Der Doktor, der aus dem Schwarzwald stammt: Florian Sauer sprach mit Dr. Stefan Kohler Doktor vor dessen Wechsel in den Ruhestand.
InterviewOberbergs Amtstierarzt Dr. Stefan Kohler erinnert sich an kuriose Einsätze

Ein letztes Mal nimmt Dr. Stefan Kohler heute an seinem Schreibtisch im Veterinäramt in Dieringhausen Platz. Die Karte Oberbergs hatte er dort stets im Blick.
Copyright: Joachim Gies
Herr Dr. Kohler, mal Hand aufs Herz: Was motiviert dazu, Amtstierarzt zu werden? Hatten Sie nie Lust auf eine eigene Praxis?
Tatsächlich habe ich gleich nach dem Studium in einer Großtierpraxis in der Nähe von Nürnberg gearbeitet. Obwohl ich auf jeden Fall noch promovieren wollte, war es mir wichtig, nach der Lehre an der Uni zuerst die praktische Seite kennenzulernen. Pferde, Rinder, Schafe waren damals die Patienten und jeden Nachmittag gab es eine Kleintiersprechstunde. Ziel war damals die eigene Praxis. Erst die Schwierigkeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, hat mich zum Umdenken gebracht.
Sie stammen aus dem Schwarzwald und haben im damaligen West-Berlin studiert.
Genau. Eigentlich wollte ich Biologe werden, aber Eltern und Freunde haben mir davon abgeraten, für sie war das brotlose Kunst. So habe ich mich für Tiermedizin entschieden und die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze hat mich nach Berlin geschickt. Ich habe meine Berufswahl nie bereut, Tierarzt ist ein toller Beruf. Nach der Zeit in der Praxis habe ich in Hannover promoviert. Während des Zusammenschreibens der Doktorarbeit nach den praktischen Versuchen habe ich zur Finanzierung einen Job gesucht. NRW bot damals Referendariatsstellen für Tierärzte in der Veterinärverwaltung an – so bin ich ins Land gekommen, erst nach Detmold und im September 1992 zum Oberbergischen Kreis.
2011 wurden Sie Amtsleiter. Ihre Mitarbeiter untersuchen nicht nur Fleisch und Lebensmittel, sondern auch Kosmetik, Tabak und sogar Weichmacher im Spielzeug.
Eben alles, was auf den Menschen einwirken kann, zum Beispiel auch über die Haut. Als ich 1993 die Lebensmittelüberwachung übernahm, hatten wir vier Lebensmittelkontrolleure und haben reihum alle Betriebe kontrolliert, egal ob sie gut oder schlecht waren. Dadurch waren wir viel zu selten in den Betrieben, die es nötig hatten. Jetzt haben wir sechs Kontrolleure und kontrollieren die Betriebe risikoorientiert. Damit werden gute Betriebe seltener und schlechtere häufiger aufgesucht, so arbeiten wir wesentlich effizienter. Daneben sind wir noch für den Tierschutz und die Tierseuchenbekämpfung zuständig, überprüfen Futtermittel in landwirtschaftlichen Betrieben und überwachen den Handel und Einsatz von Tierarzneimitteln. Unsere Aufgaben sind ungeheuer vielseitig. Ich kann junge Leute nur ermuntern, sich auch mal in der Veterinärverwaltung umzuschauen.
Gab es in all den Jahren Betriebe, wo bei der Kontrolle so viel im Argen lag, dass Sie sie privat gemieden haben?
Um eine Bäckerei und eine Gaststätte habe ich tatsächlich einen Bogen gemacht. Insgesamt bewegt sich die Lebensmittelsicherheit in Oberberg aber auf einem sehr hohen Niveau, davon bin ich überzeugt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher können im ganzen Kreis bedenkenlos einkaufen. Schon 2007 haben wir ja eine freiwillige Kennzeichnung mit farbigen Smileys angestoßen, um Gästen eine Orientierung anhand unserer Kontrollergebnisse zu bieten. Später wurde daraus mit dem Kontrollbarometer in Ampelfarben ein Landesprojekt, das aber nach dem Regierungswechsel 2017 im Rahmen des Bürokratieabbaus wieder verschwand.

