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Vergewaltigungsprozess„Es wird gleich laut“ – Auch Nachbarin hatte Angst vor Burscheider

Lesezeit 3 Minuten
Amtsgericht. Foto: Ralf Krieger

Der Schriftzug am alten Amtsgerichtsgebäude.

Ein Burscheider sitzt wegen des Vorwurfs, seine frühere Freundin vergewaltigt zu haben, auf der Anklagebank im Amtsgericht.

Eine 21-jährige Frau aus Leverkusen soll von ihrem mehrere Jahre älteren Freund vergewaltigt worden sein. Der Mann muss sich vor dem Amtsgericht in Opladen dafür verantworten. Samir Ö. (Name geändert) schweigt zu den Vorwürfen. So auch am Freitag, als der Prozess fortgesetzt wurde.

Weil Zeugen am zweiten Prozesstag nicht pünktlich erschienen, verlas der Richter Mitteilungen von Ärzten, die das Opfer nach der mutmaßlichen Vergewaltigung behandelt hatten. Akute traumatische Belastungsstörung – depressiver Verlaufstyp – war die Diagnose. Im Arztbrief wird die Vergewaltigung geschildert. Die Empfehlung der Ärzte an ihre Patientin ist klar: Eine Psychotherapie könne ihr helfen.

Facharzt: Erinnerungslücken in einem solchen Fall üblich

Von einer durch eine Vergewaltigung schwer traumatisierten Frau könne man ganz allgemein nicht erwarten, dass sie sich bei Zeugenaussagen bei Polizei und vor Gericht immer korrekt an alles erinnere. Im Zeugenstand sagte das ein Facharzt des psychiatrischen Krankenhauses, in dem sich die Leverkusenerin einige Monate nach der vorgeworfenen Vergewaltigung aufgehalten hatte.

Richter, Schöffen und Anwälte hörten genau zu: Es ist eine gängige Strategie von Anwälten, die Aussagen des mutmaßlichen Opfers für nicht ganz zuverlässig erscheinen zu lassen. Erinnerungslücken sind also keine Seltenheit, zudem verblasse die Erinnerung ja auch bekanntlich mit der Zeit, sagte der Arzt. Das gilt auch für ihn selbst: Er konnte sich nicht mehr an den speziellen Fall der Leverkusenerin erinnern.

Es wurde laut in der Wohnung nebenan

Die mutmaßlich vergewaltigte Frau war am Freitag nicht ins Gericht gekommen, sie hatte am ersten Prozesstag ausgesagt. Offenbar bereitet es ihr Probleme, die Gerichtsverhandlung zu besuchen.

Am Freitag war eine Nachbarin geladen. Die Opladenerin hatte an dem Tag die Polizei gerufen, an dem die angeklagte Sexualstraftat geschehen sein soll. Es habe damals eine Absprache zwischen ihr und der jungen Nachbarin gegeben, dass sie Hilfe rufen solle, wenn es laut würde, sagte die Zeugin. Sie ist eine junge Mutter. 

Bei der Zeugenaussage des Vergewaltigungsopfers am Prozesstag zuvor war schon klar geworden, dass sich die Beziehung zu dem Burscheider Samir Ö. bedrohlich entwickelt hatte. Am Tag, als die Nachbarin die Polizei rief, hatten sich offenbar Probleme angekündigt: „Es wird gleich laut“, soll die junge Frau der hilfreichen Nachbarin mitgeteilt haben, als sie vor der Tür auf Ö. wartete, „er ist heute aggressiv.“ Später hörte sie dann, wie in der Nachbarwohnung der Lärmpegel anschwoll.

Wenn ich ehrlich bin, ich habe selbst Angst vor ihm
Nachbarin

Der angeklagte Burscheider wirkt in der Verhandlung gelassen. Die meiste Zeit drücken seine Gesichtszüge Teilnahmslosigkeit aus, manchmal scheint er fast gelangweilt: Beim Verlesen der Krankenakte seiner früheren Freundin, die bestürzende Details enthält, gähnt er zwischendurch.

Plötzlich blickt die Nachbarin im Zeugenstand zu Ö. und sagt: „Wenn ich ehrlich bin, ich habe selbst Angst vor ihm.“

Geladene Zeugen sagen lapidar ab

Das Gericht kämpft mit Problemen, die auch das reale Leben bereithält. Die (Noch-) Ehefrau von Samir Ö., die laut Anklage ebenfalls häusliche Gewalt erlitten haben soll, meldete sich per Kurzmitteilung krank. Bei Richter Dietmar Adam spürt man Missfallen, er beklagt Respektlosigkeit.

Sogar ein Polizist, bemerkt er, habe seinen Aussagetermin eigentlich grundlos um Stunden verschoben. Manche wollen auch vielleicht einfach nicht vor Gericht aussagen: Von der Tante und dem Onkel der Geschädigten, die für Freitag geladen waren, kam eine Absage per Whatsapp. Um einen Aussagetermin werden sie in dem Verfahren dennoch nicht herumkommen, denn das Verfahren wird wohl länger als ursprünglich angesetzt dauern.