Weihnachten im ProvisoriumOpladener Familien erholen sich mühsam von Wunden der Flut

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Weihnachten im Provisorium Lev Oppenhäuser

Die Opladener Familie Oppenhäuser kann Weihnachten in ihrem neuen Wohnzimmer feiern.

Leverkusen-Opladen – Als Wiembach und Wupper nach heftigsten Regenfällen Mitte Juli Opladen fluten, verwandelt sich die Heimat der Familie Oppenhäuser in eine Seenlandschaft. Das Haus der sechsköpfigen Familie in der Bielertstraße steht tief im Wasser, ist zu einer Insel geworden, das Wohnzimmer wird 40 Zentimeter hoch geflutet. Nun steht Weihnachten an – und die Oppenhäusers feiern in ihrem neuen Wohnzimmer mit der ganzen Familie.

Mutter Martina, Vater Tobias und die Söhne Matti, Joona, Linus und Benno, 16 bis acht Jahre alt, waren im Urlaub an der niederländischen Küste, als am 14. Juli erst der Wiembach überlief und spät am Abend die Wupper-Welle kam. Eine Verwandte rettete die Meerschweinchen noch aus dem Garten vor dem Ertrinken. Das Wasser schoss in den Keller, in eine nebenan gelegene Mietswohnung der Familie und in das Erdgeschoss.

Von Hilfsangeboten überschüttet

Die Söhne übernachteten die erste Woche nach der Rückkehr bei Freunden. „Das war das Beste“, freut sich der zehnjährige Linus noch jetzt. Die Eltern wurden von Hilfsangeboten überschüttet, Fremde halfen, zu entrümpeln, Böden rauszureißen, Bekannte aus Norddeutschland brachten vier Bautrockner – in den Wochen danach ein heiß begehrtes und knappes Gut.

Weihnachten im Provisorium Lev Oppenhäuser

Die Opladener Familie Oppenhäuser kann Weihnachten in ihrem neuen Wohnzimmer feiern.

„Vor vier Wochen war hier noch eine richtige Baustelle“, sagt Familienvater Tobias beim Gespräch mit dem „Leverkusener Anzeiger“ in der Küche der Oppenhäusers. Erst vor Kurzem wurden die Wände verputzt und gestrichen, eine Fußbodenheizung eingebaut, neuer Estrich und Holzdielen verlegt. „Das ging alles Schlag auf Schlag“, sagt der Opladener. An den Beinen des Holztisches, an dem er, seine Frau Martina und die Söhne Linus und Benno sitzen, hat das Wasser von Wupper und Wiembach vor knapp fünfeinhalb Monaten einen wadenhohen Schleier hinterlassen.

Die neue schwarze Küche sollte eigentlich schon einen Monat vor den Sommerferien geliefert werden. Schließlich war eine Modernisierung des vor 13 Jahren gekauften Hauses von langer Hand geplant. Dann verzögerte sich die Lieferung, was für ein Glück. Seit anderthalb Wochen erst ist sie installiert.

„Weihnachten war unser großes Ziel“

„Hier mit der ganzen Familie Weihnachten zu feiern, war von Anfang an unser großes Ziel“, sagt Martina Oppenhäuser, und ihr Mann ergänzt: „Wir hätten auch im Beton gefeiert.“ Nach einem Provisorium oder gar Rohbau sieht das neue Wohnzimmer aber nicht aus, es ist schon richtig gemütlich, die Wände sind noch etwas kahl, die eine oder andere Umzugskiste steht noch rum, doch der Weihnachtsbaum steht da, wo vor gar nicht so langer Zeit noch dicker Schlamm den Boden benetzte – und das ist für die Familie das Wichtigste. Und außerdem sind in der Umzugskiste ja vor allem die Christbaumkugeln, verrät die Beschriftung.

Der Weihnachtsbaum steht auch im Wohnzimmer von Guido und Elisabeth Weber schon längst, die Lichter sollen aber erst an Heiligabend leuchten. Die Webers wohnen mit ihren Söhnen, 22 und 20 Jahre alt, in der Wiembachallee in einem der letzten Häuser vor der Kleingartenanlage Ruhlach und der Theodor-Heuss-Realschule. Die Kleingärten waren im Juli ein einziger See, in der Schule wird erst 2023 wieder unterrichtet.

Weihnachten im Provisorium Lev Webers

Mit Familienhund Oskar und ihren zwei Söhnen feiern Guido und Elisabeth Weber Weihnachten.

Die Webers waren mit ihrem Zuhause im Epizentrum der Katastrophe. Und hatten dennoch zumindest ein kleines Glück im Unglück. Das Wasser flutete den Keller, in dem die Söhne ihre Zimmer haben, völlig. Doch das Erdgeschoss blieb bis auf den Eingangsbereich an der Haustür fast vollkommen verschont von Schäden. Als Guido und Elisabeth mit ihrem Dackel Oskar in der Flutnacht durch die hüfthohen Fluten flüchteten, drohte die Welle durch die Terrassentür ins Wohnzimmer zu schwappen. Das tat sie aber nicht.

Die Computer schwammen im Fluss

Und dennoch herrscht bei der Familie noch immer der Ausnahmezustand: Ein Sohn übernachtet bei Bekannten, der andere hat sein Lager im Wohnzimmer aufgeschlagen, direkt hinter dem Tannenbaum. Ihre Zimmer befinden sich im Rohbauzustand, dort stand das Wasser bis zur Decke, ihre Computer schwammen im Fluss. In Nebenzimmern gingen Massen an Fotos und Erinnerungsstücken der Familie unwiederbringlich verloren. Das auszusprechen, fällt Elisabeth Weber schwer. Nur mit Mühe hält sie die Tränen zurück und sagt: „Das müssen wir alles verarbeiten.“

Weihnachten im Provisorium Lev Weber Keller

Im Keller der Familie Weber stand das Wasser bis zur Decke.

