Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Unnenberger KopfEinweihung unterm Hakenkreuz

5 min

Kurt Wienand hat die Historie erforscht.

Unnenberger Kopf – Die Nazis verhafteten Franz Dinstühler wenige Tage, bevor sein großer Traum wahr wurde. Mehrere Jahre lang hatte er an seinem Aussichtsturm auf dem Unnenberger Kopf geplant und gearbeitet – und nun wollten die gerade an die Macht gekommenen Nationalsozialisten sein Meisterwerk zur Eröffnung mit Hakenkreuzen schmücken. Dinstühler hatte sich geweigert, mit der Haft wollten die Nazis ihn zur Besinnung bringen. „Nur weil ein gut vernetzter Bekannter intervenierte, kam Dinstühler frei“, berichtet Kurt Wienand, blättert in einem großen Ordner und holt eine alte Ansichtskarte hervor. Sie zeigt den Unnenberger Aussichtsturm Mitte der 30er Jahre – mit wehender Hakenkreuzfahne. „Dinstühler musste sich den Nazis beugen“, sagt Wienand: „Und das passte ihm gar nicht.“

Der Heimatforscher Kurt Wienand (70) aus Unnenberg kennt viele Geschichten rund um die Türme auf seinem Hausberg. Intensiv hat er die Geschichte des Turmbaus in den vergangenen Jahren recherchiert, alte Dokumente und Zeitungsberichte ausgewertet und mit Zeitzeugen gesprochen. Auf der mit 505,7 Metern zweithöchsten Erhebung des Oberbergischen Kreises steht heute bereits der dritte Turm. Im kommenden Jahr ist es 120 Jahre her, dass die Oberberger erstmals in die Höhe steigen konnten, um ihre Heimat zu überblicken.

Ein Pyramide aus Holz

Der erste Turm sorgte bei seinen Erklimmern nicht gerade für Schwindelgefühle. Das Holzkonstrukt bot Ende des 19. Jahrhunderts zwei Aussichtsplattformen – auf vier und auf acht Metern Höhe. „Im Vergleich zu den späteren Türmen war das natürlich nichts“, sagt Wienand, „doch für einen Rundumblick reichte die Höhe vollkommen.“ Denn auf dem Unnenberg störten damals keine hohen Tannen die Sicht. Der Heizstoff Holz war derart begehrt, dass die Erhebung beinahe kahl war.

Der zweite Turm stand fast 70 Jahre lang.

Am 31. Mai 1897 war das futuristisch anmutende Bauwerk eröffnet worden, nachdem die Initiatoren vom Verschönerungsverein Müllenbach zwei Jahre lang kräftig Spenden gesammelt hatten. Vier jeweils 13 Meter lange Fichtenstämme hatten die Erbauer zu einer Art Pyramide aufgestellt. „Unter Mithilfe der militärischen trigonometrischen Abteilung waren exakte Berechnungen angestellt worden“, weiß Wienand. Turmbau war zu Kaisers Zeiten in Mode, allerorts wurden Türme auf Erhebungen gebaut. Viele waren aus Stein gemauert, anders als der Unnenberger Turm.

Dessen Lebenszeit hatte der Verschönerungsverein bereits zur Eröffnung auf lediglich zwei Jahre veranschlagt. Doch er hielt einige Zeit länger: Erst im Jahr 1905 stellte die Gemeinde Baufälligkeit fest, zwei Jahre später rief man einen Fonds zur Sanierung ins Leben. Zu spät. In einer stürmischen Nacht des Jahres 1911 fiel das morsche Konstrukt in sich zusammen. Wienand: „Der Aussichtsturm geriet danach in Vergessenheit. Vermutlich auch, weil wenige Jahre später der Weltkrieg ausbrach.“

Mit Hochspannung

Es dauerte fast 20 Jahre, bis ein neuer Aussichtsturm geplant wurde. Dem Dannenberger Gastwirt und Steinbruchbesitzer Franz Dinstühler war der erste Turm nicht aus dem Sinn gegangen. Er wollte nun einen Turm aus Stein errichten. Im Herbst des Jahres 1930 arbeiteten seine Söhne Albert und Ewald und sein Schwiegersohn Otto Schnellenbach für ein Unternehmen, das Hochspannungsmasten im siegerländischen Kreuztal aufbaute. Wienand: „Die Baugrube für einen Gittermast war schon ausgehoben und der 35 Meter hohe Mast darin platziert. Doch die Männer schafften es nicht bis Einbruch der Dunkelheit, die Grube mit Beton zu füllen.“ Am nächsten Morgen hatte ein Sturm die Eisenkonstruktion zu Boden gedrückt.

