Bielsteiner SekundarschuleSchüler bauen eine eigene Lüftungsanlage

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Fachlehrer Jürgen Frintz (r.) ist zuversichtlich, dass die Initiative von Marc Zimmermann bei seinen Schülern in guten Händen ist. 

Bielstein – Um die Corona-Infektionsgefahr in den Klassenräumen zu mindern, wird vielerorts die Anschaffung von Luftfiltergeräten erwogen. Bei ungewissem Nutzen kosten diese aber pro Stück mehrere tausend Euro, weshalb man sich auch in Wiehl schwer tut mit der Investition. Im Wiehler Stadtrat meldete sich kürzlich der Grünen-Stadtverordnete Marc Zimmermann zu Wort und hatte einen kuriosen Vorschlag.

Warum nicht die Schüler und Schülerinnen selbst eine Lüftungsanlage bauen lassen? Mit Material aus dem Baumarkt für 200 Euro? Zimmermanns Variante basiert auf einer wissenschaftlichen Grundlage, nämlich auf einer Entwicklung des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie, die bundesweit Beachtung gefunden hat. Die Gesamtschule in Mainz-Bretzenheim testet die Anlage, das rheinland-pfälzische Bildungsministerium prüft den Einsatz an anderen Schulen.

Zehntausende auszurüstende Räume

Marc Zimmermann ist Sprecher des Grünen-Kreisverbands und bekam den Hinweis auf die Mainzer Entwicklung von seiner Vorstandskollegin Sabine Grützmacher. Er nahm daraufhin per E-Mail Kontakt zum Erfinder auf. Der Professor hat wegen des großen Interesses an seiner Arbeit keine Zeit für die Betreuung einzelner Projekte und verwies auf die Instituts-Website. Das MPI hatte nach einem Medienbericht Anfang November innerhalb weniger Tage mehr als 1000 Anfragen von Schulen und sogar Lüftungstechnikfirmen erhalten. Die Anzahl der auszurüstenden Räume geht in die Zehntausende.

Im Ältestenrat des Wiehler Stadtrats versicherte sich Marc Zimmermann der Unterstützung von Politik und Verwaltung und wandte sich an die Bielsteiner Sekundarschule, die bekanntlich schon in ihrem Titel die „technisch orientierte Bildung“ (TOB) hochhält. In Schulleiterin Anita Kallikat und Techniklehrer Jürgen Frintz fand er begeisterte Mitstreiter.

Realer Bezug beim Lernen

Dass die Lüftungsanlage Marke Eigenbau alle Corona-Probleme löst, glaubt keiner der Beteiligten. Schon weil Infektionen sich auch im Bus oder bei Kontakten auf den Schulfluren verbreiten können. Besonders die jungen Schüler müsse sie häufiger an Maskenpflicht und Abstandsgebot erinnern, sagt Schulleiterin Kallikat. Die Fenster werde man weiterhin regelmäßig öffnen müssen. Das Lüftungsbauprojekt sei aber aus pädagogischen Gründen ein Idealfall, glaubt Kallikat: „Die Schüler haben beim Lernen einen realen Bezug, der ihnen unmittelbar einleuchtet. Und sie arbeiten auf ein konkretes Ergebnis hin – besser geht’s nicht.“

Techniklehrer Jürgen Frintz ist studierter Maschinenbauingenieur und will erst einmal sehen, wie laut die Anlage läuft, wie sehr die Schüler davon abgelenkt werden und wie gut die Reinigungswirkung tatsächlich ist. „Aber wir als technische Schule mit unserer Ausstattung sind genau der richtige Ort dafür, solch einen Prototyp zu bauen.“

Projektstart muss wegen Lockdown ins nächste Jahr verlegt werden

Zwölf Schüler mit Hauptfach Technik aus dem zehnten Jahrgang, die mitmachen wollen, hat er schnell gefunden. Eigentlich wollte Frintz sofort loslegen und noch vor den Weihnachtsferien fertig werden. Nach dem allgemeinen Schul-Lockdown muss er den Start ins neue Jahr verschieben. Der Testbereich für die Entlüftung ist bereits ausgewählt worden. Es ist ein Differenzierungsraum, der von unterschiedlich großen Gruppen genutzt wird, so dass es variierende Messergebnisse geben wird, die sich vergleichen lassen.

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Das Sonderprojekt ist ein organisatorischer Aufwand, der die Schule in einer Zeit trifft, in der der Lehrplan ohnehin permanent in Bewegung ist. Wegen Quarantänen waren zuletzt ständig 30 wechselnde Schüler und mehr vom Unterricht befreit. Schulleiterin Anita Kallikat sagt: „Aber alle Ansteckungen haben nicht in der Schule, sondern zu Hause stattgefunden.“ Damit es so bleibt, kann zusätzliche Lüftung sicher nicht schaden.

Pilotprojekt für bessere Raumluft

Um in den Klassenzimmern die Raumluft zu verbessern, möchte die Stadt Wiehl zusammen mit der Aggerenergie in einem digitalen Pilotprojekt zusammenarbeiten. Nicht nur die Belastung mit CO2 (und damit die mögliche Coronavirenlast), sondern auch Daten wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit sollen mit Sensoren gemessen und über ein Netzwerk verwaltet werden. Parallel will der städtische Experte Torsten Richling sich mit einer CO2-App vertraut machen, die einen raumspezifischen Lüftungsrhythmus vorgibt und im Bauausschuss des Stadtrats von Peter Kesehage (CDU) ins Gespräch gebracht wurde. Alle übrigen Varianten einer Luftreinigung beurteilt Richling dagegen wie bereits in seinem ersten Gutachten für den Stadtrat weiterhin eher skeptisch.

Die Selbstbauanlage der Bielsteiner Sekundarschule hält Richling für pädagogisch sinnvoll – sie sei aber keine Lösung für alle 200 Wiehler Klassenräume. Mobile Filteranlagen seien mit einer Investition von 800 000 Euro verbunden, sehr wartungsaufwendig und schlecht verfügbar.

Letzteres gelte auch für die überall begehrten CO2-Ampeln, berichtet Richling. Dennoch sei eine geregelte Stoßlüftung der Klassenräume das einzig sinnvolle Verfahren. Schon im Februar in Betrieb nehmen will man darum die als Pilotprojekt geplante „LoRaWAN“-Anlage. Das Kürzel steht für „Long Range Wide Area Network“ und beschreibt ein effizientes Senden von Daten über lange Strecken. Damit ist es möglich, mehrere hundert Sensoren innerhalb eines Netzwerkes zu verwalten und Sensordaten zu verarbeiten. Sensoren können jahrelang ohne Batteriewechsel betrieben werden, was den Wartungsaufwand erheblich einschränkt. Richling spricht von „Technik mit Mehrwert“. 25 000 Euro soll die Anschaffung kosten, dazu kommen 18 000 Euro jährlicher Serviceaufwand. In den Weihnachtsferien will die Stadt die Installation vorbereiten. (tie)

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