Talsperrenmeister an der LingeseRainer Lange hält die Mauer in Schuss

Im Inneren der Lingesestaumauer hält Rainer Lange die Technik am laufen.
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Marienheide – Die Mauer lebt. Jetzt, da die heißesten Tage im Jahr anstehen, dehnt sich die Lingesetalsperre zur Luftseite hin aus. In einem halben Jahr, zu den kältesten Wintertagen, hat sie sich wieder zusammengezogen. Gut acht Millimeter ist die Staumauer so in Bewegung – und das seit fast genau 120 Jahren.
Dass die Mauer weit mehr ist als nur eine 183 Meter breite und 25 Meter hohe Ansammlung aus Grauwacke und Beton, weiß keiner besser als Rainer Lange. Der Talsperrenmeister im Dienste des Wupperverbandes ist seit 35 Jahren nicht nur für die Lingese-Talsperre zuständig, auch die benachbarte Brucherstaumauer ist sein Revier. „Ich nenne sie meine beiden Freundinnen“, sagt der 59-Jährige, der 1985 seinem Vater auf die Stelle gefolgt ist. Seitdem habe er seinen Traumberuf – und seine steinernen Freundinnen beinahe jeden Tag besucht. Denn die brauchen viel Zuwendung.

„Seine Freundin“, wie Rainer Lange die Mauer nennt, besucht er jeden Tag.
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Mittlerweile hilft viel Technik Lange dabei, die Standsicherheit der Staumauer rund um die Uhr zu überprüfen und immer die passende Menge Wasser in das darunterliegende Bett der Lingese abzugeben. Doch alle Automatisierung kann den wachsamen Blick des Menschen nicht ersetzen. Dabei braucht Lange bei seinen täglichen Kontrollgängen keineswegs nur die Augen, sondern auch Nase und Ohren. „Wenn eine Maschine nicht rund läuft, höre ich das – und rieche, wenn in einer Leitung zu lange Wasser steht.“
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Der Fuß der Lingesemauer ist Sperrbereich. Per Kameras wird kontrolliert, dass sich hier niemand unbefugt aufhält. Durch das von der Wasserseite aus gesehene rechte Schieberhaus betritt Lange das Innere der Mauer. An einem Computerbildschirm sieht Lange Dutzende von Messwerten ein. Die zu überprüfen, macht einen Großteil seiner Arbeit aus. Um sicherzustellen, dass die in den Jahren 1898 und 1899 erbaute Mauer hält, sind viele Sensoren verbaut. So gibt es etwa 15 Temperaturfühler im Mauerwerk, und auf der Krone sind drei GPS-Empfänger installiert, anhand derer die Bewegungen des Bauwerks verfolgt werden können.
Die Lingesestaumauer gilt noch 80 Jahre als sicher
In anderen Ländern gab es durchaus schon Fälle, bei denen Staumauern kollabierten – mit katastrophalen Folgen für die unterhalb lebenden Menschen, weiß der Talsperrenmeister. „Nachdem die Lingesestaumauer von 1995 bis 1998 grundlegend saniert wurde, galt sie wieder für hundert Jahre als garantiert standsicher.“ Somit müssten erst in gut 80 Jahren wieder größere Maßnahmen angegangen werden. Ab kommendem Montag, 17. August, lässt der Wupperverband jedoch die elastischen Fugen auf der Mauerkrone erneuern. Diese verhindern, dass bei Regen oder Schnee Nässe in die Mauer eindringt. Bis die Arbeiten voraussichtlich am 28. August beendet sind, bleibe der Fußweg über die Krone geöffnet, allerdings mit Einschränkung, teilt der Verband mit.

Talsperrenmeister Rainer Lange hält die Technik am laufen.
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Vom Schieberhaus geht Lange durch einen Stollen. An einer Wand steht eine mannshohe Apparatur, durch die ein kleines Stahlseil läuft. „Alles im Lot“, sagt Lange. Weiter geht’s, einige Treppen hinab, in den Kontrollgang. Er liegt unter Wasser am Fuße der Mauer. Unzählige Rohre ragen hier aus der Wand. Wenn aus einer zu viel Wasser läuft, wäre das ein Alarmzeichen. Der Gang geht über die gesamte Länge des Stauwerks, an beiden Enden führen Leitern hinauf zu Notausstiegen auf die Mauerkrone – falls der Stollen voll Wasser laufen sollte.
Für den Beruf des Talsperrenmeisters gibt es keine Ausbildung
Wasser war nicht sein Metier, als Lange seine Ausbildung machte. Er hat Maler und Lackierer gelernt – und für seinen Beruf als Talsperrenmeister viele Lehrgänge absolviert. Regelmäßig ist er mit Berufskollegen aus vielen Ländern im Austausch. Ein Ausbildungsberuf ist der Talsperrenmeister bislang nicht. „Das hätten wir gerne.“
Er setzt seinen Weg in Richtung des linken Schieberhauses fort. Dort wurde 2008 eine Wasserkraftanlage installiert, die Strom ins öffentliche Netz einspeist. Dazu laufen im Regelbetrieb sekündlich 50 Liter Wasser durch die Turbine – bis zu 300 Liter könnte die Maschine verkraften. Müsste bei Hochwassern mehr Wasser abgegeben werden, würde Lange die Ventile der Grundablassrohre öffnen und das Wasser im Tosbecken und später im Bach landen. Stets die richtige Menge Wasser abzuleiten, gehört ebenfalls zu Rainer Langes Aufgaben.
Die Lingese dient dem Hochwasserschutz und soll zugleich dafür sorgen, dass durch den Bach stets genügend Wasser fließt. Dass alle Technik funktioniert, überwacht der Wupperverband nicht allein. In den kommenden Tagen wird Lange erst an der Brucher, später an der Lingese wieder Experten der Bezirksregierung empfangen, die beide Stauwerke auf Herz und Nieren prüfen. Das tun sie alle anderthalb Jahre.
Café soll im September eröffnen

Schon jetzt schauen viele Neugierige bei dem Café vorbei, berichtet Thomas Pagnia.
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Wer die Staumauer der Lingese überquert hat, muss nicht zwangsläufig den Rundweg um den See fortsetzen. Auch ein Abstecher an die Landseite unterhalb des Stauwerks lohnt sich, denn dort bietet das noch in der Entstehung befindliche Café Pagnia bereits Kaffee zum Mitnehmen. Die Kaffeerösterei aus Siegen will ihre Dependance an der Lingese voraussichtlich Anfang September eröffnen. Im Inneren wird noch gebaut, auch die Terrasse muss noch fertiggestellt werden. Doch schon jetzt schauen viele Neugierige vorbei, berichtet Thomas Pagnia. Sie bekommen nicht nur abgepackte Bohnen für die Kaffeemaschine daheim, sondern auch eine Tasse Kaffee zum Soforttrinken.
Der Werkverkauf öffnet von montags bis sonntags zwischen 11 und 18 Uhr. (ag)
Wer am Fuße einer der Talsperren lebt, könnte mitbekommen, wenn Lange probehalber die Ventile etwas weiter öffnet. Denn dann steigen die Flusspegel kurzzeitig an.