Nach Explosion in LeverkusenErster Ofen soll ausgelastet werden – Abfallnotstand groß

Lesezeit 5 Minuten
bürrig

Seit gut einer Woche läuft Currentas Müllofen wieder, mit erheblichen Einschränkungen. 

Leverkusen – Erst den Müllofen anfahren, dann mit den Anwohnern reden: Chempark-Chef Lars Friedrich ist damit nach eigenen Worten nicht glücklich.

„In einer idealen Welt hätte diese Reihenfolge anders ausgesehen“, sagte er am Montag auf Anfrage dem „Leverkusener Anzeiger“. Aber: Alle Fragen, die sich vor Inbetriebnahme des ersten der beiden Drehrohr-Öfen gestellt hätten, seien „komplett abgearbeitet“, und das Team um den Chemie-Sicherheitsexperten Christian Jochum werde sich vor Donnerstag den vor gut einer Woche angelaufenen Betrieb in Bürrig noch anschauen, ergänzte der Chempark-Leiter. Von der Bezirksregierung seien schon Sachverständige auf der Anlage gewesen.

Am Donnerstag dürfen die Bürger etwas sagen

Der Donnerstag ist insofern wichtig, als Jochum erstmals in einer wirklich öffentlichen, also für jedermann zugänglichen Veranstaltung in der Wiesdorfer Bürgerhalle erklären wird, warum das am 27. Juli vorigen Jahres durch eine Explosion zum Teil zerstörte Entsorgungszentrum aus seiner Sicht nun wieder in Betrieb gehen kann. Zu dieser Versammlung, die um 18 Uhr beginnt, hat wiederum nicht der Betreiber Currenta eingeladen, sondern das Team um Jochum. Dennoch werde das Unternehmen sich den Bürgern stellen, versicherte Friedrich. Er selbst werde am Donnerstag in der Hauptstraße 150 sein. „Ich bin gespannt auf die Diskussion.“

Allzeithoch bei Jobs im Chempark

34 342 Menschen haben im Chempark ihren Arbeitsplatz. Das seien so viele wie seit langem nicht mehr; für die Currenta-Epoche sprach Lars Friedrich am Montag sogar von einem „Allzeithoch“. Der tiefere Blick in die Beschäftigungsstatistik zeigt indes, dass die Beschäftigung in den Unternehmen, die von Currenta als „Chempark-Partner“ bezeichnet werden, voriges Jahr leicht um 841 auf nun 24 677 Beschäftigte zurückgegangen ist. Davon sind 1167 Auszubildende, was einen Rückgang von 59 bedeutet. Am deutlichsten wird das ausgerechnet im „Starthilfe“-Programm, mit dem junge Leute, die keinen guten Schulabschluss haben , auf eine Ausbildung vorbereitet werden. Hier gibt es nur noch 25 statt 41 Plätze, nachdem Bayer sein Kontingent zusammengestrichen hat. Darüber soll verhandelt werden, heißt es bei Currenta, wo die Chempark-Ausbildung zentral abgewickelt wird. Weitere 9665 Personen sind in den „Fremdfirmen“ beschäftigt.

Wieder gestiegen sind die Investitionen in den Erhalt bestehender und den Bau neuer Anlagen im Chempark. 750 Millionen Euro weist Currenta allein für das Werk Leverkusen aus, das sind 72 Millionen mehr als im Jahr 2020. Für Leverkusen, Dormagen und Uerdingen summierten sich 2021 die Ausgaben auf rund 1,5 Milliarden Euro, so Lars Friedrich. (tk) 

Dass es aus Sicht des Chempark-Betreibers dringend an der Zeit ist, die Sondermüll-Verbrennung wieder anzufahren, steht außer Zweifel. Der Abfall-Notstand sei inzwischen so groß, dass einige Unternehmen sonst bald gezwungen gewesen wären, ihre Produktion herunter zu fahren. Wer von großen Produzenten besonders in Not ist, wollte Friedrich am Montag nicht sagen. Das seien börsenrelevante Informationen, die von Dritten nicht verbreitet werden können.

Bisher hat nur Lanxess-Chef Matthias Zachert offen über den Entsorgungs-Notstand am größten Produktionsstandort des Spezialchemie-Konzerns gesprochen. Und davon, dass er das Geschäftsergebnis schon im vorigen Jahr negativ beeinflusst habe.

Gasmangel ist greifbar

Die Verknappung des Erdgas-Zuflusses aus Russland beobachtet Currenta aufmerksam. Aber: „Nordstream 1 ist zwar eine wichtige Versorgungsleitung für Deutschland, aber bei weitem nicht die einzige. Gaslieferungen aus Skandinavien und den Niederlanden zum Beispiel sind erwartungsgemäß stabil“, so Lars Friedrich. Doch bereite sich der Chempark „mit großen Teams“ auf einen Mangel vor und spiele denkbare Szenarien durch.

Am Alternativ-Brennstoff Kohle herrsche im Chempark kein Mangel. Man werde für die Dampf-Erzeugung auch ohne russische Kohle auskommen, so Friedrich. (tk) 

Wo die 31 Abfälle herkommen, die jetzt ohne Zwischenlagerung in Tanks in Drehrohr-Ofen Nummer 1 verbrannt werden, spezifizierte Friedrich auf Befragen: Neben den Chemparks in Wiesdorf, Dormagen und Uerdingen kommen die Stoffe aus Bayers Agrochemie-Zentrale in Monheim, den Werken in Knapsack, wo nach der Monsanto-Übernahme Produktion von Bayer an die BASF übergegangen ist sowie den Pharma-Standorten in Elberfeld und Bergkamen. Sonst soll zunächst nichts in Bürrig angenommen werden. Das reicht nach ersten Einschätzungen Friedrichs allerdings, um den einen Ofen in etwa auszulasten. Er hat eine Kapazität von 60.000 bis 80.000 Tonnen im Jahr.

Politiker haben keinen Redebedarf

Im Stadtrat wurde der Tagesordnungspunkt 34 zur Grundwasserentnahme der Currenta auf Antrag der FDP von der Tagesordnung abgesetzt, weil dazu bereits alles gesagt sei. „Ob noch Fragen offen sind, bestimmt nicht Frau Ballin-Meyer-Ahrens“, empörte sich Roswitha Arnold (Grüne). Die Grünen hatten dazu noch einen Änderungsantrag gestellt, der vor allem die Laufzeit beschränken sollte. CDU, SPD und FDP stimmten aber für die Absetzung, 21 Gegenstimmen der anderen Parteien reichten nicht aus. „Ich bin empört, dass unser Antrag damit hinfällig ist, ohne überhaupt diskutiert zu werden“, gibt Arnold zu Protokoll. (stes)

Geld verdienen lasse sich so jedoch nicht, ließ Friedrich durchblicken, aber das stehe für Currenta nach der Katastrophe auch nicht im Vordergrund: „Es geht nicht um Wirtschaftlichkeit, es geht um Entsorgungssicherheit.“ Wann auch der zweite Drehrohr-Ofen wieder in Betrieb gehen kann, ist aus Friedrichs Sicht noch nicht abzusehen. Vorrang hätten jetzt die Einheiten für die Abwasser- und die Klärschlamm-Verbrennung. Letztere braucht Currenta nicht allein, sondern auch der Wupperverband: Das benachbarte Klärwerk ist ein Gemeinschaftsprojekt.

Diesen zweiten Schritt sieht Friedrich in den nächsten Monaten, „sicherlich nicht erst Ende des Jahres“. Voraussetzung dafür sei freilich, dass „wir im Entsorgungsbetrieb stabil sind. Dann setzen wir uns mit den Behörden an den Tisch.“ Völlig unabhängig davon sei die Frage nach einem neuen Tanklager in Bürrig als Ersatz für die Einheit, von der die Katastrophe am 27. Juli ausgegangen war. Dieses Thema werde Currenta parallel angehen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Chempark-Chef unterstrich, dass die Explosion und der dadurch verursachte Großbrand mit sieben Toten und 31 Verletzten im gesamten Unternehmen „Spuren hinterlassen“ habe. „Das schüttelt keiner ab. Das sage ich auch persönlich.“

KStA abonnieren