Eine Begegnung, die schwerelos und geerdet zugleich ist: Mit „Indian Swan Lake“ im Erholungshaus erhebt sich ein Dialog der Kulturen.
„Start“-Festival in Leverkusen geht zu EndeWo Schwanensee auf uralten indischen Tempeltanz trifft

Ein großes blaues Tuch erhebt sich hinter „L'arte del mondo“ und der Orissa Dance Academy bei „Indian Swan Lakeâ“ im Erholungshaus - davor verschmelzen Tschaikowskis „Schwanensee“ und der indische Odissi-Tanz.
Copyright: Timon Brombach
Da ist das Orchester „L’arte del mondo“, das Tschaikowskis „Schwanensee“-Motive mit barocker Noblesse intoniert – doch daneben sitzen Musiker aus Odisha, mit Mardala, Sitar und Flöte. Und auf der Bühne erblühen Gesten, so alt wie Indiens Mythologien: Mudras, poetisch gefaltete Hände, pulsierende Hüften, die den Tanz des Schwanes in einer ganz neuen Sprache erzählen. Im Hintergrund ein großes blaues Tuch. Ist es der See, auf dem die Schwäne tanzen oder der endlose Himmel, der sie trägt? Ist es das kosmische Blau Vishnus, das alles Irdische durchdringt oder schlicht ein Raum dazwischen, wo Ost und West, Erde und Geist, Wasser und Luft einander begegnen? „Indian Swan Lake“ ist eine Erzählung über Berührung, über das Fremdwerden des Eigenen und das Erkennen des Eigenen im Fremden.
Choreografien zwischen Himmel und See im Leverkusener Erholungshaus
Bei der Inszenierung unter der Regie und Choreografie von Deda Cristina Colonna und der großen Odissi-Meisterin Dr. Aruna Mohanty begegnen sich die Welten auf Augenhöhe: Das westliche Ballett strebt nach oben, will die Schwerkraft überwinden, während der Odissi-Tanz sie umarmt, den Körper schwer im Boden verwurzelt. In einem Moment tanzt der weiße Schwan – Arme in sanft kreisenden Bögen, Blick zum Himmel.
Im nächsten entsteht ein Tableau aus dem Mahabharata: Tänzerinnen in farbenprächtigen Gewändern, die Augen dunkel umrandet, lassen Geschichten von Liebe und Erkenntnis sichtbar werden. Es ist, als würde Tschaikowskis Musik eine uralte indische Erzählung träumen – und umgekehrt. Musikalisch wird dieses Experiment von Werner Ehrhardt und Massimiliano Toni mutig geführt. Tschaikowskis Linien fließen in Mikrotonalitäten, die Sitar antwortet auf Geigenphrasen, die Trommel des indischen Instruments Mardala umkreist die vertrauten Rhythmen. Manchmal überlagern sich die Klangwelten so kunstvoll, dass man kaum noch weiß, welcher Kultur man lauscht. Dann wieder bricht Tschaikowskis Schwanenthema glasklar hervor, um gleich darauf von einem indischen Raga, einer melodischen Struktur, umschmeichelt zu werden.
Leverkusener Festival: Klangräume, die Kulturen verweben
Der Schwan als zentrales Motiv wird dabei zum Schlüssel des Abends. Im Westen ist er Inbegriff von Schönheit, Unschuld, tragischer Liebe. Im indischen Kulturkreis hingegen steht er für das Atman, das innerste Selbst, das nach Erlösung sucht. Wenn die Tänzerinnen der Orissa Dance Academy am Ende mit weit ausgebreiteten Armen innehalten, ist das kein Triumph, sondern ein fragiles Schweben: ein Innehalten zwischen zwei Welten, zwei Philosophien, zwei Deutungen des Menschseins.
So verlässt man das Erholungshaus nach gut zwei Stunden mit einer seltenen Mischung aus Ergriffenheit und klarem Kopf. Was „Indian Swan Lake“ gelingt, ist keine folkloristische Effekthascherei, sondern eine ernsthafte, klug komponierte Begegnung. Ein Abend, der zeigt, dass Kunst dann am stärksten ist, wenn sie den Mut hat, Unterschiede nicht einzuebnen, sondern auszutanzen.
Festival geht zu Ende
Mit dem „Sommernachtstraum“, dem weltbekannten Stück von Shakespeare als Familienkonzert am Sonntag ist das „Start“-Festival zu Ende gegangen. Bereits zum fünften Mal sollte die von der Bayer Kultur organisierte Reihe Kulturinteressierte „zu einzigartigen Entdeckungen jenseits des Gewöhnlichen und Erwartbaren“ eingeladen. Der Anspruch der Organisatoren sei es, dem Publikum „anerkannte Weltstars, junge Talente, musikalische Wieder- und Neuentdeckungen, beeindruckende Choreografien, genresprengende Inszenierungen und kulturübergreifende Ensembles“ zu präsentieren.