GeschichteHermann von Lüninck aus Engelskirchen war Oberpräsident der Rheinprovinz und NS-Gegner

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Haus Alsbach durch die Zweige eines Baumes fotografiert.

Die Haus Alsbach am westlichen Ortseingang von Engelskirchen war von 1922 bis zu seinem Tod 1975 der Lebensmittelpunkt von Hermann von Lüninck.

Eine Erinnerung an Hermann von Lüninck aus Engelskirchen: Oberpräsident der Rheinprovinz und NS-Gegner, Katholik und Familienmensch. Ein Teil unserer Serie Geschichten aus der Geschichte.

Wie so viele Nationalkonservative hat er zum Aufstieg des NS-Regimes beigetragen und von ihm anfangs profitiert. Aber er gehörte auch zu den wenigen, die schließlich ihr Leben bei dem Versuch einsetzten, es zu beenden. Die Rede ist von Hermann von Lüninck, Gutsherr auf Haus Alsbach in Engelskirchen, der für kurze Zeit als Oberpräsident der Rheinprovinz so hoch aufgestiegen ist wie wohl kaum ein anderer Engelskirchener davor und danach.

Der Name von Lüninck wird in Engelskirchen heute eher mit seiner Tochter Mathilde verbunden, eines von sieben Kindern der Eheleute Hermann von Lüninck und Bertha Gräfin von Westerholt zu Gysenberg. Mathilde von Lüninck ist Ehrenvorsitzende der „Lichtbrücke“. Das Bangladesch-Hilfswerk führte sie an der Seite ihres kürzlich verstorbenen Ehemanns Friedel Knipp von 1983 an mit großem Erfolg.

Engelskirchen: Nachlass von Hermann von Lüninck in den Händen seiner Enkel

Den Nachlass des Großvaters verwahrt der heutige Eigentümer von Haus Alsbach, Pius Graf von Spee, eines von zwölf Kindern der Lüninck-Tochter Maria. Mit Pauline von Spee wohnt noch eine Tochter in   Engelskirchen, die Kunsthistorikerin engagiert sich für die CDU im Gemeinderat. Der Großvater sei eine ambivalente, facettenreiche Persönlichkeit gewesen, erinnert sich Pauline von Spee.

„Ich habe ihn als sehr autoritär kennengelernt. Was er vorgab, das war Gesetz.“ Mit der Demokratie, die nach dem Krieg das endgültige Ende der besonderen Stellung des Adels bedeutete, habe er sich sehr schwer getan, sagt die Enkelin. Seit ihm durch eine Verletzung im Ersten Weltkrieg ein Unterschenkel amputiert wurde, habe der Großvater unter starken Schmerzen gelitten. Dazu kamen Schicksalsschläge wie der Unfalltod des Sohnes Ignatz mit nur 14 Jahren, die sein Gemüt dauerhaft verdüsterten. Denn zugleich sei der Patriarch ein kinderlieber Familienmensch gewesen, der durchaus Gefallen daran fand, dass das Nesthäkchen Pauline einmal die ihr widerliche Milch trotzig aus dem Fenster schüttete. „Die Willensstärke seiner Enkel hat er immer unterstützt.“

Denn ein starker Charakter war vielleicht auch, was ihm selbst 1944 das Leben gerettet hat. Zumindest soll der versierte Jurist Hermann von Lüninck beim Prozess gegen die Verschwörer des 20. Juli dem Volksgerichtshofspräsidenten Roland Freisler mit Entschiedenheit entgegen getreten sein und entging dem Todesurteil.

Ferdinand von Lüninck, einst Oberpräsident von Westfalen, wurde dagegen hingerichtet. Die Lebenswege Hermanns und seines älteren Bruders weisen „teils verblüffende Parallelen auf“, stellt Joachim Lilla fest, der für das Portal Rheinische Geschichte des Landschaftsverbands Lünincks Biografie geschrieben hat: „Beide waren in der Weimarer Zeit hohe Funktionäre landwirtschaftlicher Organisationen, beide wurden im Frühjahr 1933 zu Oberpräsidenten ernannt, beide waren 1944 im Widerstand.“

Den Brüdern Lüninck waren wichtige Positionen in der Regierung vorgesehen

Die Namen der Brüder von Lüninck waren auf einer Liste des Widerstandskämpfers Carl Friedrich Goerdeler für wichtige Positionen einer Regierung vorgesehen, die nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 die Macht übernehmen sollte. Diese Liste fand die Gestapo nach dem Scheitern des Attentats in Goerdelers Aufzeichnungen. Ferdinand von Lüninck wurde am 13. November vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und einen Tag später in Plötzensee erhängt.

