Aus Angst vor CoronaImmer weniger Herzpatienten suchen kardiologische Praxen auf

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Gefährliche Entwicklung: Deutlich weniger Herzpatienten suchen während der Pandemie die kardiologischen Praxen auf – obwohl sie dringend behandelt werden müssten.

Gefährliche Entwicklung: Deutlich weniger Herzpatienten suchen während der Pandemie die kardiologischen Praxen auf – obwohl sie dringend behandelt werden müssten.

  • Herzpatienten sind eine der gefährdetsten Risikogruppen im Zusammenhang mit dem Coronavirus.
  • Aus Angst vor Ansteckung haben in der akuten Phase der Pandemie deutlich weniger Herzpatienten die kardiologischen Praxen aufgesucht.
  • Ein Interview mit Dr. Michael Zimmermann, Beauftragter der Herzstiftung.

Oberberg – Wie hat die Corona-Krise das Leben von Herzpatienten verändert, die ja von vorne herein als Risikogruppe galten?

Der Einfluss ist erheblich und vor allem gefährlich gewesen: In der akuten Phase der Pandemie im März und April haben deutlich weniger Patienten die kardiologischen Praxen aufgesucht. Laut Professor Dr. Thomas Vogtländer haben allein in Frankfurt zum Beispiel 30 Prozent weniger Patienten mit Herzinfarkt die Praxen aufgesucht – und das, obwohl sie dringend behandelt werden müssten und obwohl da jede Minute zählt.

Was bedeutet das denn für die Patienten?

Es könnte bedeuten, dass die Todesrate steigt, weil Menschen zu spät behandelt wurden. Bisher liegen dazu aus Deutschland noch keine Daten vor, aber in Italien ist genau das passiert: Die Todesrate bei Herzinfarkten hat sich verdreifacht. Wir rechnen hier auch mit erhöhten Zahlen.

Was ist die Ursache für so ein Verhalten von Menschen, die doch krank sind?

Die berechtigten Warnungen zur Vorsicht vor einer Ansteckung mit dem Virus sind einfach zu ernst genommen worden. Das muss man verstehen: Herzpatienten sind nun einmal eine der gefährdetsten Risikogruppen im Zusammenhang mit dem Virus. Da ist die Angst anzustecken natürlich besonders groß. Dennoch sollte man auf keinen Fall ein Risiko eingehen. Die Krankenhäuser sind inzwischen so gut darauf eingerichtet, dass die Angst vor dem Virus kein Grund ist, sich nicht das Leben retten zu lassen.

Die Herzstiftung, deren Beauftragter im Oberbergischen Sie sind, veranstaltet eine Selbsthilfegruppe für Herzpatienten in Oberberg. Wie haben Sie mit dieser Gruppe auf die neuen Regeln reagiert?

Wir haben unsere Treffen, die sonst jeden zweiten Monat in Gummersbach stattfinden, eingestellt. Stattdessen stehen wir telefonisch im Kontakt, auch per WhatsApp. Wir haben 15 bis 20 Mitglieder in der Gruppe, aus allen Bereichen des Oberbergischen. Als Mitglieder der Herzstiftung sind sie über die Gefahren, die gerade ihnen als Herzpatienten für einen schweren Verlauf Covid-19 drohen, und über die Regeln zur Vermeidung einer Ansteckung natürlich bestens aufgeklärt. Sie haben sich zurückgezogen, Kontakte vermieden. Und tatsächlich hatten wir bisher keinen einzigen Fall einer Ansteckung mit dem Virus in unseren Reihen.

Und wie reagieren sie jetzt auf die Lockerungen?

Natürlich lockern auch sie, man schottet sich nicht mehr ganz so ab. Viele sind Großeltern, sie konnten ihre Enkel lange nicht mehr sehen. Damit geht man natürlich auch als Herzpatient jetzt, wo es im Oberbergischen keine Fälle gibt, anders um als noch in der akuten Phase vor einigen Wochen noch.

Die Risikogruppe, die Sie repräsentieren, ist groß, oder?

Davon können Sie ausgehen. Wir haben bundesweit 345 000 Herztote im Jahr, allein 47 000 davon allein durch Herzinfarkte. In den vergangenen zehn Jahren ist das Bewusstsein für dieses Risiko gestiegen. Die Menschen sind besser aufgeklärt und wählen eher den Notruf. Dadurch war die Todesrate deutlich zurückgegangen. Umso erschreckender ist es ja, dass sie es jetzt – wegen der Corona-Angst – nicht mehr getan haben.

Wie gefährlich war denn die öffentliche Debatten über die Wirkung bestimmter Medikamente im Zusammenhang mit Corona?

Das war fatal und hat bei den Patienten für eine große Verunsicherung gesorgt. Es ging ja nicht nur um Ibuprofen, sondern auch um ASS, ACE und Blutgerinnungshemmer, die schuld an einem schwereren Verlauf der Krankheit sein sollten. Da geht es um Medikamente, die für einen Herzpatienten lebenswichtig sind. Wenn man sie einfach absetzt, weil man so etwas gelesen hat, kann das zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Ohne Rücksprache mit einem Arzt darf man das auf keinen Fall machen!

Sie sprachen die Aufklärung schon an: Wie gut ist ansonsten die Versorgung von Herzpatienten heutzutage?

Da hat sich sehr viel getan. Egal, ob Bypass oder Stent: Die Medizin ist inzwischen so weit, dass sie sehr vieles reparieren kann. Die andere Seite der Medaille ist die Psychokardiologie, da bleibt vieles auf der Strecke. Dabei ist gerade die Angst, das mein Herz einfach von jetzt auf gleich stehen bleiben könnte, eine ganz wichtige Begleiterscheinung.

Und wie gut ist die Versorgung der Herzpatienten im Oberbergischen?

Generell ist die Versorgung hier in der Region sehr gut, vor allem was die Krankenhäuser angeht. Mit Lüdenscheid, mit Waldbröl, aber auch mit Bergisch Gladbach haben wir gleich drei spezialisierte Kliniken in der Nähe. Darüber hinaus könnte ich selbst mir sicher vorstellen, dass das Oberbergische noch den ein oder anderen Kardiologen vertragen könnte, um die Wartezeiten für Routinekontrollen zu verkürzen.

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Informationen zur Coronavirus-Pandemie erhalten Herzpatienten unter www.herzstiftung.de .

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