Leverkusenerin über RassismusGina Hitsch: „Ich bin eine schwarze Deutsche“

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Schlimme Erfahrungen von klein auf: Die Leverkusenerin Gina Hitsch engagiert sich auf vielfältige Weise  gegen Rassismus. 

Leverkusen – Gina Hitsch ist Leverkusenerin – und ihre Hautfarbe ist Schwarz. Rassismus ist für sie alltäglich. Seit geraumer Zeit engagiert sich die 26-Jährige dagegen – unter anderem mit einem eigenen Podcast namens „Weit weg von perfekt“, mit Aufklärungsprogrammen für Schulen und in einem Verein, den sie jetzt gegründet hat. Im Interview zum Thema Rassismus spricht sie über Unsagbares, über historische Begebenheiten, über Mut – und über den Weg der kleinen Schritte hin zur besseren Welt.

Gina, wie bezeichnet man Sie am besten?

Es gibt so viele Ausdrücke. „Farbig“ finde ich ganz schlimm. Daher: Ich bin eine schwarze Deutsche. Auch weil „Schwarz“ ja der Begriff ist, mit dem sich viele Schwarze politisch einordnen. Ich bin in Accra in Ghana geboren und weil mein Vater Deutscher ist, bin ich mit drei Jahren hierhergekommen. Jetzt bin ich 26 – und: Ich bin deutsch.

Wo fängt als schwarze Deutsche Rassismus für Sie an?

Bei der Art, wie man über Schwarze denkt. Er beginnt meist mit der banalen Frage: „Woher kommst Du denn?“ Und wenn ich dann antworte: „Aus Leverkusen“, heißt es meist: „Ja, aber woher kommst Du denn wirklich?“ Aber meine weiße Nachbarin würde ja auch niemals gefragt werden, woher sie denn kommt – weil sie eben offensichtlich der deutschen Norm entspricht. Die meisten Weißen denken, Rassismus müsse immer eine böse Absicht haben. Sprich: „Wenn jemand die AfD wählt, ist er oder sie Rassist.“ Oder: „Rassisten sind die Glatzköpfe, die auf Ausländer einprügeln.“ Aber das ist nicht so. Das Problem am Alltagsrassismus: Die Menschen wollen eher sagen, dass sie partout nicht rassistisch sind, als wirklich einmal darüber nachzudenken, was sie sagen und was das bewirkt.

Könnte man eine Frage wie „Woher kommst Du wirklich?“ auch anders stellen? Denn man sieht ja, dass Sie familiäre Wurzeln haben, die nicht in Deutschland liegen.

Ich verstehe durchaus die Absicht hinter dieser Frage „Woher kommst Du?“ Aber viele Menschen, die das gefragt werden, wollen gar nicht darüber sprechen – weil sie vielleicht aus ihrer alten Heimat geflohen sind oder schon in fünfter Generation in Deutschland leben und sich mit diesen Wurzeln gar nicht identifizieren. Daher ist diese Frage immer ein sehr tiefer Eingriff in die Privatsphäre. Man würde ja auch keinen Menschen, den man gerade fünf Minuten kennt, fragen: „Wie war eigentlich das Leben deines Opas so?“

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Welche Form des Alltagsrassismus begegnet Ihnen über dieses „Woher kommst Du?“ hinaus?

Alles Mögliche – und alles sehr häufig. Meist ist es: „Du redest aber gut Deutsch!“ „Wie lange leben Sie denn schon hier?“ Oder: „Sie haben so schöne Haare, darf ich die mal anfassen?“ Und dann fassen die Menschen mich auch tatsächlich an. Ich kann das nicht verstehen. Man weiß doch, dass man andere Menschen nicht einfach anfasst.

Wie reagieren Sie in einer solchen Situation?

Früher habe ich meist gedacht: „Ja, dann lass’ sie halt anfassen.“ Heute drehe ich mich direkt weg und sage etwas.

Sie sind an einer Schule als pädagogische Fachkraft tätig. Welche Erfahrungen machen Sie mit Kindern und Rassismus?

Kinder sind vorurteilsfrei. Wenn Kinder mit anderen Kindern nicht spielen wollen, dann wollen sie das nicht, weil sie schlichtweg keine Lust darauf haben. Und nicht, weil ihr Gegenüber aus Ghana kommt. Und trotzdem kann man – auch wenn viele das Gegenteil behaupten - mit Kindern sehr wohl über Rassismus reden. Die verstehen das. Die älteren sowieso. Mit anderen zusammen schreiben ich daher auch gerade an einem Anti-Rassismus-Trainingsprogramm für Schülerinnen und Schüler. Und das soll verpflichtend sein. Denn es ist ja so: Plakate gegen Rassismus sind schön. „Schule ohne Rassismus“ hört sich gut an. Aber im Innern der Schule wird das dann nicht immer auch umgesetzt. Das habe ich selbst erlebt. Ich hatte mit einem Lehrer zu tun, der sich rassistisch äußerte.