Im Gestapo-Verhör nach seiner Verhaftung hatte Ferdinand von Lüninck zu seinen Motiven erklärt, durch die Unterdrückung der Kirchen und des Christentums im nationalsozialistischen Staat sei „in den Wein der ersten Begeisterung manches Wasser geflossen“. So ähnlich würde es wohl auch der Bruder Hermann von Lüninck ausgedrückt haben. Anfang der 1930er Jahre war er Mitglied der antidemokratischen und monarchistisch orientierten Deutschnationalen Volkspartei und Gegner des politischen Katholizismus der Zentrumspartei.

Er unterstützte die Politik des Reichskanzlers Franz von Papen, zu dem er offenbar schon zuvor gute gesellschaftliche Kontakte hatte. Joachim Lilla schreibt, dass von Lüninck diese Beziehungen für seinen beruflichen Aufstieg nutzte, so dass er 1933 durch den preußischen Reichskommissar Hermann Göring zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz ernannt wurde. Einen Beitritt zur NSDAP hatte von Lüninck immer abgelehnt, nun kam er nicht mehr umhin.

Die Rheinprovinz reichte von Kleve bis Saarbrücken und umfasste ein Gebiet, das weitaus größer war als der Zuständigkeitsbereich des heutigen Landschaftsverbandes. Doch nur kurz währte von Lünincks Amtszeit. Schon 1935 wurde er von den Nazis wieder abserviert und durch den Essener Gauleiter Josef Terboven ersetzt. Joachim Lilla zitiert ein Schreiben, mit dem Göring zwei Jahre später von Lünincks Entlassung aus dem preußischen Staatsrat begründete.

Äußerlicher Anlass war von Lünincks Austritt aus der NSDAP, tatsächlich ging es aber um dessen katholische Weltanschauung: Diese sei nach den Worten Görings „umso bedenklicher, da gerade die Bevölkerung Ihres Wohnortes früher besonders zentrümlich eingestellt war und auch heute noch durch die unverschämte Pfaffenhetze sich gegen den Staat einstellt.“ Göring zetert: „Es ist mir persönlich unbegreiflich, weshalb man nicht längst schon die hohe Klerisei, die dauernd nach Rom fährt und dort in unverschämter Weise gegen Berlin hetzt, wegen Hoch- und Landesverrat vor das Volksgericht gestellt hat.“

Hermann von Lüninck zog sich auf Haus Alsbach zurück. Joachim Lilla berichtet, dass der Landwirtschaftsexperte, als er Jahre später in den Besprechungen der Verschwörer um Carl Goerdeler als künftiger Reichsernährungsminister vorgeschlagen wurde, wegen seiner rechtskonservativen Vergangenheit noch auf Bedenken der Gewerkschaftsvertreter gestoßen war. Dennoch wurde ihm dieser Kontakt zum Verhängnis: Im August 1944 nahm die Gestapo von Lüninck fest, als er seinen Bruder Ferdinand in der Untersuchungshaft besuchte.

Das Verfahren wurde abgetrennt und vertagt, berichtet Lilla. Hermann von Lüninck habe sich mit dem Einwand verteidigt, seine Aussagen vor der Polizei seien durch Androhung der Verhaftung seiner Familie erzwungen worden. Das Gericht wollte diesen Einwand durch Vernehmung des Polizeibeamten überprüfen. Das Verfahren wurde schließlich eingestellt.

