Leverkusens freie SchauspielerZwischen Motivation und Perspektivlosigkeit

Lesezeit 4 Minuten
IMG-20200409-WA0012

Schauspieler Kilian Bierwirth ist  ehemaliges Mitglied des  Jungen Theater Leverkusen.

Leverkusen – Wenn Johanna Reinders derzeit in ihrer Kölner Wohnung sitzt, dann lebt sie ein Leben in zwei Gemütszuständen. Gemütszustand eins ist: „Ich bin hoch motiviert.“ Passt irgendwie zum Wetter draußen: Sonne, Wärme, Frühling, die Blumen blühen, alle toll. Gemütszustand zwei hat mit derlei Glücksgefühlen nichts zu tun. Gemütszustand zwei ist: „Perspektivlosigkeit“. Er ist das volle Pfund Corona-Krise. Der Schlag ins Kontor. Nicht nur, aber eben auch, für eine wie Johanna Reinders: Das frühere Mitglied des Jungen Theaters Leverkusen (JTL)  ist freie Schauspielerin. Und das bedeutet derzeit: Ihr Beruf ist gerade mal keiner. Zumindest keiner, der das Überleben zu sichern vermag.

Verrat an der Leidenschaft

Es sei ja schon vor Corona schwierig gewesen, über die Runden zu kommen, sagt sie. Aufträge fallen nicht vom Himmel. Und Johanna Reinders nahm deshalb auch Angebote zu TV-Werbe-Drehs an – was sie so ein bisschen als Verrat an ihrer Leidenschaft, dem Schauspiel, ansieht. Als ein Sich-Verkaufen. „Und ich arbeite zusätzlich in der Gastronomie.“ Das sogar zum Glück, denn: „Mein Chef dort bezahlt mich weiter, obwohl er ja derzeit keine Einnahmen hat.“ Wie lange das aber noch so sein wird, das weiß sie nicht. „Die Corona-Krise stellt alles auf den Kopf. Das ist eine verrückte Zeit. Wie in einem schlechten Film.“ Zur Not, sagt Johanna Reinders, müsse sie ihre Eltern um Hilfe bitten. „Was kein gutes Gefühl wäre.“

Johanna Reinders

Johanna Reinders

Jeder Mensch will schließlich unabhängig sein. Aber dann hört man ihr an, wie sie gerade mal wieder in Gemütszustand eins wechselt. Den der Motivation: „Ich komme schon über die Runden. Das bin ich immer schon.“ Sie sehe das so: „Jetzt habe ich Zeit, mich um Dinge zu kümmern, um die ich mich sonst nicht kümmern kann.“ Weil Bühne und Kneipe und Werbe-Drehs sie davon abhalten. „Ich kann zum Beispiel weiter an  Drehbüchern oder Theaterstücken schreiben. Oder lesen.“ Und wenn sie sowas sagt und einen Satz wie „In diesem Metier legt man sich ohnehin Überlebensstrategien zu“, dann hört man, in welchem Umfeld Johanna Reinders unterwegs war, ehe sie vor ein paar Jahren die Schauspielschule Rostock besuchte und nach dem Studium zurück ins Rheinland ging: An das Junge Theater Leverkusen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Im Haus an der Karlstraße –  das laut Regisseurin und Teamchefin Petra Clemens in seiner Existenz nicht gefährdet sei, weil es aufgrund des Vereinsstatus keine Personalkosten zu tragen habe –  wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Laien und Nachwuchsdarsteller auf eine professionelle Karriere vorbereitet. Und der Erfolg des JTL – Dutzende ehemalige Ensemblemitglieder sind in ganz Europa an Theatern tätig – gründet eben auch auf diesem unerschütterlichen Optimismus. Dem Optimismus, den eben auch Johanna Reinders an den Tag legt, obwohl ihr derzeit eher zum Heulen zumute sein müsste.

Julius Schleheck

Julius Schleheck

Auch Julius Schleheck und Kilian Bierwirth entstammen der Opladener Truppe. Julius Schleheck ist am Landestheater Detmold aktiv. Kilian Bierwirth am Theater Junge Generation in Dresden. Beide zwar in Festanstellung. Aber auch sie bekommen Corona zu spüren, denn: Beide haben erst kürzlich ihre Verträge gekündigt, um anderswo etwas Neues zu finden. Julius Schleheck sagt zwar: „Ich hätte das auch im Wissen um Corona getan. Denn ich wollte einfach etwas Anderes ausprobieren und meine Situation ab dem Sommer – wenn die Saison endet – wäre auch so ungewiss gewesen.“ Indes: „Es macht die Sache jetzt nicht einfacher für mich. Keiner weiß ja, wann es weitergeht. Wann Bühnen wieder bespielt werden. Und wann Vorsprechen bei Theatern wieder stattfinden.“ Kilian Bierwirth wiederum gibt zu: „Ich hätte mit zumindest noch einmal überlegt, ob ich sofort kündigen soll, wenn ich die jetzige Situation hätte voraussehen können.“

Schluss. Aus. Vorbei.

Er hatte bis zuletzt mit dem Ensemble in Dresden für ein neues Stück geprobt. Dann hieß es: Schluss. Aus. Vorbei. „Die Premiere wäre  letzte Woche gestiegen“, sagt er. „Zur entsprechenden Uhrzeit haben sich nun alle Beteiligten zum Chat im Internet getroffen und ein bisschen was getrunken.“ 2021 solle jetzt alles nachgeholt werden. „Aber ich weiß ja gar nicht, wo ich dann sein werde und ob ich dann Zeit habe, als Gast wieder nach Dresden zurückzukommen.“

Optimistisch bleiben

Julius Schleheck versucht, der Situation das Positive abzugewinnen: „Ich lese Klassiker noch mal neu und werde ein paar Hörspiele einsprechen.“ Weil er ja jetzt Zeit hat, richtete sich der gebürtige Leverkusener in seiner Wohnung ein Tonstudio ein. „Unter dem Hochbett. Da war Platz.“ Und nimmt jetzt eben solche Projekte in Angriff. „Und ich jogge ausgiebig. Auch um auf andere Gedanken zu kommen.“ Und wenn er das sagt, dann hört man da auch wieder diese „Überlebensstrategie“, diesen Optimismus heraus, von der auch Johanna Reinders spricht und die im Jungen Theater Maxime ist. Und nicht nur das, sondern vielmehr: Maxime und alleiniger Gemütszustand. Corona hin. Virus her.

KStA abonnieren