Kommt da überhaupt weihnachtliche Stimmung auf? „Ein bisschen schon“, sagt Guido Weber: „Wir versuchen das Beste draus zu machen.“ Elisabeth Weber wirkt in diesem Moment nachdenklicher: „Wenig“, sagt sie, „ein bisschen schon. Als Familie kriegen wir das hin.“ Die Eheleute haben weihnachtlich geschmückt, Tannengrün und Lichterketten bringen festliche Stimmung ins Haus. Trotzdem: „Es ist nicht leicht“, sagt die Familienmutter: „Wir und andere Menschen, die betroffen sind, wir kämpfen uns da irgendwie durch.“

Eine gute Nachricht ist in diesen Tagen schon, wenn die Stromnachzahlung trotz vieler Bautrocknerstunden nur 400 Euro beträgt – und nicht mehrere Tausend, wie befürchtet. Seit zwei Wochen können die Webers zudem endlich wieder zuhause waschen, die Maschine hat draußen einen Platz gefunden.

Die Einstellung ändert sich

„Die Einstellung ändert sich, auch zu Freunden und Bekannten“, sinniert Guido Weber. „Man denkt ja immer, dass die ganze Welt egoistischer wird, und dann haben wir 50, 60 fremde Leute hier, die uns helfen. Das waren so viele, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Die Fremden packen also mit an, und dann gibt es Freunde, die interessiert das überhaupt nicht.“ Und auch andere Überzeugungen hat die Flut weggespült: „Sauberkeit. Dass immer alles aufgeräumt sein sollte. Das ist nicht zu halten, wenn Wupper und Wiembach kommen“, sagt Guido Weber.

„Können Sie bitte Druck machen beim Hochwasserschutz?“, fragt Elisabeth Weber den Reporter beim Abschied im wohligen Wohnzimmer. „Es tut gut, über das Erlebte zu sprechen“, sagt ihr Mann.

Der Sohn war noch schlimmer dran

Auch Klaus Nadolski erzählt gerne, wie es ihm seit der Flut ergangen ist. Er wohnt mit seiner Frau ebenfalls an der Wiembachallee. Der 82-jährige ehemalige Ingenieur bearbeitet am Computer gerade ein altes Bild seiner Ehefrau. Sein Büro besteht aus einem kleinen Schreibtisch und einem Bürostühl, die im Wohnzimmer stehen. Das eigentliche Büro im Keller ist im Juli abgesoffen, aber soll noch vor Heiligabend wieder bezogen werden – so weit ist Nadolski mit der Sanierung schon.

Weihnachten im Provisorium Lev Nadolski Büro

Klaus Nadolskis Keller lief voll, sein Büro hat er seitdem im Wohnzimmer.

Auch dem Rentner sind wertvolle Familiendokumente abhandengekommen, darunter Erzählungen über die Familiengeschichte, die eine Cousine erst kurz vor der Flut bei Nadolski abgeladen hatte. Was dort in Sütterlin-Schrift geschrieben stand, bleibt für immer ein Geheimnis – „alles weg“, sagt Nadolski.

Sein Sohn wohnt an der Wupper

Er selbst habe noch Glück gehabt, fährt er fort. Sein Sohn lebe in Leichlingen an der Straße „An der Wupper“. „Mehr muss man wohl nicht sagen, um zu wissen, was da bei der Flut los war“, sagt Nadolski. „Ich habe noch ein paar Möbel von ihm hier gelagert.“

Weihnachten im Provisorium Lev Nadolski Keller

Klaus Nadolskis Keller in Opladen lief bei der Flut voll, die Sanierungsarbeiten sind weit fortgeschritten.

Sorgen macht dem Opladener derzeit noch eine lose Bodenplatte. Vom nassen Keller her ist der Boden wohl gelockert worden, vermutet Nadolski. „Hoffentlich wird das kein großes Problem mehr.“ Im improvisierten Wohnzimmer-Büro, inmitten von gelagerten Möbeln, festlicher Beleuchtung und Weihnachtssternen, wenige Tage bevor die Familie hier Weihnachten feiern wird, versprüht der 82-Jährige Optimismus. „Andere waren viel schlimmer dran.“

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Auch Tobias Oppenhäuser sagt fünf Monate nach der Flut, es habe sich alles glücklich gefügt. Als er nach der Rückkehr aus dem Urlaub ins überflutete Haus watete, konnte er sich nicht vorstellen, wie es hier bis Weihnachten wieder gut aussehen sollte. Als das Wasser abgezogen war, wollte er im Keller nachschauen, wie es dort aussieht. Auf der matschigen Treppe rutschte Oppenhäuser aus, knallte auf Rücken und Kopf, blieb im Schlamm liegen. „Da hatte ich kurz das Gefühl, jetzt geht es hier im Dreck zu Ende“, sagt er.

Doch seine Frau rief sofort einen Krankenwagen, nach wenigen Stunden konnte Oppenhäuser wieder entlassen werden. „Ich stand barfuß vor der Klinik, in verdreckten Klamotten – und draußen war das ganz normale Leben.“ So erzählt er es heute im Wissen, dass alles gut gegangen ist. Er sitzt im neuen Wohnzimmer, in dem das Wasser der Wupper stand, und lächelt. 

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