Wegen Corona-PandemieImmer mehr Oberberger rutschen in die Insolvenz

Lesezeit 3 Minuten
In der Waldbröler Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle des Evangelischen Kirchenkreises An der Agger häufen sich die Fälle. Das bereitet Leiterin Kristina Schüttler und ihrem Team Sorge.

In der Waldbröler Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle des Evangelischen Kirchenkreises An der Agger häufen sich die Fälle. Das bereitet Leiterin Kristina Schüttler und ihrem Team Sorge.

Waldbröl – „Drei Viertel der Menschen, die zurzeit bei uns Rat suchen, würden wir zu normalen Zeiten hier niemals sehen“, stellt Kristina Schüttler fest. Sie leitet in Waldbröl die Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle des Evangelischen Kirchenkreises An der Agger. Wie ein Katalysator beschleunige die Corona-Pandemie das Abrutschen von immer mehr Oberbergern in die Schuldenfalle. Und zwar von Menschen, die nie damit gerechnet hätten, jemals auf Hilfe angewiesen zu sein.

Da nennet Schüttler beispielsweise jene Frau, die bisher mit ihrem Arbeitslohn und ihren Verpflichtungen zwar knapp, aber doch jeden Monat einigermaßen zurechtkam – bis sie in Kurzarbeit ging und Prämien ausfielen. „Am Ende fehlten ihr 180 Euro im Monat. Wo es vorher schon eng gestrickt ist, kann Kurzarbeit den Todesstoß bedeuten“, weiß die Beraterin.

Kontoüberziehung und Kleindarlehen

Sie kennt die darauf folgende Spirale nur zu gut: Kontoüberziehung, Kleindarlehen mit hohen Zinsen, Onlinebestellungen, Ratenkäufe, immer häufigerer Einsatz der Kreditkarte, bis der Überblick über die Schulden verloren geht, der erste Gläubiger sein Geld haben will und eine Kontenpfändung erwirkt. Damit ist der Weg zu einem pfändungssicheren Konto versperrt – dafür muss das Konto im Plus sein.

„Die Frau hofft seit einem Jahr, in ein paar Wochen geht es wieder aufwärts“, beschreibt Kristina Schüttler das Dilemma. Deshalb möchte sie auch keinen Antrag auf Privatinsolvenz stellen. „Wenn jemand hoffnungslos überschuldet ist, dann ist eine Privatinsolvenz die Rettung. Aber nicht unbedingt für die Solo-Selbstständigen, die Künstler, die Studenten, die Leute aus der Gastronomie oder vom Fitnesscenter, die sich zurzeit melden“, führt die Schuldnerberaterin aus. Denn eine Privatinsolvenz steht jahrelang in der Schufa-Auskunft. Mit Folgen: „Frauen sind besonders betroffen, sie arbeiten oft in 450-Euro-Jobs in der Gastronomie, putzen, tragen als Aushilfe beim Bäcker zum Familieneinkommen bei.“ Diese Jobs sind zurzeit weg, es gibt keinen Anspruch auf Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld, keine Corona-Hilfen.

Zudem haben Kriminelle immer häufiger leichtes Spiel. „Da werden Kreditkarten angeboten gegen eine Vorauszahlung vom 80 Euro, aber die Karte kommt nie an. Andere wollen Geld vorab Geld für die Vermittlung einer Schufa-Auskunft – die kann aber jeder kostenlos selbst beantragen. Betrügereien boomen zur Zeit“, beobachtet die Waldbröler Beraterin. So groß sei die Not, dass sich immer häufiger Hilfesuchende aus ganz Deutschland in der Beratungsstelle an der Kaiserstraße melden. „Sie telefonieren alle Schuldnerberatungen ab, bis jemand antwortet“, schildert Kristina Schüttler. Sie und ihr Team dürfen aber nur Oberberger beraten, andere verweist sie zum Beispiel auf die Internetseiten der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung mit Informationen für Betroffene. Die Beratung erfolgt zurzeit per Telefon und online.

Verkürzung des Entschuldungsverfahren

Zu den neuen Fällen kommt noch die Aufarbeitung von zahlreichen Fällen aus dem vergangenen Jahr. Viele Schuldner und ihre Berater hatten abgewartet, bis die Bundesregierung im Dezember endlich die Verkürzung des Entschuldungsverfahrens von sechs auf drei Jahre verkürzte. Trotz der wachsenden Zahl von Hilfesuchenden komme man in Waldbröl zurecht, auch dank einer zusätzlichen Teilzeitbürokraft, sagt Schüttler. „Noch!“ Viele bräuchten noch das Ersparte auf, retten sich mit Corona-Hilfen durch den erneut verlängerten Lockdown. „Aber wenn es danach zu zahlreichen Insolvenzen kommt, dann erreicht uns in der Schuldnerberatung diese Welle mit Verzögerung“, ahnt die Leiterin.

Das könnte Sie auch interessieren:

Dabei könne jeder etwas tun, um gar nicht erst in die Falle zu geraten, betont Schüttler: Rücklagen bilden, statt dreimal im Jahr in Urlaub zu fahren, denn die Hauptursachen von Überschuldung, Erkrankung, Trennung, Arbeitslosigkeit könnten jeden treffen. Überlegen, ob die Rechnung für die zusätzliche Igel-Leistung beim Arzt nicht das Budget überschreitet, ob Versicherungen über die Haftpflicht hinaus wirklich nötig sind. Ein Haushaltsbuch führen, auch wenn man es gewöhnt ist, Geld auf dem Konto zu haben. Vor allem: Den Überblick behalten, was bestellt, was bezahlt ist und wie viele Schulden sich tatsächlich angehäuft haben.

KStA abonnieren