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Geschichte der SPD LeverkusenCharlotte Mierbach, eine Ratsfrau der ersten Stunde

Lesezeit 4 Minuten

Willy Brandt gratulierte Charlotte Mierbach für 60 Jahre SPD und ihrem Mann Albin für 61 Jahre.

  1. Lotte Mierbach war eine kämpferische Sozialdemokratin mit einem Herz für Tiere.
  2. Der Wohnungsbau in der Nachkriegszeit boomte, sie half unbürokratisch.
  3. Die Kinder sind auch schon lange in der SPD, doch Enttäuschung macht sich breit.

Leverkusen – Tyras hieß der Münsterländer der Familie Mierbach – so wie die Dogge des früheren Reichskanzlers Otto von Bismarck. Doch anders als diese brachte es Tyras aus Küppersteg-Neuenhof nicht zum Titel des „Reichshunds“. Stadtbekannt war das Tier trotzdem, machte Tyras doch alleine Spaziergänge durch den Lunapark, bekam in der Nachbarschaft ein Leckerchen im Büdchen am Neuenhof.

Ilona und Rudi Mierbach mit den alten Bildern.

Und eines Abends saß der Hund plötzlich in der Küche des Ratskellers. Daraufhin rief der Koch persönlich bei den Mierbachs an mit der Bitte, den Hund dort abzuholen. „Das Telefon haben wir zwangsweise bekommen“, erinnert sich Rudi Mierbach. Denn seine Mutter saß für die SPD im Rat. Und das war eine lebensfüllende Aufgabe. Nebenbei engagierte sich Lotte noch für den Tierschutz, brachte das Tierheim auf den Weg.

Immervoller Terminkalender

Reinhold Braun von der Stadtgeschichtlichen Vereinigung arbeitet am Fotonachlass von Charlotte Mierbach und hielt einige Eckpunkte zum Leben der Leverkusener Sozialdemokratin fest. Mit dem Arbeiterlied „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ verabschiedet der damalige Oberbürgermeister Horst Henning Charlotte Mierbach. 80-jährig war die Sozialdemokratin am 31. Oktober 1992 gestorben. Sie war Politikerin der ersten Stunde und wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs von der britischen Besatzungsmacht in den Leverkusener Rat berufen. Das Amt füllte die Mutter von drei Söhnen aus.

Ob Sitzungen in Rat, Ausschüssen oder Fraktion – der Kalender war eigentlich immer voll und an der Haustür klingelten oft Menschen, die bei der patenten Lotte um Unterstützung baten, selbst wenn sie eine ganz andere Partei wählten. Meist fand sie eine Lösung. Ihre Tür war immer offen und in Küppersteg-Neuenhof wurde sie bis 1974 jedes Mal direkt in den Stadtrat gewählt.

Einsatz für den Wohnungsbau

Ihr Sohn Rudi bezeichnet sich selbst als „politikgeschädigt“ und sein Frau Ilona erklärt, dass ihm die Mutter gefehlt habe. Häufig wurde vorgekocht, damit Zeit für die Politik war, oder Lottes Mann Albin musste kochen. Auch Tyras vermisste Lotte. Wenn es abends spät wurde und die Ausschusssitzungen kein Ende nahmen, trottete der Hund ihr meist schon entgegen.

Fraktionssitzung mit Karl Bonsack, Charlotte Mierbach, Erich Jäger, Bruno Krupp, Ernst Janaczeck und Margot Schuhmann (von links).

Fünf Mark Sitzungsgeld gab es und wenn es später wurde, wurde Lotte von Albin abgeholt, dann gab es im Ratskeller noch Würstchen mit Kartoffelsalat. Pflöcke habe die Mutter in Sachen Wohnungsbau gesetzt. Alkenrath, Rheindorf, Mathildenhof – die Neubaugebiete boomten. Zwischen 1945 und 1967 stieg die Einwohnerzahl in Leverkusen von 55 311 auf 106 167. Damit hatte sich die Bevölkerung seit Kriegsende fast verdoppelt. Trotz starker Bautätigkeit konnte der Wohnungsbedarf erst allmählich gedeckt werden. 1945 war ein Wohnraum durchschnittlich mit 1,6 Personen belegt, 1960 lag die Quote bei einer Person und 1967 bei 0,8 Personen. Leverkusen wuchs rasant.

Kohlen in der Badewanne

Sogar auf der Deponie an der Rheinallee wurde gebaut, was damals noch nicht als bedenklich eingestuft wurde. Das Thema Schadstoffe sensibilisierte die Leverkusener erst später. Beeindruckt erzählt Rudi Mierbach von der Geschichte, dass eine Familie in den 50er Jahren eine Neubauwohnung bezog und die Kohlen in der Badewanne lagerte. Ob sie zu bequem waren, die Briketts aus dem Keller zu holen oder ob sie die moderne Hygiene für übertrieben hielten, bleibt ein Geheimnis der Geschichte.

Lindwurm abgelehnt

Auch an einer Exkursion in die Schweiz nahm Lotte Mierbach teil, um dort ein gigantisches Massenwohnungsbauprojekt in Augenschein zu nehmen. In Leverkusen sollte der Lindwurm entstehen, eine Hochausanlage mit bis zu 20 Geschossen für bis zu 13 000 Menschen. Das Projekt, für das die Kolonie II geopfert werden sollte, kam nicht zustande. „Das war nicht deren Sache“, erklärt Rudi Mierbach über die Besprechung im Wohnungsausschuss.

Enttäuscht von Gerhard Schröder

Bei den Mierbachs selbst ging es in der unmittelbaren Nachkriegszeit eng zu. Sie hatten ein Haus mit großem Garten an der Bebelstraße 46. „Wir lebten mit drei Familien im kleinen Haus, jede hatte nur zwei Zimmer für sich.“ Das Haus war 1923 von der Bauhütte Wiesdorf, bei der die Firma Wuppermann Anteile hatte, an die Familie überschrieben worden. Groß war der Garten. Auf dem hinteren Gelände bauten Rudi und Ilona später ihr eigenes Haus an der Friedrich-Naumann-Straße. Vom politischen Betrieb sind sie eher enttäuscht. Zwischenzeitlich war Ilona Mierbach sogar aus der SPD ausgetreten – aus Protest gegen die Hartz-IV-Politik Gerhard Schröders. Als echte Sozialdemokraten, deren Herz links schlug, bezeichnen sie die Mierbachs die Generation der Eltern.

Kämpferisches Elternhaus

In Magdeburg wurde Charlotte Mierbach 1912 geboren. Ihr Elternhaus war politisch kämpferisch. Das galt vor allem für ihre Mutter, deren Ziel es war, das gesellschaftliche Leben der Arbeiterschaft, des Proletariats, aus entwürdigenden Bedingungen zu befreien.

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Mit zwölf Jahren kam Lotte nach Solingen und mit 14 wurde sie Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und der Naturfreunde. Dort lernte sie ihren Mann Albin kennen, dessen Familie in der Schießberger Straße einen Kolonialwarenladen führte. Josef Mierbach vertrieb unter anderen Gurken und Heringe. Sohn Albin machte seine Lehre bei Wuppermann als Ankerwickler. Und Lotte Mierbach arbeitete unter anderem bei Bayer und trug Zeitungen aus. Als sie 1977 mit dem Ehrenring der Stadt Leverkusen ausgezeichnet wurde, wurde sie als Kämpferin in der Sache ausgezeichnet. Sie kämpfte für Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit.