Landtagswahl in NRWBegegnung mit AfD-Kandidat – Der misstrauische Marcus Pretzell

Lesezeit 7 Minuten
AfD-Landeschef Marcus Pretzell beim Interview-Termin vor den Wahlplakaten in der Düsseldorfer Landeszentrale.

AfD-Landeschef Marcus Pretzell beim Interview-Termin vor den Wahlplakaten in der Düsseldorfer Landeszentrale.

Düsseldorf – Das Diktiergerät bleibt aus. Das ist keine Bitte, das ist eine unmissverständliche Ansage. Keine Diskussionen. Ein lang vereinbartes und geplantes Interview mit dem NRW-Vorsitzenden der AfD in der Düsseldorfer Parteizentrale scheint geplatzt, bevor es überhaupt begonnen hat.

Marcus Pretzell (43) kommt mit einer Stunde Verspätung, sein Sprecher wird sich später dafür entschuldigen. Der AfD-Chef selbst sagt nichts dazu. Kein Händedruck zur Begrüßung für die Reporter des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Fotograf wird angewiesen, exakt drei Fotos zu schießen. Vor den Plakaten für die NRW-Wahl.

Angestrengtes Lächeln

„Drei Fotos reichen. Sie wählen ja sowieso das Schlechteste aus“, sagt Pretzell, knöpft sein graubraunes Sakko über dem hellblau gestreiftem Hemd zu und platziert sich vor der Wand mit dem Wahlplakaten. Er wirkt angespannt, sein Lächeln ist angestrengt.

Während des Gesprächs sind keine Bilder erwünscht. Im Übrigen habe er sowieso nur noch 20 Minuten, ergänzt der AfD-Chef. Sein schwieriges Verhältnis zu den Medien ist bekannt. Auf dem Landesparteitag in Oberhausen wollte er zwei ZDF-Journalisten von Sicherheitsleuten rausschmeißen lassen, weil sie ihm nicht genehm waren. Es kam zu Handgreiflichkeiten.

Pretzell hat damit kein Problem: „Es gibt Teile des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, mit denen ich wegen der erstaunlichen Berichterstattung nicht zusammenarbeite.“ Das erleichtert es der AfD, die Opferrolle der von den Medien verfolgten oder totgeschwiegenen Partei einzunehmen. Noch am Wochenende hat der Pressesprecher darüber geklagt, dass AfD-Wahlplakate immer wieder von Unbekannten entfernt werden. „Wir sind gespannt, welche Presseorgane die hier geschilderten Praktiken anprangern und wer sie totschweigt.“

Pretzell will auch diesmal die Bedingungen diktieren. Sonst sei das Gespräch gleich beendet, sagt er unwirsch. Mit ihm im Großraumbüro sind sein Pressesprecher und ein Mitarbeiter, der hinter einem Laptop sitzt, sich nicht vorstellt und dessen Rolle völlig unklar bleibt. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ möchte ein Interview führen wie mit den anderen Spitzenkandidaten der NRW-Parteien vor der Landtagswahl.

Sind es etwa die sinkenden Umfragewerte, die Pretzells Misstrauen gegenüber Journalisten befeuern? Laut Forsa kommt die AfD in NRW nur noch auf 7,8 Prozent. Seine Frau, die Bundesvorsitzende Frauke Petry, habe mit Tonbandaufzeichnungen schlechte Erfahrungen gemacht. Die tauchten irgendwo im Netz auf, einzelne Sätze, alles aus dem Zusammenhang gerissen, sagt Pretzell.

Die Stimmung bleibt frostig, der AfD-Chef macht keinen Hehl daraus, dass er die Reporter für voreingenommen hält. Ein Mann in Habachtstellung, ständig bereit die vermeintlich nächste Attacke abzuwehren und in den Gegenangriff zu gehen.

Warum bröckeln die Umfragewerte? Hat das vielleicht mit dem „Schulz-Effekt“ zu tun? Die Hysterie um Schulz werde sich legen, der Kanzlerkandidat habe ein Glaubwürdigkeitsproblem und werde „noch zur Belastung für die SPD werden“, meint Pretzell. Die Leute hätten ein feines Gespür dafür, wenn sich jemand durch Politik „selbst bereichert“.

An einem guten Abschneiden seiner Partei bei der NRW-Wahl habe er keinen Zweifel, sogar ein Direktmandat sei vielleicht möglich, sagt der AfD-Mann. Chancen dafür sehe er eher im Ruhrgebiet als im ländlichen Raum.

Bildung, Sicherheit und die Energiewende

Ob er glaube, dass die Partei in NRW mit Parolen gegen die Zuwanderung punkten könne? Pretzell weicht nicht aus, fühlt sich aber sogleich wieder angegriffen. Die Voraussetzungen für eine veränderte Asylpolitik müssten auf Bundesebene getroffen werden. In NRW werde man sich auf Landesthemen konzentrieren: Bildung, Sicherheit und die Energiewende.

Im Parteiprogramm heißt es zu den Bildungsthemen: „Die AfD fordert die neunjährige Schulzeit am Gymnasium für alle.“ G 8 dürfe es nur auf freiwilliger Basis geben. „Wir wollen das Abitur wieder zum Ausweis der Studierfähigkeit machen.“ Und was sagt Pretzell zur Inklusion, einem Schwerpunkt rot-grüner Politik im Land? Das Förderschulsystem habe sich bewährt, betont der AfD-Chef, immer noch sichtlich genervt.