Wie bitte? Ein Lehrer?

Ja. Ich hatte nach meinem Wechsel von der Realschule am Stadtpark aufs Landrat-Lucas-Gymnasium im Deutschunterricht einen Lehrer, der mich fragte, ob ich denn Deutsch schreiben könne. Vor der ganzen Klasse. Ich sagte ihm: „Ja, natürlich. Das wäre ja sonst bestimmt schon jemandem an der anderen Schule aufgefallen.“ Daraufhin fragte er, welche Sprache ich denn Zuhause spreche. Ich sagte: „Deutsch.“ Und er sagte dann: „Ja, aber bestimmt auch etwas Anderes, oder?“ Ich sagte: „Ja, manchmal Englisch. Mit meiner Mutter.“ Und daraufhin meinte er: „Ah, habe ich es mir doch gedacht. Man hört nämlich, dass Sie einen Sprachfehler habe. Damit sollten Sie mal zum Logopäden gehen.“ Bei diesem Lehrer war es aber auch generell so, dass wir alle getrennt in der Klasse saßen. Und zwar: Hier die deutschen Schüler – und dort diejenigen, die eine Migrationsgeschichte hatten. Zu letzteren sagte er dann: „In jeder Gesellschaft gibt es Gewinner und Verlierer – und ihr seid die Verlierer.“ Ich hatte auch immer eine Fünf bei ihm. Egal, was ich machte. Einmal habe ich mich deswegen auch gemeinsam mit meinen Eltern beschwert. Da bekam ich dann eine Vier – „mit beiden Augen zugedrückt“. Und das ging so, bis ein neuer Lehrer kam. Da hatte ich eine Zwei.

Viele Menschen kritisieren heutzutage, dass man „ja gar nichts mehr sagen dürfe“. Dass alles auf die Goldwaage gelegt werde. Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Grünen, hat kürzlich…

…das N-Wort reproduziert, oder?

Genau. In diesem Fall hat sie es aber nur aus einem Text zitiert. Daher – und korrigieren Sie mich bitte, wenn ich falsch liege – könnte man ja sagen: Sie hat es nicht aktiv verwendet. War die Kritik, die sie daraufhin abbekam, überzogen?

Ich fand die Kritik an sich gerechtfertigt. Denn: Wir müssen lernen, Begriffe wie dieses N-Wort einfach nicht mehr zu benutzen. Auch Bücher müssen – ebenso wie beispielsweise alte Lieder – so umgeschrieben werden, dass diese Begriffe darin nicht mehr vorkommen. Dann fällt meist das Argument: „Das haben wir aber doch immer so gesagt.“ Ja. Aber was ist das denn für ein Argument? Warum muss ich denn darauf bestehen, derlei Begriffe weiter benutzen zu dürfen, wenn ich doch weiß, dass ich andere Menschen damit ausschließe beziehungsweise beleidige? Und wenn wir über „Das haben wir immer so gemacht“ sprechen, dann darf man nicht vergessen: Wer ist denn „wir“? „Wir“ - das sind doch meist nicht die Leute, die betroffen sind. Letztlich schränkt es mich doch nicht in meinem Leben ein, wenn ich diese Wörter nicht mehr benutze. Also wo ist das Problem? Und: Wenn man sich einmal mit der Herkunft dieses Wortes beschäftigt und sich bewusst macht, wie viele Menschen schon in seinem Kontext nicht zuletzt gewalttätig angegangen und ermordet wurden, wie viele Menschen schon gegen dieses Wort und gegen das, für was es steht, gekämpft haben: Dann ist die Sache doch klar.

Wurden Sie schon einmal körperlich bedroht?

Bedroht zum Glück noch nicht. Aber beschimpft. Hier vor der Haustüre in Wiesdorf beispielsweise ist mir neulich eine Fahrradfahrerin entgegengekommen und hat mich im Vorbeifahren mit dem N-Wort beschimpft. Und im Bus hat sich auch schonmal ein älterer Herr von mir weg gesetzt mit dem Satz: „Immer dieses dreckige Pack hier.“

Wie reagieren Sie dann?

