebürtige Hessin mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann in ihr Haus im Fridtjof-Nansen-Weg eingezogen, erzählt sie. Von ihrem Garten, in dem es jetzt üppig blüht, schaut sie auf die BayArena. Immer mit dabei: das Rauschen der Autos. „Ich wohne mittendrin“, sagt Kronenberg. Mitten im Autobahnkreuz Leverkusen quasi. Und ja, man gewöhne sich daran, sagt sie ganz deutlich. Doch sie kämpfe nicht für sich, sie kämpfe für alle Bürgerinnen und Bürger. „Ich habe das Gefühl, dass die Leute nicht wissen, was auf sie zukommt.“

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Gisela Kronenberg sitzt seit der letzen Kommunalwahl im Rat. Mit 75 solle aber Schluss sein, hat sie sich geschworen. Sie tanze zurzeit auf zu vielen Hochzeiten, findet sie. Autobahnausbau, Currenta-Explosion, Schloss Morsbroich. Doch die Energie reicht noch. Selbstverständlich wird auch Gisela Kronenberg am 10. Juni im Bus nach Berlin sitzen und mithelfen, die Unterschriften ans Verkehrsministerium zu übergeben. Protestunterschriften von Leverkusenern und Leverkusenerinnen, die nicht wollen, dass aus ihrer Stadt eine Dauerbaustelle wird – für die nächsten Jahrzehnte. Das betont die 71-Jährige: „Eine ganze Generation wird von den Baumaßnahmen betroffen sein.“ Sie rechnet damit, dass alle Baumaßnahmen nicht vor 2050 fertig sein werden. Nur wie sehe dann die Welt aus? Brauche man das alles dann noch, fragt sie sich?

Ausweichverkehr durch die Stadt

Als die frühere Lehrerin eine Stelle in Leverkusen angeboten bekam, musste sie „erstmal auf der Karte gucken, wo das ist“, sie lacht bei der Erinnerung. Mehr als Aspirin und Bayer 04 kannte sie damals von der Stadt nicht, für die sie sich später so einsetzen würde.

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Gisela Kronenberg setzt sich mit einem Kaffee an ihren Esstisch, der Kater quengelt, mal will er rein, dann wieder raus. Kronenberg ist in die Präsentation vertieft, in Zahlen: Zahlen zu Fahrstreifen, Lärmschutzwandhöhen, Jahreszahlen. Sie sieht sich selbst als pragmatisch: „Ich bin kein Typ, der hysterisch durch die Gegend schwingt“, sagt sie über sich.

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Sie findet daher auch: Ausbau muss sein, das Kreuz müsse durchaus ausgebaut werden, und auch ein Ersatz für die marode Rheinbrücke sei ja nunmal notwendig – natürlich am liebsten in Kombination mit einem Tunnel. Aber die Verbreiterung der A3 von sechs auf acht Spuren und die Erweiterung der Stelze? „Viele werden die Sonne nicht auf- oder untergehen sehen, man guckt gegen eine Mauer“, skizziert Kronenberg das, was viele Anrainer der Strecke erwartet. Und nicht nur die: Nehmen die Baumaßnahmen auf der A3 erst so richtig Fahrt auf, fließt der ganze Umleitungs- und Bauverkehr durch Leverkusen – auf Jahre, befürchtet sie.

Dass die Stadt versucht, den Planern Knüppel zwischen die Beine zu werfen, findet sie gut. „Jedes Jahr, um das das Projekt verschoben wird, ist ein Jahr für Leverkusen.“ Was sie sich von dem Termin im Berliner Verkehrsministerium erhofft? „Es wird nicht den Rumms geben“, antwortet sie bedächtig. Man wolle Volker Wissing auch weder blamieren noch provozieren, „aber ich erwarte, dass man uns zuhört, dass man die Folgen ernst nimmt und dass man sieht, wir lassen uns nicht alles gefallen.“