Grenzfindung vom Turm: Der spätere Gemeindedirektor Werner Knabe (vorne l.), Kämmerer Heinz Krämer (r.) und Regierungspräsident Günter Heidecke (2.v.r.) blicken auf die Ortschaft Unnenberg.

Franz Dinstühler kaufte den leicht demolierten Mast und ließ die Teile per Eisenbahn nach Holzwipper bringen und von dort aus an den Unnenberg. Vier Pferde waren nötig, um die schweren Teile mit einer Art Schlitten die letzten unwegsamen Meter bis auf die Erhebung zu transportieren. Erst Ende 1933 vollendeten Franz Dinstühler und seine Söhne ihr Werk mit einfachen Werkzeugen und Maschinen. „Eine enorme Leistung“, sagt Wienand. Dinstühler hatte 1000 Reichsmark in seinen Traum investiert. Der neue Turm ragte 22 Meter in den Himmel. Der viereckige Grundriss mit einer Seitenlänge von vier Metern verjüngte sich nach oben auf drei Meter. Am 26. August 1934 wurde der Turm eröffnet – nachdem Franz Dinstühler von den Nazis wieder auf freien Fuß gesetzt worden war.

Bereits 1939 begann Dinstühler mit den Vorbereitungen für den Bau einer Gaststätte neben dem Turm. „Doch der Zweite Weltkrieg kam dazwischen“, berichtet Wienand: „Während dieser Zeit diente der Turm als Ausguck zur Absicherung der Aggertalsperre.“ In den Nachkriegsjahren wurde die Gaststätte weiter gebaut, Franz Dinstühler erlebte die Eröffnung nicht mehr. Erst 1962 war das Haus fertiggestellt. Bei den Oberbergern und den Menschen aus der ganzen Region entwickelte sich der Unnenberg zu einem beliebten Ausflugsziel.

Der erste Turm war eine hölzerne Pyramide, auf die Besucher nur acht Meter hoch steigen konnten.

Im Jahr 1969 spielte der Aussichtsturm eine Rolle bei der Neuordnung der kommunalen Grenzen, berichtet Wienand: „Um zu entscheiden, wo die Grenze zwischen Gummersbach und Marienheide verlaufen solle, stiegen der spätere Marienheider Gemeindedirektor Werner Knabe, der Gummersbacher Kämmerer Heinz Krämer und der Kölner Regierungspräsident Günter Heidecke auf den Turm.“ Vermutlich wurde in diesen Minuten entschieden, dass der Unnenberger Kopf in Marienheide verbleibt, doch die Ortschaft Unnenberg zur Stadt Gummersbach kommt.

Der Neue ist noch höher

Nach fast 70 Jahren endete am 3. Januar 2001 die Ära des ersten eisernen Aussichtsturms. Ein Bochumer Unternehmen baute die Segmente per Kran ab, sie landeten im Container. Für den Nachfolger verbaute der Mobilfunkanbieter E-Plus 185 Kubikmeter Beton, 463 Tonnen Stahl und 73 Tonnen Schrauben und Bolzen, berichtet Wienand. So entstand ein 45 Meter hoher Turm auf einer Grundfläche von sechs mal sechs Metern. 170 Treppenstufen führen auf die überdachte Aussichtsplattform auf 30 Metern Höhe – darüber sind die Sendemasten. Die reinen Baukosten – ohne Mobilfunktechnik – beliefen sich auf 600 000 D-Mark. Am 20. Juli 2001 wurde der neue Turm eröffnet.

Im Oktober 2009 endete eine weitere Ära auf dem Unnenberg. Das Ehepaar Aghte beendete nach 27 Jahren seine Pacht in der Turmgaststätte. Seitdem ist der Zapfhahn in dem Gebäude trocken, die Eigentümer renovieren das Gebäude. Dursten und hungern müssen Turmbesucher trotzdem nicht: Seit vergangenem Jahr öffnet eine Wirtin bei gutem Wetter eine Freiluftwirtschaft vor dem Turm.

Vortrag

Kurt Wienand berichtet über

die wechselvolle Geschichte der Unnenberger Aussichtstürme am Sonntag, 2. Oktober, im Müllenbacher „Haus der Geschichten“, an der Graf-Albert-Straße 40.

Der Vortrag beginnt um 14 Uhr. Zuhörer sind herzlich willkommen. (ag)