Der Mensch wird zur TurbineIndustriemuseum Engelskirchen blickt in die Zukunft

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Im Turbinenkeller zeigt die Installation der italienischen Medienkünstlerin Cristina Tarquini,  wie sich die Erderwärmung auf den Wasserkreislauf auswirkt.

Im Turbinenkeller zeigt die Installation der italienischen Medienkünstlerin Cristina Tarquini,  wie sich die Erderwärmung auf den Wasserkreislauf auswirkt.

Engelskirchen – Die linke Hand ruht auf dem Sensor, die rechte Hand dreht unerlässlich die Kurbel. Wer glaubt, dass die Bewegungsenergie zügig in Elektrizität umgesetzt wird, irrt. Erst nach mehreren Minuten beginnen die vielen dünnen Drähte, die sich aus den im Kreis aufgestellten Apparaturen mittig zu einem Strang verbinden, im Dunkeln des Raums zu leuchten. Der Bediener kommt ins Schwitzen – und hört seinen vom Handsensor abgenommenen Herzschlag aus dem Lautsprecher hinter sich quälend pochen.

Die Kunstinstallation „Positively Charged: Heartbeats“ im Industriemuseum Engelskirchen ermöglicht den Besuchern seit dem Wochenende einen ganz anderen Zugang zum Thema Energiegewinnung. Was im früheren Kraftwerk Ermen und Engels bislang der Turbinenkeller nur vor Augen führte, ist nun am eigenen Leib und mit allen Sinnen zu erfahren: Dass Strom fließt, ist eben keine Selbstverständlichkeit.

Industriemuseum Engelskirchen: Neue Ausstellung „Positively Charged: Heartbeats“

Die Herzschlag-Installation und eine weitere zum Thema Wasser ist in den vergangenen Tagen von der polnisch-englischen Künstlerin Kasia Molga für „Futur 21“ aufgebaut worden. Und dieses Festival setzt nicht nur in Engelskirchen neue Maßstäbe, wie die geladenen Gäste bei der Eröffnung am Samstag erfuhren: Der Landschaftsverband Rheinland und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe feiern den 75. Geburtstag Nordrhein-Westfalens in ihren 16 Industriemuseen mit 32 Künstlern. Das Engelskirchener LVR-Museum startete am Samstag zeitgleich mit den Museen in Solingen, Bochum und Hattingen die Festivalwoche „Futur-Energie“. Andernorts gab es schon eine Woche zum Thema Arbeit, in weiteren Museen folgen noch bis Anfang April die Schwerpunkte Ressourcen und Fortschritt.

Visionen eines nachhaltigeren Lebens

Mit dem Energie-Ideen-Automat setzte Illustratorin Silvia Dierkes die Ideen der Besucher in Bilder um.

Mit dem Energie-Ideen-Automat setzte Illustratorin Silvia Dierkes die Ideen der Besucher in Bilder um.

Im Rahmen von „Futur 21“ hat das Industriemuseum am Sonntag einen Familien-Aktionstag veranstaltet, bei dem die Besucher aktiv werden und eigene Kunstwerke erschaffen konnten. Am Eingang stand ein „Energie-Ideen-Automat“ der Illustratorin Silvia Dierkes aus Duisburg. Sie fragte die Kinder nach ihren energetischen Zukunftsvisionen und zeichnete diese auf ein Tablet. Ein Junge wollte Solarpaneele auch an Häuserfassaden sehen: „Aber so, das es wirklich schön aussieht.“

Daneben stand die Station „Energiebündel Mensch“ der Künstlerin Franka Perschen aus Rheinbreitbach. Mit einem Thermoscanner zeigte sie den Besuchern, wie viel Energie in ihrem Körper, mit einem Audiorekorder, wie viel Kraft in ihrer Stimme steckt. Auf einem Tablet erzeugte eine künstliche Intelligenz Bilder anhand von eingegebenen Begriffen. Kezia van Helden aus Overath tippte „Wunschmaschine“ und strahlte beim Anblick des Gerätes in Sternenform mit vielen Glitzerpunkten, das alle ihre Wünsche erfüllen soll: „Die Maschine sieht ja toll aus.“ Die 8-Jährige besucht das Museum zusammen mit ihrer ein Jahr älteren Freundin Leonie Flesch, begleitet von ihrer Mutter Janet und ihrer Großmutter Brigitte Ewald. Janet van Helden schilderte, dass sie das erste Mal in dem Kraftwerk sei: „Der Aktionstag ist eine tolle Ergänzung zum Thema Energie, das meine Tochter gerade in der Schule hatte. Ich finde es klasse, aktives Erforschen mit Geschichte zu verbinden.“

Begeistert nutzten die Mädchen im Industriemuseum die Möglichkeit, im blau illuminierten Turbinenkeller mit Licht zu malen. Unterstützt von Museumspädagogin Stephanie Haller zauberten sie bunte Bilder mit farbigen Taschenlampen auf ein Tablet, die Bilder konnten sie mit nach Hause nehmen. Leonie begutachtete die Galerie: „Am besten gefällt mir das bunte Herz, das Oma gemalt hat.“ (kup)

Es gebe keinen besseren Ort als Engelskirchen, um über den künftigen Umgang mit Ressourcen nachzudenken, sagte Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, Stellvertretender Vorsitzender der Landschaftsversammlung Rheinland bei der Eröffnung.

Ganz neue Energien

Sonja Nanko, zuständig für das Engelskirchener Museum, sagte, dass die für das Festival entwickelten kreativen Vermittlungsformate beibehalten werden sollen. So kommt die Installation „Shapeshifting Energy“ im Turbinenkeller in die Dauerausstellung. Sie stammt von der italienischen Medienkünstlerin Cristina Tarquini. Per Berührung eines kleinen Bildschirms kann der Betrachter die Gestaltung einer Videoinstallation wandeln und nachvollziehen, wie sich die Erderwärmung auf den regionalen und globalen Wasserkreislauf auswirkt.

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Im Interview fragte Kurator Patrick Blümel die beiden Künstlerinnen, warum gerade Wasser sie so bewege. Sie sei fasziniert, dass der Mensch nicht unter Wasser leben können, obwohl er doch daraus hervorging, erklärte Kasia Molga. Cristina Tarquini beeindrucke, dass Wasser wie ein Spiegel ist, hinter dessen Oberfläche der Mensch nie wirklich blicken könne. Es sind ganz neue Energien, die in Engelskirchen freigesetzt werden. Noch bis Samstag bietet sich Besuchern täglich und kostenlos die Möglichkeit, die alte Industriekultur über die Kunst ganz anders kennenzulernen.

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