Ich habe in keiner dieser Situationen irgendwie reagiert. Übrigens auch keiner der Menschen drumherum. Im Nachhinein denke ich zwar immer: „Mensch, du hättest dies und das sagen können.“ Aber ich bin im ersten Moment einfach zu perplex und geschockt und frage mich manchmal schon: „Hat all das, was ich und andere gegen diese Dinge unternehmen, überhaupt einen Sinn? Bringt das was?“

Wie machen Sie sich Mut?

Ich mache mir immer bewusst: Diesen Rassismus gibt es schon seit über 400 Jahren. Und es hat sich in dieser Zeit schon viel getan. Und wenn es nur in Mini-Schritten geht, dann ist das eben so. Kleine Schritte sind auch Schritte. Einschneidend war zuletzt die „Black Lives Matter“-Bewegung. Sicher: Das Thema Rassismus war immer schon präsent. Es ist immer schon passiert. Aber 2020, nach dem Tod von George Floyd durch Polizeigewalt in den USA, war es global einschneidend und überall präsent. Und auch ich habe mich noch intensiver als zuvor damit auseinandergesetzt, habe viele coole Leute kennengelernt. Ein richtiges Netzwerk aufgebaut aus Menschen, die mich verstehen. Und auch das pusht mich total, nicht nachzulassen. Ich will zeigen: Wir müssen die Erinnerung an das, was den schwarzen Menschen seit jeher passiert ist, hochhalten, damit nicht auch noch unsere Kindeskinder in Talkshows sitzen müssen, um zu erklären, warum man das N-Wort bitte nicht mehr benutzen sollte. Und wir müssen uns immer vor Augen halten, wie beispielsweise der Wohlstand in Westeuropa zustande gekommen ist – Stichwort: Kolonialisierung. Wir müssen uns kundig machen und informieren.

Gibt es eigentlich auch Rassismus gegen Weiße?

Nein. Denn der Rassismus, den die Schwarzen erfahren, wurde von Weißen erfunden, um zu rechtfertigen, dass sie über Schwarze herrschen. Natürlich: Weiße können diskriminiert werden. In jeder Hinsicht. Aber nicht aufgrund ihrer Hautfarbe, denn: Die weiße Gesellschaft ist immer die Dominanzgesellschaft. Das ist historischer Fakt.

Popstar Justin Bieber wurde jüngst heftig dafür kritisiert, dass er plötzlich Rastas auf dem Kopf trug. Ist es rassistisch, wenn sich weiße Menschen Dinge aus der schwarzen Kultur aneignen?

Ja. Die meisten sagen zwar immer: Ich mache das ohne jeden Hintergedanken. Aber: Wenn ich mir als weißer Mensch Dreadlocks, Rastas oder Cornrows mache oder mich an Karneval im Gesicht schwarz anmale, dann kann ich das am nächsten Tag wieder ändern. Dann bin ich wieder weiß. Ein Schwarzer kann das nicht ablegen. Ich wache am nächsten Morgen wieder auf – und habe dann immer noch eine Hautfarbe, wegen der Menschen diskriminiert werden. Was zudem viele nicht wissen: Früher haben Sklaven mittels der Frisur Fluchtpläne geflochten. Der Afro als Frisur ist ursprünglich ein politisches Statement. Sprich: Dahinter steckt so viel Geschichte. Die muss man achten. Es ist Missachtung, wenn daraus ein Mode-Ding wird.

Sie machen einen eigenen Podcast zum Thema Rassismus, den man auf allen gängigen Plattformen hören kann. Wie kam es dazu?

Ich wollte das immer schonmal machen. Und irgendwann Anfang des Jahres habe ich einfach damit begonnen. Ich rede in dem Podcast einfach drauflos und bearbeite daran auch nichts. Er soll so authentisch wie möglich sein.

Und: Sie haben einen Verein gegründet.

Ja. „Be your future“. Er muss nur noch eingetragen werden. Ich habe die Satzung schon geschrieben, demnächst gehen wir zu einer Notarin. Der ursprüngliche Sinn zur Gründung dieses Vereins war, in Ghana ein Mutter-Kind-Heim zu bauen und dafür Kräfte zu bündeln. Ich habe dort ein Grundstück, auf dem ich dieses Heim errichten möchte. Irgendwann habe ich aber gemerkt: Ich möchte innerhalb dieses Vereines auch die Themen Rassismus und Diskriminierung angehen. Neben mir haben wir beispielsweise auch muslimische Menschen als Mitglied. Oder eine Freundin, die mit Menschen mit Behinderung zu tun hat. Uns geht es darum, Kräfte zu bündeln und eine Anlaufstelle für Menschen zu sein, die mit Rassismus oder Diskriminierung Probleme haben.

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