„Die kriegen keinen Zentimeter von uns“

Wenn Ilse Luxem die Hände vor der Brust verschränkt, glaubt man ihr jedes Wort: „Die kriegen keinen Zentimeter von uns.“ Uns: das sind sie und ihr Mann Rolf, die in der Straße Ratherkämp wohnen. Die: das ist die Bundesregierung, die letztendlich verantwortlich dafür ist, dass sie vielleicht irgendwann eine Lärmschutzmauer direkt am Haus haben. Schon jetzt prangt hinter dem Garten des Ehepaares die Lärmwand der A3. Mehr Spuren, zusätzlich noch ein Bauweg und eine höhere Lärmschutzmauer, dann rückt die Autobahn 15 Meter näher an ihr Haus heran und stiehlt den Luxems einen Teil ihres Gartens. Das Gartenhäuschen, die Werkstatt? Müssten wegkommen, sagt Rolf Luxem. Dass ihre Photovoltaikanlage auf dem Dach möglicherweise nur noch halb so viel Strom liefern kann? Kriege man von niemandem ersetzt.

Die Luxems sitzen an ihrem Esstisch, über der Sitzecke hängen Fotos. Durch den Anbau geht es in den Garten. An das Rauschen der Autos gewöhne man sich durchaus, sagt Ilse Luxem, nur wenn sie aus dem Urlaub komme, denke sie manchmal, ach sie wohnten ja schon sehr laut. 1988 seien sie in das Haus gezogen, einige Jahre später bauten sie an, „man hängt dran“.

Die Kinder hätten sich in derselben Straße ein Haus gekauft. Als ihnen das erste Mal bewusst geworden sei, dass der Ausbau auch sie betrifft, hätten sie gedacht: „Das jibbet doch jar nicht“, erzählt Rolf Luxem. Und dann: Die kriegen keinen Zentimeter von uns. Die Luxems haben Unterschriften gesammelt, sie sind bereit, auch zu klagen. Am 10. Juni geht es erstmal nach Berlin. „Man muss was machen, man kann nicht zu allem schweigen“, findet die 67-jährige Ilse Luxem. Am schlimmsten findet das Paar, dass sich bislang „keiner von den Entscheidern“ mal nach Leverkusen bemüht hat, um sich die Situation vor Ort anzuschauen.

Erwarten mehr Aufklärung von der Stadt

Die Luxems feiern im kommenden Jahr ihre Goldhochzeit, vielleicht im Garten „da gibt es die Mauer da ja noch nicht“, sagt Rolf Luxem mit Galgenhumor. Jetzt in Berlin erhoffen sie sich, dass die Politik aufmerksam wird, dass man sieht, dass hier Leute kämpfen.

Auch von der Stadt Leverkusen erhoffen sie sich etwas. Vor zwei, drei Jahren sei sich die Stadt nicht einig gewesen, man habe in der Politik keinen gemeinsamen Nenner gefunden. Das habe sich gebessert, sagen sie. Aber sie müsste noch aktiver werden, findet der 70-Jährige: Auf Wochenmärkten müsste man sich hinstellen, Leute ansprechen, der Oberbürgermeister oder die Fraktionen müssten aufklären, vielleicht mit einer Fotoleinwand den Passanten aufzeigen, was wirklich geschehen soll. Was auch alle Leverkusener beträfe: „Die Straßen werden durch den Bauverkehr komplett überlastet sein“, ist sich der 70-Jährige sicher.

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Mit einem Bus fährt Leverkusen am 10. Juni nach Berlin, knapp 60 Leute sind bis jetzt angekündigt. „Mit drei bis vier Bussen hätte ich schon gerechnet“, räumt er ein. Egal, was kommt: Die Luxems werden da sein und danach weiterkämpfen. „Wir werden das so lange wie möglich verzögern“, sagt Ilse Luxem.