Er schreibt ebenfalls mit, die Fragen notiert er in Stichworten auf Schmierpapier. Inklusion könne nur funktionieren, wenn man sehr viel mehr Geld in das Schulsystem investiere, um eine permanente Über- oder Unterforderung auszugleichen. Plötzlich hat das Gespräch fast den üblichen Charakter eines Politiker-Interviews. Pretzell wirkt lockerer, diskutiert mit den Reportern das Für und Wider der Inklusion. Seine Meinung dazu werde von vielen Lehrern und Sozialpädagogen geteilt, sagt der AfD-Mann. Das Turbo-Abi halte er für gescheitert. Lernstress und Bildungsabbau seien die Folgen.

Kontrahent Martin Renner

Ähnlich wie Frauke Petry im Bund, mit der er seit Dezember verheiratet ist und die ein Kind von ihm erwartet, hat es der Landeschef in NRW mit einer gespaltenen Partei zu tun, die sich in Machtkämpfen aufreibt. Auf dem Parteitag in Oberhausen ist er mit dem Versuch gescheitert, seinen Kontrahenten Martin Renner, der mit ihm gleichberechtigt an der AfD-Spitze in NRW steht, aus dem Vorstand zu entfernen. Renner zählt zu den Gründungsmitgliedern der Partei und – wie Björn Höcke aus Thüringen – zu deren völkischem Flügel.

Die Zuwanderung sei „eine als humanistisch getarnte Selbstzerstörung der deutschen Kultur und Nationalität“, behauptet Renner und spricht im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus von einem „Schuld-Kult“.

Gemeinsamer Wahlkampf mit Renner

Dagegen betont Pretzell, Nationalsozialismus und Drittes Reich seien für seine Partei, die sich besser auf Aktuelles konzentrieren solle, kein entscheidendes Thema „Ich zumindest habe nicht vor, die Geschichte umzuschreiben“, sagt er spitz – wohl in Richtung seiner ultrakonservativen Parteifreunde. Trotzdem ein gemeinsamer Wahlkampf mit Renner? Den werde es geben, sagt Pretzell. Auf dem Landesparteitag im Januar hörte sich das völlig anders an: „Wir können hier heute belegen, dass ein Wahlkampf mit Martin Renner als Landessprecher der AfD nicht möglich ist.“ Jetzt also doch?

Ja, gibt Pretzell noch mal zu verstehen. Seine zeitweilige Entspanntheit ist wieder verschwunden. Was es mit der angeblich manipulierten Wahl der Kandidatenliste für den NRW-Landtag auf sich habe sowie mit der Verunglimpfung von Parteifreunden in einer Whats-App-Gruppe? „Die Wahlen wurden nicht manipuliert, das hat der Landeswahlleiter bestätigt“, antwortet der AfD-Chef. Mehr will er nicht dazu sagen.

Dass die Meinungen in seinem Landesverband weit auseinandergehen – das wenigstens räumt er zögernd ein. Ja, es gebe zwei Strömungen in der Partei. „Aber die Realos haben sich gegen die Fundis letztlich durchgesetzt.“ Mit Realos meint er wohl sich und seine Anhänger, mit Fundis den Renner-Flügel.

Die Kontrahenten haben offenbar einen Burgfrieden geschlossen. Natürlich schmeckt es Pretzell nicht, dass Renner die NRW-Kandidatenliste für die Bundestagswahl anführt – und damit sein Einzug in den Bundestag gesichert ist, sollte die AfD die Fünf-Prozent-Hürde nehmen. Das scheint der Preis zu sein für den momentanen Waffenstillstand vor den Wahlen im Land und im Bund.

Grußlos Gespräch beendet

Pretzell selbst wäre bei der Spitzenkandidaten-Kür in NRW fast auf die Nase gefallen. Gegen einen nahezu unbekannten Gegenkandidaten brachte der ehemalige FDP-Politiker und Europaabgeordnete es nur auf 54 Prozent der Stimmen. Eine gefühlte Niederlage? Er sehe das so, dass ihn mehr als die Hälfte der Delegierten gewählt hätten, antwortet Pretzell – zunehmend schmallippiger werdend. Wie lange wird es die AfD geben? „Sie sehen am Beispiel der Grünen, dass Kräfte überdauern, die eigenständige Positionen besetzen.“ Als das Gespräch endet, geht Marcus Pretzell grußlos.

In eigener Sache

Vor der Landtagswahl am Sonntag, 14. Mai, veröffentlicht der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Interview-Reihe mit den Spitzenkandidaten von SPD, CDU, Grünen, FDP und der AfD. Das übliche Verfahren sieht vor, dass Interviews mitgeschnitten werden – , um der Authentizität willen und einer möglichst wortgetreuen Wiedergabe. Marcus Pretzell hat dem nicht zugestimmt. Die Redaktion hat ihm die Möglichkeit gegeben, seine aus den Mitschriften der Redakteure gefertigten Antworten gegenzulesen und bei Bedarf Anmerkungen zu machen. Obwohl dies mehrfach angeboten wurde, hat Pretzell sich dazu nicht gemeldet. Um auch über Umstände des Treffens mit dem AfD-Spitzenkandidaten berichten zu können, hat die Redaktion entschieden, anstelle eines Wortlaut-Interviews einen Report über die Begegnung zu veröffentlichen.

Zur Person: Marcus Pretzell, geboren am 16. Juli 1973, ist Vorsitzender der AfD in NRW und seit der Europawahl 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments. Der Jurist war von 2004 bis 2009 FDP-Mitglied und trat 2013 der AfD bei. Zur Bundestagswahl 2013 war er Direktkandidat im Wahlkreis Bielefeld-Gütersloh II. (det/gmv/pb)

KStA abonnieren