Oft unterwegs: Auf diesem Bild von 2014 kontrolliert Dr. Stefan Kohler auf dem Vieh- und Krammarkt in Waldbröl.
Copyright: Alexander Hoene
An welche Fälle, mit denen Ihr Amt zu tun hatte, erinnern Sie sich bis heute?
Da ist Vieles im Gedächtnis geblieben. Anfang des Jahrtausends haben wir Tollwut-Köder für Füchse per Hubschrauber abgeworfen. Wir haben regelmäßig tollwutverdächtige Tiere gemeldet bekommen. Da neben Hunden auch häufig Rinder von Füchsen gebissen wurden und an Tollwutsymptomen erkrankten, erhielt jeder Tierarzt zwei scharfe Messer ausgeteilt. Damit wurden die Köpfe der verendeten Rinder abgesetzt, weil die Gehirne auf Tollwut untersucht werden mussten, es aber zu aufwendig war, das ganze Tier ins Labor zu schicken. Im Südkreis habe ich eine Schlangenhaltung überprüft. Da krabbelten und ringelten sich 60 giftige Schlangen und tödliche Spinnen, darunter eine Schwarze Mamba. Ich erinnere mich gut, dass ich meinen Kontrollbericht an einem Schreibtisch anfertigte, umringt von unzähligen Terrarien mit Schlangen, die mich fixierten. So schnell habe ich noch nie einen Bericht geschrieben. Und gleich zu Beginn meiner Arbeit beim Kreis haben wir eine Messie-Wohnung in Wipperfürth geräumt. Der Müll stapelte sich so hoch, dass man nur durch die Fenster ins Haus kam. Dazwischen 18 Katzen und Ungeziefer. So etwas erschüttert mich persönlich. Diese Menschen sind ja grundsätzlich tierlieb, aber ihnen ist alles über den Kopf gewachsen.
Sie gelten als jemand, der Dinge anstößt statt sie nur zu verwalten. Gestalten ist mir wichtig. Zum Beispiel haben wir zwei gut geführte oberbergische Tierheime im Kreis, die seit ein paar Jahren auch Fördergelder bekommen. Bei meinem Start im Amt gab es nur wenige Möglichkeiten, Tiere aus Tierschutzfällen in guten Händen unterzubringen. Da mussten wir, wie auch die Tierschutzvereine, viele dicke Bretter bohren. Ein anderes Beispiel sind unsere Krisenkonzepte und Vorbereitungen für den Ausbruch hochansteckender Tierseuchen wie etwa der Maul- und Klauenseuche, der Schweinepest oder der Geflügelpest. Da es im Seuchenfall mit der Bekämpfung sehr schnell gehen muss, muss man exzellent vorbereitet sein. Aus dem Bauch heraus zu planen, wenn die Seuche da ist, kann nicht funktionieren. Dass wir hier gut aufgestellt sind, haben wir bei den Geflügelpestausbrüchen 2022 beweisen können.
Gerüchten zufolge haben Sie das „Du“ im Veterinäramt eingeführt.
Ja, das ist richtig. Bei meinem Start im Amt war der Umgang der meisten Kolleginnen und Kollegen nett, aber doch distanziert. Ich habe schnell in meiner Abteilung allen das „Du“ angeboten. Es hat dann noch ein paar Jahre gebraucht, bis das ganze Amt soweit war. Ich habe nur gute Erfahrung damit gemacht. Wenn eine gute Stimmung herrscht, sind die Menschen motiviert und leisten auch gute Arbeit. Ich glaube, dass unser Zusammenhalt im Amt schon herausragend ist, was sich auch in der hohen Beteiligung an unseren oft mehrtägigen Betriebsausflügen widerspiegelt. Es fehlte bisher auch nie an Interessierten, die sich zu uns versetzen lassen möchten.
Am Montag können Sie ausschlafen. Was sind Ihre Pläne danach?
Erst mal ausspannen und abschalten. Mit meiner Frau fahre ich viel Fahrrad und wir machen ausgedehnte Spaziergänge mit unserem Hund. Vielleicht verreisen wir auch, Neuseeland und Australien war immer ein Traum. Oder wir fahren mit einem Wohnmobil nach Skandinavien, natürlich mit Hund – ein Tierarzt ohne Tier geht ja nicht. Ideen für den Ruhestand habe ich reichlich.