„Ich sage zu meinen Kindern: Das mache ich auch für euch“

Am Anfang ging es ihm eigentlich um den Lärm. Friedrich Jonas wohnt in der Schleswig-Holstein-Siedlung, hinter dem idyllischen Garten verläuft die Bahntrasse – alle paar Minuten rattert ein Zug hindurch. Der 59-Jährige kämpft schon lange gegen den Bahnlärm, für Lärmschutz, mit einigem Erfolg. Und irgendwie kam dann auch noch der Kampf gegen den Autobahnausbau hinzu, immerhin kann er die Autos von der A1 in seinem Garten auch hören. Bereits 2006 hatte er sich gegen den damals geplanten Ausbau des Kreuzes engagiert, die Schrebergartenanlage Bernshecke sollte durch den „Überflieger“ durchschnitten werden. „Da war ich das erste Mal auf einer Demo“, sagt Jonas und muss schmunzeln.

Seit 2000 wohnt er mit seiner Frau im Haus, seit 2010 ist er Vorsitzender der Interessengemeinschaft Schleswig-Holstein-Siedlung. Der neueste Coup der Anwohnerinnen und Anwohner? Sie versuchen, aus ihrer Siedlung eine Fahrradzone zu machen. Friedrich Jonas ist engagiert und hat viele Baustellen. Allein mit dem Thema Autobahnausbau war er in den stressigsten Zeiten „zwei bis drei Abende“ pro Woche beschäftigt, sagt er und ist froh, dass seine Frau ihn dabei unterstützt. Man sei oft nicht zu Hause, müsse viel lesen. „Meine Kinder fragen: ,Bist du dir sicher, dass das etwas bringt?'“ „Ja“, sage er dann, „das mache ich auch für euch.“ Er findet, man muss es wenigstens versuchen, nicht hinter nur „hätte hätte Fahrradkette“ zu sagen. Jonas findet, dass noch zu wenig Leute wirklich ahnen, was auf die Stadt zukommt. „Das ist alles für die Leute noch so weit weg, es ist schwierig, ihnen zu erklären, dass sie jetzt aktiv werden müssen“, sagt er.

Leute denken langsam um

Der passionierte Radfahrer sieht aber auch, dass jetzt „ein Umdenken bei den Leuten“ stattfindet. Ganz grundsätzlich in der Gesellschaft. Früher wollte man mit dem Auto schnell durchkommen, jetzt, auch dank Fridays For Future, würden die Menschen sich vermehrt fragen: „Was tun wir unserer Umwelt an? Und wollen wir das unseren Kindern zumuten?“ Die Jugend hätte die Vorteile schon erkannt, sagt Jonas: Junge Leute, die sich in die Bahn setzen und weiterarbeiten oder Podcasts hören oder lesen. Eine seiner Töchter hat noch nicht mal mehr einen Führerschein. „Das ist die Verkehrswende, die kommen wird.“ E-Mobilität, grüner Wasserstoff, anderes Mobilitätsverhalten. Würden die Planungen zur Autobahn jetzt beginnen, wären sie bestimmt anders geworden, glaubt der 59-Jährige.

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Was er sich davon erhofft, am Freitag, 10. Juni, in Berlin am Bundesverkehrsministerium zu stehen und die gesammelten Unterschriften zu überreichen? „Wir hoffen, dass der Verkehrsminister ein Umdenken einleitet.“ Noch könne der Verkehrsminister „neu denken“, Volker Wissing ist wie die gesamte Koalition noch nicht so lange im Amt, er verliere sein Gesicht nicht. In der Stadt Leverkusen habe die Politik „schwer dazugelernt“, man spricht nun mit einer Zunge, findet Friedrich Jonas. „Das hat eine ganz andere Fahrt aufgenommen, alle Parteien tragen den Protest mit.“

Und er ist auch noch lange nicht zu Ende. Sein neuestes Thema: Hochwasserschutz. In den Planungen seien keine Regenrückhaltebecken vorgesehen, erklärt Friedrich Jonas. „Wo geht eigentlich das Wasser hin?“, fragt er sich und will das mit auf die Tagesordnung setzen.

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