In den Wirren der letzten Kriegstage entließ sich von Lüninck gleichsam selbst aus der Berliner Gefängnishaft. Doch die Freude währte nur kurz, bis er erfuhr, dass er seine Frau und Tochter Gertrud verloren hatte – beide waren in Engelskirchen am Fleckfieber verstorben. Die tödliche Krankheit war mit den ausgebombten Bewohnern eines Kölner Altenstifts nach Engelskirchen gekommen, die in Haus Alsbach untergebracht worden waren. Seiner 20-jährigen Tochter Maria, Pauline von Spees späterer Mutter, habe Hermann von Lüninck deshalb nach seiner Rückkehr schwere Vorwürfe gemacht, berichtet die Enkelin. Zudem habe er ihr ungerechterweise das Durcheinander der Flüchtlingswirtschaft auf dem Hof vorgehalten.

Doch schon bald bewies der Gutsherr auch wieder ein großes Herz, schildert Pauline von Spee. Wenn am Engelskirchener Bahnhof neue Flüchtlinge ankamen, habe er immer gesagt: „Die Familien mit Kindern kommen zu uns.“


Ein politisches Leben

Hermann Joseph Antonius Maria Freiherr von Lüninck wurde am 3. Mai 1893 auf Haus Ostwig im Sauerland geboren. Seine Eltern waren   Karl Freiherr von Lüninck (1856-1921) und Anna-Maria, geborene von Mallinckrodt (1869-1957). Er besuchte das Gymnasium in Brilon und studierte anschließend Rechtswissenschaften in München, Freiburg, Münster und Göttingen.

1914 meldete sich Hermann von Lüninck als Kriegsfreiwilliger. 1919 wurde er als Oberleutnant aus dem Militär verabschiedet. 1920 teilte man ihn als Regierungsassessor der Ministerial-, Militär- und Baukommission in Berlin zu, zugleich wurde er zur Beschäftigung in das Ministerium des Innern einberufen. Eine Versetzung 1922 wertete von Lünick als Bestrafung für seine konservative politische Einstellung. Auf eigenes Ersuchen ließ er sich aus dem Staatsdienst entlassen und widmete   sich fortan vornehmlich der Bewirtschaftung des Gutes Alsbach nahe Engelskirchen

1922 übernahm er die Stelle des Bezirksgeschäftsführers des Rheinischen Bauernvereins in Essen. Bereits ein Jahr später wurde er Stellvertretender Generalsekretär des Rheinischen Bauernvereins mit Sitz in Köln, mit rund 60 000 Mitgliedern die zweitgrößte Bauernvereinsorganisation im Deutschen Reich. 1925 wählte die Vollversammlung der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz den 31-Jährigen zu ihrem Präsidenten. Weitere hohe Funktionärsämter kamen hinzu.

1933 wurde von Lünick zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz in Koblenz ernannt. Doch schon 1935 versetzen die Nazis den 41-Jährigen   auf eigenen Antrag in den einstweiligen Ruhestand. 1944 nahm die Gestapo von Lüninck fest. Die Anklage vor dem Volksgerichtshof wurde am 18. Januar 1945 erhoben. Das Verfahren wurde später eingestellt.

In der Nachkriegszeit versuchte von Lüninck ein politisches Comeback bei der Deutschen Konservativen Partei/Deutschen Rechtspartei (DKP-DRP). 1949 kandidierte er auf der Landesliste Nordrhein-Westfalen erfolglos für den Bundestag. Von Lüninck starb am 16. Mai 1975 in Engelskirchen. (tie)


Ritterlichkeit

„Für Wahrheit, Freiheit und Recht!“ ist Titel eines Buches, in dem Hermann von Lüninck kurz vor seinem Tod eine Reihe von Aufsätzen und Denkschriften versammelte. In einem dort abgedruckten Vortrag vor jungen Adeligen in Ehreshoven 1967 erklärt er seine frühe Verstrickung   in den Aufstieg des NS-Regimes damit, dass auch viele katholische Bischöfe in Hitler ein Bollwerk gegen den Bolschewismus zu erkennen glaubten. Das Motiv für den späteren Widerstand sieht er in seiner Herkunft: „Adel wird äußerlich gebildet durch Abstammung aus adeliger Familie, aber geformt wird er durch den Geist, die ritterliche Gesinnung, durch rücksichtslose Einsatzbereitschaft im Kampf für Wahrheit und Recht, für Freiheit und Ehre.“

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