Interview Grünen-PolitikerEngelskirchener Wohnungssituation „gar nicht so schlecht“

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Die energetische Sanierung vorhandener Gebäude soll Vorrang haben vor dem Bau neuer Wohnhäuser, so Karl Lüdenbach.

Die energetische Sanierung vorhandener Gebäude soll Vorrang haben vor dem Bau neuer Wohnhäuser, so Karl Lüdenbach.

  • Dies ist ein Artikel aus unserem Archiv vom 22.02.2022.

Engelskirchen – In unser Serie zu künftigem Wohnen kommt heute Karl Lüdenbach (Grüne Engelskirchen) zu Wort, ein Kritiker vieler Neubauprojekte. Mit ihm sprach Torsten Sülzer.

Braucht Engelskirchen neuen Wohnraum?

Lüdenbach: Wir benötigen auch neuen Wohnraum, aber vor allem müssen wir den vorhandenen Wohnraum an die sich verändernde Arbeitswelt, den demografischen Wandel und die Klimasituation anpassen.

Was wird sich denn ändern?

Durch die Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge werden wir in den nächsten zehn Jahren einen starken Rückgang der Erwerbstätigen und eine ebenso starke Zunahme an Rentnern verzeichnen. Die Bevölkerungszahl bleibt dabei voraussichtlich vorerst konstant oder kann leicht steigen. Als Reaktion darauf hat die Agentur für Arbeit darauf hingewiesen, dass in die Bundesrepublik eine Zuwanderung von 400 000 Erwerbstätigen pro Jahr notwendig ist, um einen Mangel an Fachkräften auszugleichen. Stark betroffen sind bei uns etwa die Bereiche Gesundheit/Pflege und Facharbeiter für Handwerk und Industrie.

Was würde das Ihres Erachtens für den Wohnungsmarkt bedeuten?

Der notwendige Zuzug an Arbeitskräften bewirkt vor allem eine höhere Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum für Singlehaushalte und Familien sowie nach qualitativem Wohnraum für Senioren, um den Wechsel von einem Einfamilienhaus in eine kleinere ortsnahe Wohnung attraktiv zu gestalten.

Und wenn die Senioren lieber in ihrem geräumigen Haus bleiben möchten, das sie vielleicht selber gebaut haben?

Dagegen ist nichts zu sagen. Tatsache ist aber auch, dass es kein ausreichendes Angebot an altersgerechtem Wohnraum gibt. Im letzten Wohnungsmarktbericht wird dieser Mangel besonders hervorgehoben. Zudem wird der Umbau von Einfamilienhäusern in zwei Wohneinheiten praktiziert und öffentlich gefördert.

Karl Lüdenbach, die Grünen Engelskirchen.

Karl Lüdenbach, die Grünen Engelskirchen.

Wie schätzen Sie aktuell den Wohnungsmarkt in Engelskirchen ein?

Tatsächlich ist die konkrete Situation gar nicht so schlecht. Laut Wohnungsmarktbericht erhöhte sich die Anzahl der Wohnungen in Engelskirchen zwischen 2010 und 2020 um 552 Wohneinheiten. In den letzten beiden Jahren lag die Anzahl der Baugenehmigungen in Engelskirchen sogar ca. 50 Prozent über dem oberbergischen Durchschnitt. Und auch für die Zukunft gibt es noch einiges an Potenzial in zentraler Lage. Darauf hat Reimar Molitor von der Regionaleagentur in Ihrer Zeitung hingewiesen. Er sagte: „Wir sehen beispielsweise in Dieringhausen und Ründeroth noch einiges an Verdichtungspotenzial.“

Verdichtungspotenzial ist aber eine theoretische Größe. Ob und wann Baugrundstücke bebaut werden, entscheidet der Eigentümer, es gibt ja keine Baupflicht. Wie wollen Sie dort zum Bauen animieren?

Der Zubau der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass es genügend Eigentümer gibt, die investieren. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass dies in Zukunft nicht auch so sein wird. Ortsnahe, leerstehende Industriegelände oder Hofgelände gibt es in allen Ortsteilen.

Worauf muss Ihrer Meinung nach geachtet werden bei künftigen Projekten?

Klimabilanz, Bodenversiegelung und Artenschutz müssen ausschlaggebend sein für zukünftige Projekte. Das heißt, dass Siedlungsverdichtung und Sanierung den Vorrang vor Neubaugebieten haben. Vorhandene Infrastruktur muss genutzt werden. Einzelhandel, Öffentlicher Personennahverkehr, Schulen und Ärzte sollten nach Möglichkeit fußläufig erreichbar sein.

All das, findet jedenfalls fast der gesamte Gemeinderat mit Ausnahme Ihrer Fraktion, spricht für ein neues Wohngebiet in Buschhausen.

Die beschriebenen Kriterien treffen auf Buschhausen einfach nicht zu. Des Weiteren ist die Notwendigkeit für Buschhausen nicht zu erkennen. Mit diesem Neubaugebiet würde unnötigerweise Wald abgeholzt. Über 6000 Quadratmeter würden asphaltiert. Die restliche Infrastruktur wie Kanal, Wasser, Elektrizität käme hinzu. Die Tonnage an freigesetztem CO2 für diese Materialien, deren Antransport und Einbau ist erheblich. Wollen wir eine Zukunft haben auf unserer Erde, müssen wir umdenken.

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Energieeffiziente Neubauten dienen dem Klima. Warum also nicht möglichst neu bauen?

Diesen Schluss könnte man ziehen. Ca. 30 Prozent der Primärenergie wird für Wohnen und Bauen aufgewandt. Wenn man bedenkt, dass Zweidrittel des Wohnungsbestandes nicht oder kaum energetisch saniert sind, liegt hier ein riesiges Einsparpotenzial. Die Bundesarchitektenkammer kommt daher zu dem Schluss, dass jährlich eine Million Wohnungen saniert werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Die Antwort auf die Frage, ob Neubau oder Altbau, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass man mit der für einen Neubau eingesetzten grauen Energie mehrere Einfamilienhäuser durch thermische Sanierung auf den gleichen Energiestandard eines Neubaus bringen kann. Werden durch Sanierung auf gleicher Grundfläche aus einer Wohnung zwei oder drei, ist auch die Kostenfrage einfacher zu klären und es entstehen Wohnungsgrößen, die dem Bedarf entsprechen. Legt man den Schwerpunkt auf Neubau, werden wir mittelfristig einen Verfall der bestehenden Siedlungsgebiete bewirken, da die Betriebskosten unsanierter Häuser nicht mehr finanzierbar sein werden.

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