Gummersbach 1989Als Bürgermeister Sülzer Nein zu den Stimmen der Republikaner sagte

Lesezeit 4 Minuten
Gegenseitiger Respekt: Hubert Sülzer (CDU, r.) gratuliert am 20. Oktober 1989 seinem Nachfolger Karl Holthaus (SPD).

Gegenseitiger Respekt: Hubert Sülzer (CDU, r.) gratuliert am 20. Oktober 1989 seinem Nachfolger Karl Holthaus (SPD).

  • Die Wahl in Thüringen erinnert viele Gummersbacher an den früheren Bürgermeister Hubert Sülzer.
  • 1989 hatte er seine Wiederwahl nicht angenommen, weil er nicht mit den Stimmen der Republikaner ins Amt gelangen wollte.
  • Das brachte viel überregionale Beachtung.

Gummersbach – Den 20. Oktober 1989 hat Rainer Sülzer nie vergessen. „Es war damals meine erste Sitzung, und ich war schon in freudiger Erwartung, ausgerechnet von meinem eigenen Vater vereidigt zu werden“, erzählt der inzwischen 67-Jährige, der heute Vorsitzender des Kulturausschusses ist und nun auch schon wie sein Vater zuvor fast 30 Jahre für die CDU im Rat sitzt.

Zur Vater-Sohn-Vereidigung kam es aber nicht. Denn Hubert Sülzer, damals 68 Jahre alt und seit 1975 ehrenamtlicher Bürgermeister der Stadt Gummersbach, machte an jenem Freitag eine Ankündigung wahr, die ihm überregional Beachtung brachte und nach der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten von Thüringen neue Aktualität gewinnt: Als klar war, dass die knappe Mehrheit von 23:22 Stimmen gegen den SPD-Bewerber Karl Holthaus bei der Bürgermeisterwahl nur mit den Stimmen der beiden Vertreter der Republikaner im Rat zustande gekommen sein konnte, erklärte Sülzer, dass er die Wahl nicht annehme.

Stolzer Sohn: Rainer Sülzer mit dem Brief, den damals SPD-Fraktionschef Hans-Jochen Vogel an seinen Vater schrieb.

Stolzer Sohn: Rainer Sülzer mit dem Brief, den damals SPD-Fraktionschef Hans-Jochen Vogel an seinen Vater schrieb.

Nach dem damals gültigen Verfahren kommt schließlich doch der zuvor unterlegene Holthaus zum Zug. Sülzer wird in einem weiteren Wahlgang zum ersten Stellvertreter gewählt und bleibt es bis zu seinem Abschied 1994. Schon vor der Wahl, erzählt Rainer Sülzer, habe der Vater angekündigt, das so machen zu wollen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Zu dem Zeitpunkt habe es in der Fraktion auch einige Stimmen gegeben, die das anders gesehen hätten, erinnert sich Rainer Sülzer: „Da hieß es dann wie jetzt: Es ist doch eine geheime Wahl. Aber wir konnten ja alle rechnen und wussten, wo die Stimmen herkommen würden.“ Für seinen Vater, der 1939 als 18-Jähriger eingezogen wurde und nach dem Krieg bis 1949 in russischer Gefangenschaft blieb, sei es auf keinen Fall in Frage gekommen, sich von den rechtsradikalen Republikanern, die 1989 in den Rat eingezogen waren, wählen zu lassen.

„Die richtige Entscheidung”

Mitten im Geschehen war damals auch Ina Albowitz-Freytag als Vorsitzende der FDP-Fraktion, die Hubert Sülzer unbedingt als Bürgermeister behalten und gemeinsam mit der CDU wählen wollte. Mit den Republikanern habe aber auch sie das nicht gewollt. „Zudem war der Druck von außen immens“, erinnert sich die 76-Jährige, die heute wieder Vorsitzende der Kreis-FDP ist. „Ich habe damals lange mit Hubert Sülzer gesprochen, und das, was er nach der Wahl gemacht hat, war genau die richtige Entscheidung.“

Ein Seitenhieb auch auf ihren Parteifreund Thomas Kemmerich in ihrer Heimat Thüringen. „Am Mittwoch habe ich ihn noch verteidigt, aber als er dann am Donnerstag zunächst weitermachen wollte, war ich stinksauer“, sagt die in Weimar geborene frühere Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion. „Ich fahre bald wieder mit einer Jugendgruppe nach Buchenwald und Weimar. Das mache ich doch nicht aus Spaß.“ Am Donnerstagmorgen hätten sie als Reaktion im Oberbergischen die ersten Parteiaustritte und einige böse Briefe erreicht. „Thomas Kemmerich hätte es direkt so machen sollen wie Hubert Sülzer damals“, lautete Albowitz-Freytags Fazit.

Spannend bis zum Schluss

Bis es am 20. Oktober 1989 so weit war, blieb es für Rainer Sülzer bis zum Schluss noch ein bisschen spannend, ob der Vater den Schritt tatsächlich geht. „Sagen wir es so: Wir hätten das ein oder andere kritische Gespräch führen müssen, wenn er die Wahl doch angenommen hätte.“ Doch die Sorge des damals 37-Jährigen war unbegründet. Umso stolzer sei er auf seinen Vater gewesen: „Dieses Rückgrat muss man erstmal haben.“

Auch der Vater, der 1999 im Alter von 78 Jahren gestorben ist und nach dem heute in Gummersbach eine Straße benannt ist, habe gemerkt, dass seine Entscheidung weit über die Stadtgrenzen hinaus wahrgenommen wurde. Das kann die Familie bis heute in den Briefen nachlesen, die Hubert Sülzer erreichten – unter anderem vom damaligen SPD-Fraktionschef im Bundestag, Hans-Jochen Vogel, oder vom CDU-Bundesarbeitsminister Norbert Blüm.

Stolz auf den Opa

Dass der Stolz auf diesen Schritt auch über die Generationen hinweg wirkt, durfte Rainer Sülzer am Tag der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen feststellen. Seine Tochter, die damals erst zehn Jahre alt war, habe am Mittwoch bei Facebook geschrieben, dass sie 1989 zwar noch zu jung gewesen sei, um das alles zu verstehen: „Aber sie könne sich noch gut erinnern, wie stolz sie damals auf ihren Opa war.“ Rainer Sülzer schmunzelt: „Über so etwas freut sich dann auch ihr Vater.“

KStA abonnieren